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Digital In Arbeit

FÜR LESEFREUNDLICHKEIT IN DER KIRCHE

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Wer kennt sie nicht - die Generation der inzwischen „Nintendo-Kids" genannten Kinder, die - mit Gameboy oder anderen elektronischen Spielgeräten ausgerüstet - kleine Männchen über Mini-Bildschirme hüpfen lassen, reaktionsschnell, hochkonzentriert auf scheinbar verwirrende Bewegungsabläufe.

Wer kennt sie nicht - die jugendlichen Video-Freaks, die sich im Freundeskreis zu nächtlichen Video-Ses-sions zusammenfinden - sie „geben sich etwas", sie „ziehen sich rein", sie leben und erleben für ein paar Stunden Phantasiewelten. Und schließlich: Wer kennt sie nicht - die Erwachsenen mit dem unruhigen Finger auf der Fembedienung, die im Minuten- oder Sekundenrhythmus zwischen den Programmen hin- und herwandern, von innerer Unruhe getrieben und nicht selten gelangweilt zugleich.

Dieser Blick auf einen Ausschnitt unserer Lebenswirklichkeit will nicht moralisieren oder verurteilen. Er bildet sozusagen nur die Kontrastfolie für die folgenden Überlegungen. Denn alle Forderungen nach einer Pastoral mit dem Medium Buch greifen zu kurz, wenn sie nicht berücksichtigen, daß in unserer Mediengesellschaft zwar die Lesetechnik noch gelehrt und gelernt wird, aber die Lesefähigkeit unter den oben geschilderten Formen der Mediennutzung rapide abzunehmen scheint.

Das heißt, vor allen Konzepten, wie und mit welchen Zielsetzungen das Buch, insbesondere das religiöse Buch, in Seelsorge, Verkündigung und Diakonie, also in den Feldern, die wir zusammengefaßt „Pastoral" nennen, eingesetzt werden sollte oder könnte, müssen Überlegungen stehen, was getan werden kann, um ein lesefreundliches Klima in Gesellschaft und Kirche herzustellen oder zu fördern. Dazu müssen Ergebnisse der Buchmarkt- und Leseforschung ebenso herangezogen und ausgewertet werden wie die Ergebnisse sozialwissen-

schaftlicher und medienpädagogischer Untersuchungen.

So wäre es beispielsweise einer näheren Betrachtung wert, womit es zusammenhängt, daß das Lesen in unserer Gesellschaft einerseits eine hohe soziale Anerkennung findet, andererseits aber nicht wenige Eltern dazu neigen, ihren Kindern zu wenig Zeit zum Lesen zuzugestehen („Statt herumzusitzen und zu lesen, solltest du dich lieber um die Schule kümmern oder dich sonstwie nützlich machen...") Oder: Welches sind die Gründe dafür, daß so wenige Prediger ihren Zuhörern erzählen, wo sie ihre guten Gedanken gelesen haben, und sie ermuntern, diese Bücher doch selbst einmal in die Hand zu nehmen und zu lesen?

Wertschätzung des Buches

So möchte ich als erste Aufgabe festhalten: Buchpastoral braucht ein lesefreundliches Klima in der Kirche und ist selbst herausgefordert, an der Förderung eines solchen mitzuwirken. Das setzt bei allen, die in der pastoralen Arbeit der Kirche tätig sind, eine Wertschätzung des Buches voraus, die heute so nicht mehr selbstverständlich gegeben ist. Deshalb müs-

sen alle buchpastoralen Konzepte hier ansetzen.

In einem kürzlich veröffentlichten Arbeitspapier der Zentralstelle Medien über Aufgaben und Chancen einer Buchpastoral ist ausführlich dargelegt, welche Rolle das Lesen beim

Aufbau der eigenen Identität spielt. „Lesen ist aktives Handeln. Es geht dabei um Auseinandersetzung, Differenzierung, Erkenntnis und Internali-sierung von Sachverhalten verschiedenster Art... Hier wird der Leser mit in eine Entscheidungsdisposition hineingenommen: Ist das, was mir hier angeboten wird, hilfreich und nützlich auch für meine Lebensdeutung und Lebensführung? Kann ich damit in meinen Lebensfeldern bestehen?" Lesen ermöglicht so gedankliches Probehandeln, eröffnet alternative Möglichkeiten und kann Sicherheit für die Bewältigung von Alltagssituationen geben. Das Buch ist dabei dem gesprochenen Wort überlegen: Es erlaubt die Unterbrechung, um über einen Satz oder ein Wort nachzudenken, und es erlaubt die klärende Wiederholung.

So könnte die zweite Aufgabe lauten: Buchpastoral muß deutlich machen, welchen Anteil das Lesen an der Entwicklung einer kritischen, selbständigen, entscheidungsfähigen

Persönlichkeit hat. Im Blick auf das religiöse Buch läßt sich diese Aufgabe spezifizieren: Welchen Anteil das Lesen am Aufbau einer christlichen Identität, an der Entwicklung eines mündigen Christen hat.

Christliche Lesekultur

Erst wenn diese beiden Aufgaben entschlossen und konsequent aufgegriffen werden, wenn Buchpastoral sich also um eine christliche Lesekultur bemüht, scheint es sinnvoll, Pläne zu erarbeiten, in welchen Feldern der modernen Seelsorge das Buch eingesetzt werden und in welcher Form dies geschehen kann: in der Verkündigung, in der Beratung bei Lebenskrisen, in der spirituellen Begleitung im Lebensalltag, als Brücke zu Menschen, die der Kirche fernstehen oder ihr entfremdet sind, in der Buch- und Büchereiarbeit von Gemeinden.

Ein Beispiel mag diesen Gedanken verdeutlichen: Die Deutsche Bischofskonferenz vergibt alle zwei Jahre den Katholischen Kinderbuchpreis, eine auch im Sinne der Buchpastoral sicher segensreiche Einrichtung. Aber in der bis jetzt praktizierten Weise ist dies allenfalls ein Ansporn für Autoren und Verlage, gute Kinderbücher herauszubringen. Die Leser werden damit im Grunde noch nicht angesprochen. Eine größere Wirksamkeit auch bei Lesern könnte der Kinderbuchpreis dann erreichen, wenn er gleichzeitig eingebunden würde in die Kinder-, Jugend- und Familienarbeit kirchlicher Gemeinden und nicht nur in die Büchereiarbeit. Plakate sind nützlich, haben aber selten tiefgreifendere Wirkungen zur Folge. Denn wie der schönste und technisch perfekteste Fernsehapparat nichts nützt, wenn keine Empfangsantenne (oder kein Kabel) vorhanden sind, so nützt auch das beste Buchangebot nichts, wenn den Menschen die innere Antenne für den Wert des Lesens fehlt.

Der Autor ist Geschäftsführer des Matthias Grünewald Verlages in Mainz.

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