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„Für Serbien in den Tod!"

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Wer sind die Serben? Was sind die Serben? Sind sie wieder, in diesem Jahrhundert zum zweiten Mal, die „bösen Buben", die an allem schuld sind? Oder sind sie, wie sie selber meinen, die immer Verkannten, diejenigen, die immer in ihrer Geschichte um ihre Siege betrogen wurden?

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Wer sind die Serben? Was sind die Serben? Sind sie wieder, in diesem Jahrhundert zum zweiten Mal, die „bösen Buben", die an allem schuld sind? Oder sind sie, wie sie selber meinen, die immer Verkannten, diejenigen, die immer in ihrer Geschichte um ihre Siege betrogen wurden?

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Es liegt auf der Hand, daß beides keine befriedigende Definition sein kann. Beides aber gehört zum Verständnis dieses unfriedlichen Balkanvolkes, von dem schwer zu erkennen ist, ob es von Selbstüberschätzung gelenkt wird, oder von der Überkompensie-rung eines Minderwertigkeitsgefühls.

Ganz nüchtern gesehen, sind sie zum ersten natürlich nicht schuld gewesen am Ausbruch des Ersten Weltkrieges, dazu gehörten noch weitere Fakten, wie man weiß. Sie lieferten aber die kriegsauslösenden Schüsse.

Schuld am Zerfall

Wenn wir uns nun aber der akuten Frage nach der serbischen „Schuld" im Zusammenhang mit dem Zerfall Jugoslawiens zuwenden, so bleibt dem Beobachter kein anderer Schluß übrig als der: Daran sind in erster Linie die Serben schuld.

Lassen wir in diesem Zusammenhang die chronologischen Details der Handlung außer acht, gehen wir stattdessen der Frage nach: Warum handeln die Serben so?

Schon stehen wir am Rande dessen, was nicht allein mit Rationalität zu erfassen ist, was aber viel zu tun hat mit dem, was die Serben selbst leicht Iarmdyant als die „serbische Seele" zu bezeichnen pflegen.

Die Beziehung zur eigenen Vergangenheit ist die stärkste Bindung der Serben aneinander. Es zeigt sich zum Beispiel in ihrem ganz persönlichen Verhalten gegenüber der orthodoxen Kirche. Nicht von eigentlicher Religiosität fühlen sie sich dieser Kirche verbunden und folgen sie ihren Ritualen, ihren Feiertagen, kommunizieren sie mit den Popen, deren Hausbesuche nach wie vor, auch mitten in der Höchstblüte der Tito-Ära, ein zentrales Ereignis für die Familie darstellen. Der Pope, die Kirche, repräsentieren die Kontinuität des Serbentums. „Wenn ich den Popen ehre, ehre ich den Namen meines Vaters", sagte mir einmal ein ganz einfacher Serbe in Belgrad. Das bedeutet für ihn, daß er die Autorität der überlieferte Bräuche anerkennt, daß er - im weiterer Konsequenz -nicht gewillt ist, sich von irgendjemand anderem - sei es ein Türke, ein Kaiser in Wien, ein Partisane, ein Kommunist, ein Demokrat, - eine Lebensform oktruieren zu lassen, die diesen Traditionen widerspräche. In der Tat haben sich die Serben - zum Teil indem sie sich der moralischen Auseinandersetzung durch Flucht entzogen - renitenter gegenüber dem Islam und seinen Heeren gezeigt als die anderen Balkanvölker, die das gleiche Schicksal der Eroberung erlitten hatten. Immerhin haben sich die Serben als erste mit eigener Kraft ihre Freiheit erkämpft. Aus dem Ersten Weltkrieg gingen sie an der Seite der Siegermächte hervor.

Wenig Lernfähigkeit

Eine sehr wesentliche Kehrseite dieses an sich positiven und erfolgreichen Verhaltens aber ist, daß die Serben nicht nur ihre Freiheit lieben, und dabei eine erstaunliche, sozusagen spontane Demokratie entwickelt haben - nicht im politischen, sondern im sozialen Sinne -sondern, daß sie überhaupt nichts annehmen. Vorbilder sind ihnen nur Serben, aber aus eigenen Erfahrungen zu lernen kommt in ihrem Denken gar nicht vor.

Im täglichen Leben zu Hause lernen die Söhne zu sein, wie die Väter, die Töchter wie die Mütter. Selbst im Ausland sind sie schwer assimilierbar. (Eine junge Generation, die schon andere Lebenspiuster praktiziert, ist auf der politischen Bühne noch nicht sichtbar.)

Daher die tiefe Beziehung zur Vaterfigur auch im öffentlichen Leben. Eine serbische Dynastie von Gottes Gnaden an der Spitze des Ersten Jugoslawien war für die Serben unabdingbar, der Kommunist Tito überrumpelte die Serben zwar politisch, er entsprach dennoch der Vatefigur, der sie sich murrend aber doch fügten. Wer in späteren Jahren Tito ablehnte, wählte den Serben Alexander Rankovic (einst allmächtiger, dann gestürzter Innenminister) zum Symbol des ungerechtfertigt gedemütigten Serbien. Darin liegt einer von mehreren Kernen des serbischen radikalen Nationalismus.

Zuerst tätig, dann tätlich

Eine wirklich demokratisch orientierte Opposition repräsentierte nur ein kleiner Kreis von Intellektuellen. Die meisten von ihnen folgen heute wieder dem Ruf des „Serbentums" - das an Tradition, an Patriarchat anknüpft, nicht an Fortschritt, an Pluralismus, Toleranz, Demokratie. Selbstanalyse und Ratio liegen den Serben aber nicht. Wenn sie tätig werden, werden sie daher schnell tätlich - nicht Überlegung lenkt ihr Handeln. Nicht einmal die Aussicht auf Mißerfolg kann sie bremsen. Je mehr sie sich ins Unrecht stürzen, desto leidenschaftlicher rufen sie „Für Serbien in den Tod".

Es ist daher nur logisch - wenn auch nicht intelligent - wenn sie in der heutigen Bedrängnis, wo die eigenen Mütter ebenso wie die Weltöffentlichkeit immer kritischer gegen die serbischen Serben werden, den „Feind von außen" suchen. Es fällt ihnen nicht schwer, ihn zu konstruieren - denn sie selbst sind nie und an nichts schuld.

Eben deshalb aber sollten wir, die wir das alles begreifen, nach Wegen suchen, um den Serben die Selbsterkenntnis zu ersparen, und sie stattdessen mit nackten Fakten der Konsequenzen ihres Handelns konfrontieren.

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