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Joseph Ratzinger: Für Unsterblichkeit gerüstet?

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Die Frage, ob es eine Zukunft über den Tod hinaus gibt, hat die Menschen immer von neuem beschäftigt und wird sie wohl auch nie loslassen. Wo das Leben als Leid erfahren wird, kann der Gedanke an ein Fortgehen des Lebens nach dem Tod zum Alptraum werden, wie im Buddhismus und in manchen Formen des Hinduismus. Man war sich dort bewußt geworden, daß der Mensch sich durch sein Werk tief in die Geschäfte dieser Welt verstrickt, so daß er nach seinem Verscheiden gleichsam mit seinen Wurzeln darin haften bleibt.

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Die Frage, ob es eine Zukunft über den Tod hinaus gibt, hat die Menschen immer von neuem beschäftigt und wird sie wohl auch nie loslassen. Wo das Leben als Leid erfahren wird, kann der Gedanke an ein Fortgehen des Lebens nach dem Tod zum Alptraum werden, wie im Buddhismus und in manchen Formen des Hinduismus. Man war sich dort bewußt geworden, daß der Mensch sich durch sein Werk tief in die Geschäfte dieser Welt verstrickt, so daß er nach seinem Verscheiden gleichsam mit seinen Wurzeln darin haften bleibt.

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Die Hinterlassenschaft seines Tuns wirkt fort, er bleibt eingezwängt in die Passion dieser Welt, der er selbst neue Nahrung zugeführt hat; solange diese Hinterlassenschaft seines Tuns, sein „Karman“, beiträgt zum Leiden dieser Welt, solange ist er auch selbst nicht frei, solange gehört er irgendwie mit hinein in die Tragödie eines Lebens, das Leid ist. Das Ziel muß also für solche Weltanschauung sein, das Karman, die weiterschwelende Flamme des irdischen Seins zu löschen und so zu versinken im Nir-vana, der leidlosen Seligkeit des Ganz-Anderen, das so sehr die Entgegensetzung zu unserem Sein als Leid darstellt, daß es verglichen dazu das „Nichts“ heißen muß.

Endlosigkeit oder Unendlichkeit?

Auch in dieser Sehnsucht nach dem Verlöschen in das Nichts hinein gibt es also wohl, wenn auch ganz verhüllt die Hoffnung auf das Eigentliche, auf Erlösung von dem Sein, das Leid ist. Wenn sich hier die Hoffnung des Menschen als Sehnsucht nach dem Nichts darstellt, so trifft man im übrigen viel häufiger auf die umgekehrte Weise des Empfindens: Der Mensch, der die Gabe des Seins, des Lebens gekostet hat, erschrickt vor dem Nichts, dn das der Tod ihn zu stürzen scheint; er versucht, ihm zu entfliehen. Er sehnt sich nach Leben, nach Zukunft; ja, so sehr ist der Mensch auf Zukunft bezogen, daß derjenige, der keinerlei Zukunft mehr vor sich sieht, auch die Gegenwart nicht mehr ertragen kann — eben deshalb schrecken wir ja beispielsweise davor zurück, dem unheilbar Kranken eindeutige Auskunft über seine Lage zu geben.

Freilich, wer genauer nachdenkt, wird durchaus gewahr werden, daß auch ihm die vorhin angedeutete Empfindung des indischen Menschen keineswegs einfach fremd ist. Niemand kann sich wünschen, daß es endlos so weitergehe; die Endlosigkeit unseres Alltagslebens ist kein erstrebenswertes Ziel und deshalb kann eine medizinisch hergestellte Unsterblichkeit für den Menschen und die Menschheit im Grunde nur ein Alptraum sein: Der Mensch ist seelisch nicht zugerüstet für die Unsterblichkeit des Leibes und die Menschheit müßte an den inneren Spannungen zerbrechen, die ihr aus dem Nebeneinander von Generationen erwüchsen, die sich immer schneller voneinander entfernen, abgesehen von den wirtschaftlichen Problemen, die sich auf einer solchen Erde der Alten ergäben. So steht der Mensch vor der Spannung, daß er Unendlichkeit will, aber Endlosigkeit fürchten muß; daß er Zukunft einerseits braucht und anderseits sie nicht ertragen kann. Er müßte also zugleich sterben und weiterleben — vor dieses Dilemma stellt ihn die Komplexität seines Wesens. Sein Eigentliches müßte bleiben — die köstliche Gabe des Lebens, der Liebe, der Freude; sein Ureigentliches müßte aufhören — das endlose Nacheinander der sorgeerfüllten Tage, in denen er nur selten und wie von ferne das berührt, was ihm in Wahrheit als „Leben“ erscheint. Aber wie soll es dahin kommen?

Wenn uns die eigene Richtung des menschlichen Zukunftsverlangens dazu zwingt, zwischen dem vordergründig Faßbaren des menschlichen Alltags und dem nur immer wieder verborgen zu berührenden eigentlichen Leben zu -lnterscheiden, dann muß mit innerer Notwendigkeit die Frage nach dem Kommenden über das Greifbare hinaus auf die Spur des Geheimnisses führen. Auf der anderen Seite bedarf der Mensch der Gewißheit, wo es um Sein oder Nichtsein geht, mehr als irgendwo sonst; wenn sie sich ihm nicht selber gibt, versucht er, sie sich zu schaffen.

Die Wege, auf denen dies versucht worden ist, sind äußerlich mannigfaltig, tiefer gesehen sind sie einander doch erstaunlich gleich. Wer heute über einen Friedhof geht, findet in der Hauptsache die Namen von Menschen, die in den letzten fünfzig Jahren verstorben sind. Der Schmuck an ihren Gräbern zeigt, daß Lebende ihrer in Liebe gedenken. Ihre Kinder und ihre Freunde leben noch, man weiß noch um ihr Tun und ihr Bild steht noch vor Augen — im Gedächtnis derer, die sie lieben, bleiben sie anwesend. In einer Art von zweitem Leben gehören sie noch einmal dieser Welt zu. Eines Tages werden die Letzten sterben, die um sie wußten, ihr Grabstein wird durch einen andern ersetzt werden, ihr Name und ihr Bild verschwinden, sie , sterben gleichsam ein zweites Mal, wenn das Gedächtnis der Menschen verlischt, das ihnen Dauer gab über den physischen Tod hinaus.

Der Glaube der „Primitiven“

Man kann damit in unserer modernen Welt genau das beobachten, was in sogenannten „primitiven“ Religionen ausdrücklicher Inhalt des Unsterblichkeitsglaubens ist. Dort ist man davon überzeugt, daß es kein ewiges, sondern nur ein zeitlich begrenztes Weiterleben nach dem Tod gibt, daß der „Geist“ des Verstorbenen nur lebt, solange seiner gedacht wird — das Gedenken gibt ihm Leben; aber eben doch ein vermindertes Leben, wie es sich in der Vorstellung der Toten als Geister ausdrückt. Der Totenkult des alten Ägypten ist von hier aus gesehen ein grandioser Versuch, die immerwährende Unsterblichkeit zu erzwingen, indem man sein Gedächtnis unaustilgbarmacht und sich eine Wohnung auf Erden baut, die alle Zeiten überdauert. Nun wechseln zwar die Vorstellungen und so auch die äußeren Formen, in denen der Mensch die Frage nach seiner Zukunft jenseits des Todes durch die Tat zu beantworten versucht; der Grundgedanke, der dabei leitend ist, bleibt durch den Wechsel der Kulturen hindurch erstaunlich konstant.

Versuchen wir, ihn noch etwas präziser zu fassen; wir werden dann von selbst auch mit der christlichen Antwort auf unser Problem konfrontiert werden. Die erste Erfahrung des Menschen ist zunächst die seiner Sterblichkeit; er sieht, daß er aus sich und in sich keinen Bestand hat. Die Kunst der Ärzte kann zwar die Grenzen seines Lebens hinausrük-ken; Bestand geben kann sie ihm nicht und selbst wenn sie Hoffnung zeigen sollte, eines Tages das Kräutlein der Unsterblichkeit doch noch zu finden, kann der lebende Mensch von einer so vagen Verheißung nicht ausgehen. Er hat in sich selbst keinen Bestand, also muß er ihn außer sich suchen. Er muß gleichsam sich selber, seine Existenz, dem anvertrauen, was nach ihm noch sein wird und fortdauert in eine lange Zukunft hinein.

Aber wie soll das geschehen? Der erste Weg, den vor allem die sogenannten Naturvölker, aber zunächst auch das alte Israel gesucht haben, heißt: Zukunft durch Nachkommenschaft. In den Kindern lebt das eigene Blut weiter, in ihnen hofft etwa der Israelit, Anteil zu gewinnen am messianischen Reich, also an jener Zeit, in der es endlich das eigentliche Leben geben wird, jenes Leben, das lohnt, immer fortzubestehen, weil es die Fülle und die Freude bringt, die wir jetzt nur augenblicksweise erahnen. Das Schlimmste für einen Menschen war es daher in Israel, kinderlos aus der Welt zu scheiden und so wirklich ausgeschlossen zu werden von der Zukunft, vom Leben.

Wenn man genau zusieht, sind hier zwei Motive wirksam: einmal die Vorstellung, mit dem Namen das Gedächtnis fortzusetzen, zum andern der Versuch, mit der Lebensweitergabe auch etwas von der Substanz des Eigenen lebendig zu halten. Das alte Born hat demgegenüber mehr auf den Gedanken des Ruhmes gesetzt: sich seinen Taten anzuvertrauen und durch sie immerfort in der Menschheit weiterzuleben. Im Grund ist unser marxistisch gestimmtes Zeitalter von solchen Versuchen der Zukunftsbeschaffung gar nicht allzuweit entfernt. Zukunft, das ist nun die Gesellschaft, in der Unterdrückung und Ungerechtigkeit beseitigt sind; man gehört der Zukunft zu, man hat Zukunft, indem man sich an dem Kampf um diese Gesellschaft beteiligt.

Das Gemeinsame aller dieser Antworten besteht darin, daß sie die Zukunft des Menschen in einem Dritten suchen, das nicht eigentlich er. selbst ist; vor allem aber darin, daß sie die Lösung nicht in Form einer theoreti-' sehen Aussage, sondern durch die eigene Aktivität des Menschen geben, der sich aktiv seine Zukunft baut: Sie vertrauen die Zukunft nicht dem Glauben, sondern dem Tun an. Für den Menschen von heute, der nur noch die nachprüfbare praxisbezogene Erkenntnis annimmt, scheint dies der einzige Weg zu sein.

Aber ist er eigentlich vertrauenswürdig? Wird der Kampf der Gegenwart wirklich morgen eine gerechte Gesellschaft hervorbringen und wird diese Gesellschaft tatsächlich auch in Zukunft für uns sein? Oder ist das, was vom Menschen weiterlebt, wenn er in Kindern, in seinem Namen, in seinen Taten fortbesteht, nicht doch immer nur ein unwirklicher Schatten, der überdies schnell zerfällt? Genau an dieser Stelle setzt der Glaube des Neuen Testaments an. Er gibt dem Menschen durchaus recht mit seiner Uberzeugung, daß er aus sich ohne Bestand ist und daher nur fortleben kann, wenn er in einem anderen lebt.

Aber, so muß man in seinem Sinn weiterfahren; dieses Bemühen nach Leben im anderen würde Sinn nur haben, wenn der andere, dem wir uns anvertrauen, nicht wiederum, wie wir selbst, vergeht, sondern wirklich bleibt; es würde Sinn ferner nur dann haben, wenn dieser andere nicht bloß einen Schatten von uns — unseren Namen, unser Erbgut —, sondern' wirklich uns selber festzuhalten vermöchte. Solches aber kann nur gelten, wenn Gott des Menschen gedenkt: Nur er bleibt, nur sein Gedanke ist Wirklichkeit. Und eben dies ist die hoffende Gewißheit, die der biblische Glaube gewähren will: Der Ewige gedenkt des Menschen, der Mensch lebt im Gedenken Gottes und so wahrhaft als er selber, denn Gottes Gedanke ist kein Schatten, sondern Wirklichkeit.

Die Antwort des Christentums

Nun beginnen für uns Menschen von heute an dieser Stelle, an der der Umriß der christlichen Antwort sichtbar geworden ist, die Fragen erst so richtig. Nur eine davon kann ich im Rahmen dieser Überlegungen noch etwas näher beleuchten. Wir hatten vorhin festgestellt, daß der Mensch im Lauf der Geschichte und heute mehr denn je versucht hat und versucht, die Frage der Zukunft aus dem Raum der Theorie und des Glaubens herauszunehmen und zu einer Sache seiner Tat zu machen: Der Tod ist auf diese Weise die ganze Geschichte hindurch zum mächtigsten Stachel des Lebens geworden; die Menschheit hat immer weit mehr von ihrer Zukunft als von ihrer Gegenwart gelebt, und an der Art der Werke, die die einzelnen Völker hinterließen, kann man recht gut ihre Form von Hoffnung wie ihr Verständnis der Todesfrage ablesen.

Aber wie steht es in diesem Blickwinkel mit der christlichen Antwort? Weist sie uns nicht in die reine Passivität des bloßen Erwartens zurück, das dem Menschen keine Aufgabe setzt und so sein Leben entwertet? Ist sie vielleicht deshalb unserem aktiven, praxisbezogenen Zeitalter so fremd geworden? Nun, eine gewisse Entmächtigung des Menschen bedeutet diese Antwort auf jeden Fall. Der Traum, er könnte sich selbst Unsterblichkeit geben, wird ihm in der Tat zerschlagen. Er wird genötigt, von der eigenen Macht weniger zu halten und mehr von der Liebe, die er nun einmal nur geschenkt bekommen kann.

Aber damit sind wir schon bei der zweiten Hälfte unserer Antwort angelangt: Unsterblichkeit hat nach christlichem Glauben fundamental mit der Liebe zu tun. Das allein Ewige ist die Liebe; als Liebe ist Gott Ewigkeit. Und seine Liebe wiederum ist des Menschen Ewigkeit, im Geliebtsein von der ewigen Liebe ist er unvergänglich aufgehoben. Er ist es, weil er selbst lieben kann. Auch ihm gibt nur die Liebe Ewigkeit; von dem Maß und von der Weise seines Liebens hängen Maß und Weise seiner Ewigkeit ab. Wenn aber sein Lieben seine Zukunft ist, dann ist Zukunft für ihn ebenso Tat wie Emp-fanÄT-^Ä^in #^*nd ganz sein Geschenktes zugleich. Des Menschen und der Menschheit Hoffnung ist die Liebe — so lautet die Antwort des christlichen Glaubens, der darin ganz realistisch, der nüchternen Praxis des Alltags zugewandt und ganz Glaube ist, dem Unverfügbaren geöffnet, das weit über unser Leisten hinaus uns beschenkt mit dem, was kein Mensch zu geben vermag: mit ewigem Leben.

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