7023120-1989_01_07.jpg
Digital In Arbeit

Für Wertkonsens

Werbung
Werbung
Werbung

In Österreich haben 1987 um 104 Prozent (!) mehr Inländer, die bereits Nachwuchs hatten, eine Erstehe geschlossen als im Jahr davor. Bekanntlich wurde mit 1. Jänner 1988 die Heiratsbeihilfe von 7.500 Schilling pro Ehepartner gestrichen.

Schon dieses in einem Arbeitskreis der Pastoraltagung angeführte Beispiel zeigt, wie gesellschaftliche Rahmenbedingungen das Heiratsverhalten beinflussen können. Bei so manchen kommt vor dem „Ja“ vor dem Standesbeamten (dem nach wie vor die Mehrheit ein „Ja“ vor dem Priester folgen läßt) die reifliche Überlegung, wie sich das wirtschaftlich auswirkt, ob nicht der Bezug von erhöhtem Karenzurlaubsgeld oder Sondernotstandshilfe (begrüßenswerte, aber leider auch mißbrauchbare Sozialmaßnahmen) wegfällt.

Der Schweizer Theologe und Psychotherapeut Josef Duss-von-Werdt stellte klar, daß Paarbeziehungen von der Institution Ehe zu unterscheiden seien. Von der Entwicklung der Paarbeziehung - die paarintemen und paarexternen Bedingungen und nicht „vollumfänglich“ dem Willen der Partner unterworfen sei - hingen Gelingen oder Mißlingen einer Ehe ab. Daß sich Nicht-Verheiratete leichtfertiger trennten als Eheleute könne er nicht bestätigen, auch nicht, daß etwa katholische Ehen besser hielten als evangelische - in den großen Städten der Schweiz sei das Gegenteil der Fall.

In den letzten 150 Jahren sei - so Duss-von-Werdt - die durchschnittliche Dauer von Ehen -aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung - von 15 auf 45 Jahre gestiegen. Schwierig seien in einer so langen Ehe die Ubergänge vom Paar zur Familie und dann wieder von der Familie zum Paar (wenn die Kinder aus dem Haus sind, haben die Eltern noch die Hälfte ihrer Ehe vor sich).

Scheidungen sind in den ersten fünf Ehejahren am häufigsten, immer öfter kommen sie auch um das 15. Ehejahr herum vor, erklärte Duss und betonte: „Ehe ist nicht, sie wird. Sie ist ein Weg, der erst im Gehen entsteht.“

Die Möglichkeit der Scheidtitig sei ein gutes Druckmittel für die Frauen (75 Prozent aller Scheidungen reichen Frauen ein), meint die Wiener Psychologin Anneliese Fuchs, die auf den Wandel der Familie vom produzierenden System zur fast ausschließlich auf das Aufziehen von Kindern beschränkten Einrichtung hinwies und das Dilemma einer Mutter von heute beklagte: Gehe sie außerhäuslich arbeiten, vernachlässige sie Kind(er) und Haushalt und bekomme Vorwürfe, bliebe sie daheim, gerate sie in Isolation und werde gesellschaftlich kaum anerkannt. Teilzeitbeschäftigung sei kein „Allheilmittel“, auch die Erziehungsleistung einer Hausfrau und Mutter gehöre honoriert.

Dafür plädierte auch der Wiener Weihbischof Helmut Krätzl in seinem Referat am Ende der Ta-, gung. Es sei ein weitgehender Konsens über die Bedeutung der Familie vorhanden, sagte Krätzl, im Volk jedenfalls, leider nicht bei einzelnen Parteiideologen. Der Staat gebe gewissen Trends (etwa zu vorehelichen Beziehungen) nach und fördere sie sogar. Eheleute und insbesondere kinderreiche Familien würden hingegen benachteiligt.

Die steuerliche Situation und der Rhythmus der Erwerbsarbeit seien sehr belastend für die Kleinfamilie, das Erziehungsrecht sei eingeschränkt, der Sozialstaat habe die Sorge um Alte, Kranke und Behinderte übernommen. Wo man sich dieser Aufgabe in der Familie noch annehme, werde es kaum geschätzt.

Krätzl trat für einen „Wertekonsens, der nicht nur kleinster gemeinsamer Nenner ist“ und für ein Unterrichtsprinzip Erziehung zur Gemeinschaft und zur Beziehungsfähigkeit ein, statt nur „Zärtlichkeit und Kontaktspiele“ einzuüben. Den „Mut zu Idealbildern“ forderte Krätzl von der Gesellschaft und von der Kirche. Man dürfe dabei aber nicht die Realität übersehen und müsse mit dem Spannungsfeld Idealbild-Realität leben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung