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Für Wien gebucht

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Der von Nikolaus Harnoncourt und Jean-Pierre Ponnelle am Opernhaus Zürich erarbeitete Monteverdi-Zyklus hat mit „II Ritorno d’Ulisse in Patria” seinen Abschluß gefunden, einem Bilderbogen frei nach Homer um das glückliche Ende der Irrfahrten des Odysseus. Eine Attraktion, zweifellos, liegt mit diesen drei Stücken vor: „L’Orfeo” („Orpheus”), „L’Incorona- zione di Poppea” („Die Krönung der Poppea”) und der „Rückkehr des Odysseus in sein Vaterland”, den einzigen „vollständig” erhaltenen Opern Monteverdis. Vollständigkeit bedeutet hier, daß das vorhandene Material ausreicht, aufführbare Einrichtungen herzustellen; für den „Ulisse” und die „Poppea” kann auf das weit genauer überlieferte Klangbild des „Orfeo” zurückgegriffen werden, der freilich, mehr als drei Jahrzehnte vorher entstanden, einem anderen Stilbereich angehört.

Die Zürcher Produktionen, für die Dreihundertjahrfeier der Hamburgischen Staatsoper, für die Festivals von Wien, Edinburgh und Berlin bereits fest gebucht, haben ihren kaum überbietbaren Reiz darin, daß sich Stilkenntnis (es wird auf Instrumenten aus Renaissance und Barock musiziert) in den Dienst geradezu entfesselter theatralischer Sinnlichkeit stellt; keine Frage, daß dies bei der „Poppea” - mit dem besten Libretto der drei Stücke - am überzeugendsten gelang. Beim „Ulisse” spielte Ponnelle (wieder einmal) auf der Klaviatur seiner Einfälle. Er stand wohl - mehr als Harnoncourt, von dem bereits Schallplatteneinspielungen aller drei Opern vorliegen - unter dem übermäßigen Erwartungsdruck, nun die szenische „Krönung” setzen zu müssen. Und dafür eignet sich gerade der „Ulisse” (übrigens ein Jahr vor der „Poppea”, 1641, in Venedig uraufgeführt) nicht sehr gut.

Das Libretto von Giacomo Badoaro gilt als schwach, ja literarisch wertlos. Ich halte dieses häufig zu lesende Verdikt für übertrieben, aber gewiß ist, daß es eine bloße Bilderfolge verstellt, in der - nach einem allegorischen Pro-

log - Elemente des Göttermythos und der realistischen Fabel, wie sie von Homer überliefert ist, sich zuweilen unvermittelt mischen. Den Ausschlag hat seinerzeit wohl der Gedanke an Bildwirkung und Abwechslung gegeben. Aber was ist daran Schlechtes? Ponnelle hat die Gegensätze beim Wort genommen und noch etliches Spektakel dazuerfunden, es zu einem szenischen Furioso von Hell-Dunkel- Sequenzen, von komisch-ernsten Wechselbädern gesteigert. Im Laufe des Abends schälen sich die Zwischentönungen, die Szenenübergänge, als das Beherrschende, den Eindruck,Bestimmende heraus.

Für den ganzen Zyklus gilt: Es gibt keine Sängerhierarchie mehr; einer, der eine große Partie zu singen hat, übernimmt zusätzlich noch eine kleine, Sänger und Musiker agieren auf einer Ebene, die Musiker beteiligen sich an der Szene und transportieren Requisiten, wenn’s für den Ablauf notwendig ist. Es gibt auch nicht - das gilt vor allem für die Werke selber - den immer wieder behaupteten Vorrang der Musik vor dem Sinn des Wortes, den legalisierten Unsinn der Oper; im Dramma in musica - dies die Titelbezeichnung der beiden Spätwerke Monteverdis - geht es darum, das Wort mit Hilfe der Musik auf der Szene sichtbar zu machen: die Szene wächst aus der Musik heraus.

Besseres ist über eine musiktheatralische Realisierung nicht zu sagen. Harnoncourt und Ponnelle haben ein Höchstmaß an Lockerung starrer Opemgepflogenheiten erreicht. Die Fachdiskussion um „Authentizität” wird davor gegenstandslos. Mit besonders durchdachter Rollengestaltung und überlegenem Gebrauch seines schönen Materials beeindruckte Werner Hollweg, dem seine Mozart- Erfahrung („Titus” in Salzburg) zugute kam, als Odysseus; Ortrun Wen- kel gab mit sattem Alt und in konzertanter Reinheit die Penelope, die sich verbirgt hinter ihrem Klageton, hinter ihrer statuenhaften Unnahbarkeit.

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