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Fulminanter Abschied

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Wieder war es Hans Hollmann, der in Basel ein Schauspiel zur (gelungenen) Aufführung brachte, das bisher - ähnlich den „Letzten Tagen der Menschheit“ - eher für ein Marstheater geschrieben schien als für eine zeitgenössische Bühne, und das seit seiner unglücklichen Uraufführung in Braunschweig 1965 als praktisch un-spielbar galt. Als Elias Canetti mit strahlendem Lächeln die einhellige Zustimmung des Premierenpublikums zur Inszenierung seiner „Komödie der Eitelkeit“ entgegennehmen konnte, schien endlich für diesen Dichter der (späte) Durchbruch auch auf der Bühne gekommen zu sein. Er verdankt es Hollmann, der in seiner letzten Schauspielinszenierung als Theaterchef in Basel nochmals einen ähnlichen Kraftakt vollbrachte, wie seinerzeit mit Karl Kraus, als er mit der spektakulären Aufführung der „Letzten Tage“ den Ausschlag für seine Berufung nach Basel gab.

Macht und Wahn der Massen, Getriebensein, Hemmungslosigkeit und Egoismus des einzelnen sind Canettis Themen, und nicht nur hierin sind gewisse Parallelen zu Kraus zu sehen. Das 1933/1934 geschriebene, erst 1950 publizierte Stück ist ein Monstrum an Text, an Einzelszenen und surrealen Passagen. Es ist ohne Zweifel das zeit-kritischste unter Canettis Bühnenstücken und nimmt eine ganze Menge an politischer Entwicklung der damaligen Jahre vorweg.

Es beginnt mit dem Beschluß einer Regierung, die Eitelkeit zu verbieten. In einer Art Massenhysterie wird alles zerstört, was der Eitelkeit und der Schmeichelei dienen könnte: Spiegel, • Photographien, Bilder - doch bald sucht sich das verhinderte Laster Auswege. Mit Glasscherben und Metallen wird ein schwunghafter Schwarzhandel getrieben, Denunziation und Verfolgung sind an der Tagesordnung, grundlegende animalische Instinkte werden angesichts der Verbote und der Todesstrafe wach. Schließlich sitzen die Menschen in einem riesigen Spiegelkabinett wie in

einem Bordell - sie haben alles vergessen, Liebe, Leben und Erotik - sie starren selbstvergessen ins eigene Gesicht. Im Hintergrund erhebt sich die Stimme des neuen Volkshelden, In ihrem Wahn nach Freiheit folgen sie ihm: „Ich, ich, ich...“ klingt es im Chor. Die totale Kommunikationslosigkeit, die Unfreiheit ist größer denn je.

Hans Hollmann hat dieses Stück, das trotz allem Massenwahn von der Variabilität der Sprache lebt, ohne Jahrmarktspomp auf das Wort hin inszeniert. Spürbar genoß zunächsfdas Publikum die ironisch-scharfe Heiterkeit einzelner „Sketches“, vom fast vollzählig vertretenen Basler Ensemble mit Bravour ausgespielt und vom Regisseur bewußt als Kontrast zu der sich steigernden Hintergründigkeit und Beklemmung eingesetzt. Sparsamste Bühnenausstattung (Hannes Meyer), aus einer hellen Rückwand, sechs auf beweglichen Gestellen angebrachten Scheinwerfern und hier und da einem Möbelstück bestehend, ließ das mit rotem Pomp und Plüsch ausgestattete Spiegelbordell im letzten Teil zu grotesker Version aufleuchten. Hollmann ließ sich hiezu eine verzerrte Wiener-Walzermusik schreiben. Das derart nach Horväthscher Methode demaskierte „goldene Weaner Herz“ und eine ausgefeilte Sprachtechnik unterstrichen nicht nur das agressive Geschehen auf der Bühne zu höchster Eindringlichkeit, sie konnten auch - zumindest zum überwiegenden Teil - die fast unerfüllbaren Anforderungen Canettis an ein Theater realisieren, wozu auch die stark österreichisch geprägten Teile gehören.

Das rund 30köpfige Ensemble - in dem fast allen Figuren gleiche Wichtigkeit zukommt - bot ein virtuoses und geschlossenes Bild gleichzeitig beklemmender Drastik und symbolhafter Stilisiertheit. Den stärksten Eindruck hinterließen Nicola Weisse (Therese Kreiss), Eva Maria Duhan (Emilie Fant) sowie Judith Melles und Max Knapp in den herrlich-schaurigen Rollen der Franzi und des Franz Nada.

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