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Fundamentalismus: Die Rebellion der Habenichtse

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Die führende Beteiligung „zorniger junger Männer", und gerade von Jungakademikern an der Ermordung Präsident Sadats in Ägypten und dem parallelen Versuch einer Islamischen Revolution nach iranischem Muster hat auch von der arabischen Jugend ein völlig neues Bild gezeichnet.

Die bärtigen Verschwörer im Eisenkäfig des Militärgerichtes von Kairo waren denn auch während ihres Prozesses weder durch die wochenlange Haft noch von den zweifellos rnit Folterungen verbundenen Verhören gebrochen: Krampfhaft hielten sie ihre Korane, die heiligen Bücher des

Islams, umklammert, rühmten sich noch ihrer Gewalttaten und sahen der ihnen drohenden Todesstrafe mit überspannter Jenseitssehnsucht entgegen.

Keineswegs ist dies eine Jugend, die auf einmal fromm geworden wäre, sondern junge Menschen, die in ihrem Staat mit seiner Notwirtschaft und überwiegenden Elendsgesellschaft von Kindesbeinen an einfach nichts zu erfreuen und nichts zu erhoffen hatten, die darum allzu früh mit dem Leben abgeschlossen haben: nur noch alles und sich selbst vernichten und so den Zugang ins von Muhammad verheißene Paradies erzwingen wollen. Besonders heftig ist diese Frustration und ihr Umschlagen zum religiösen Fanatismus in den Studentenkreisen.

An den Hochschulen von Kairo und Alexandria, Mansurah und Assiut hatten die jungen Leute einerseits gelernt, was alles verbesserungsbedürftig wäre und wo man die Hebel dafür ansetzen müßte. Andererseits haben sie wegen der fehlenden Infrastrukturen dann auch als vollpromovierte Akademiker kaum eine an-

dere Aussicht als auf einen unterbezahlten Staatsposten.

Anderweitige Erfüllung im Privatleben am eigenen Herd bleibt wegen der drückenden Wohnungsnot meist um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte versagt. Und die sexuellen Tabus der orientalischen Gesellschaft — das gilt für Muslime und Christen dort in gleicher Weise — verhindern so gut wie jede vor- und außereheliche Liebesfreude.

Wer sich also nicht aus diesem — von ein paar Zigaretten und Tassen Tee abgesehen — richtigen Hundeleben in den Himmel des islamischen Fundamentalismus flüchtet, versucht den Weg der Auswanderung.

In jedem Hotel und Restaurant der ägyptischen Fremdenverkehrszentren stößt der Tourist auf Psychologen, Agrarfachleute oder Maschinenkonstrukteure, die als Kellner, Portiere und Telefonisten vom Boom der Pyramidenreisenden immerhin besser als im anstudierten Beruf profitieren. Und dennoch liegt ihnen allen die Frage und Bitte nach einem Job zwischen Europa, Nordamerika, Südafrika und Australien auf den Lippen.

Darüber hinaus ist die Beteiligung junger Handwerker und Facharbeiter an den islamischen Revolutionsbewegungen überraschend hoch. Man hätte bei ihnen nach unseren Maßstäben eher eine „linke" Ausrichtung erwartet.

Doch in den kleinbürgerlichen Kreisen, aus denen sie größten-

teils stammen, ist ihnen streng islamische Gesinnung von der Wiege an eingeimpft worden; und parallel dazu das System der Kinderarbeit aufgezwungen.

Eine ausgerechnet im „Jahr des Kindes" in Ägypten durchgeführte Untersuchung hat ergeben, daß 42 Prozent aller Arbeitskräfte Jugendliche unter 14 Jahren waren, davon mehr als drei Viertel Mädchen. Dieser traurige Sachverhalt dürfte auch für andere arabische Länder zutreffen; ebenso die Tatsache, daß gerade Mädchen und junge Frauen innerhalb der islamisch übertünchten Rebellion durchaus ihren Mann stellen.

Bei den armen Arbeiterinnen, Verkäuferinnen und Studentinnen ist heute eine völlige Wiederverhüllung zum Symbol des sozialen Aufbegehrens geworden—und zwar nicht nur Verschleierung von Kopf bis Fuß, sondern dazu noch Handschuhe und dunkle Brillen vor den Sehschlitzen als einzige Waffe in einem Arbeitskampf, der weder Streikrecht noch Mutterschutzbestimmungen kennt.

Ähnlich hatte die Wiederverschleierung im algerischen Freiheitskrieg einen antikolonialisti-schen, im Iran einen Protest gegen Gewaltherrschaft und Verwestlichungspolitik des Schah dargestellt.

Auch bei diesen Werktätigen, gleich welchen Geschlechts, ist der Emigrationstrieb stark. Unter ihnen allerdings nicht Richtung westliche Industrieländer, sondern nach den reichen arabischen ölstaaten. Dort lernen sie nun eine ganz andere Art von Lebenskünstlern und Sonnenkindern Allahs kennen wie sie in der Heimat nur für einige wenige hundert Familien der bestsituierten Oberschicht typisch war.

In Saudiarabien, Kuwait und den Golfstaaten sehen sich die Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter mit einer meist nicht nur überfressenen, sondern auch sonst an allen materiellen Gütern satten Bevölkerung gegenüber. Diese hat sich fast völlig an das feudale Machtsystem der Länder angepaßt und kann sich Luxusleitbilder vom schnittigen Sportwagen bis zur goldenen Uhr und Orgienparty leisten.

Darüber sprachlos und empört geraten die ohnedies schon fundamentalistisch vorbelasteten Habenichtse rasch in den Bann radikaler Moscheeprediger. An solchen fehlt es gerade in Saudiarabien nicht.

Hier hatte lange vor dem Erdölsegen und dem Einsetzen der Prinzeninflation aus den königlichen Harems die allerstrengste Form des Islam in Gestalt der Wahhabitensekte den Ton angegeben. Bei allen jenen, die vom Verteilerkreis der Petrodollars ausgeschlossen sind, tut er es heute noch.

Sowohl bei der weltweit bekannt gewordenen Besetzung der „Großen Moschee" in Mekka Ende November 1979 wie bei den von den Saudis fast völlig verheimlichten neuen Unruhen um die Kaaba im Oktober 1981 haben ägyptische und tunesische Emigranten entscheidend mitgespielt

Uber die Geheimbünde „Sühne und Weltflucht" (Takfir wa Hid-schra) sowie die zuletzt gegen Sa-dat und Mubarak hervorgetretene „Heilig-Krieg-Organisation" (Dschihad) gelangt diese wahha-bitisch verstärkte Fundamentalistenwelle in die Ursprungsländer zurück, vor allem nach Ägypten.

Nicht nur die Waffen für die Islamische Revolution wurden größtenteils von im Urlaub heimkehrenden Gastarbeitern in Waschmaschinen und Fernsehgeräten versteckt eingeschmuggelt. Auch die reichen finanziellen Mittel der Fundamentalisten-Bünde stammen größtenteils von schwerverdienten Spargroschen in den Landen der Ölscheichs.

Aber weder der Islam noch die hohe Nahostpolitik können diesen von allen Seiten betrogenen und verratenen Fundamentalisten helfen. Ihre Probleme müßten von unten durch strukturelle ' Verbesserungen und soziale Reformen an der Wurzel angepackt werden.

Doch typisch war die ägyptische Antwort auf einen fix und fertig erstellten Entwicklungsplan für das mittlere und obere Niltal: ein Notstandsgebiet, wo es nicht von ungefähr zum bisher stärksten Ausbruch der Islamischen Revolution nach dem Tode Sadats gekommen ist. In Kairo hieß es aber als Antwort auf das Sanierungsprogramm lakonisch: Wir brauchen das dafür nötige Geld viel dringlicher, um Waffen zu kaufen!

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