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Furcht vor „Euroshima”

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Die Angst vor dem großen Atomkrieg geht um. Auch in Österreich. Ein „Euro-shima” wird befürchtet. Unterschätzt die ehrliche Sorge nicht realistischere Gefahren?

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Die Angst vor dem großen Atomkrieg geht um. Auch in Österreich. Ein „Euro-shima” wird befürchtet. Unterschätzt die ehrliche Sorge nicht realistischere Gefahren?

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Betrachtet man die Argumente der jetzigen Friedensbewegung, müßte sich der Schluß aufdrängen, daß die Gefahr eines Krieges—und hier vor allem eines Atomkrieges — in Europa in der letzten Zeit, vor allem seit der Beschlußfassung über die Stationierung amerikanischer Kernwaffen, erheblich angestiegen sei. Damit wäre freilich auch die Sicherheit Österreichs gleichermaßen bedroht, da die Entwicklungen der europäischen Sicherheit die Sicherheit Österreichs unmittelbar betreffen müßten.

Insoferne ist es verständlich, daß die Betroffenheit wegen der möglichen Verschlechterung der gesamteuropäischen Sicherheit auch in Österreich dazu motiviert, die Sorge über eine mögliche Vergrößerung der Kriegsgefahr manifest zu machen und öffentlich auszudrücken, auch wenn Österreich selbst am Rüstungswettlauf zwischen Ost und West nicht teilnimmt.

Freilich gilt es, die Prämissen dieser Argumente und Ansichten zu hinterfragen: ob nämlich tatsächlich die Kriegsgefahr insgesamt, insbesondere aber die Gefahr eines Kernwaffenkrieges in Europa, größer geworden ist, ob sie gleichgeblieben ist, oder vielleicht sogar die Tendenz zur Abnahme zeigt.

Damit muß die Apokalypse eines totalen Kernwaffenkrieges, weltweit oder auf Europa beschränkt, in ihrer Wahrscheinlichkeit genauso nüchtern und emotionslos betrachtet werden wie sämtliche andere Formen der gewaltsamen Bedrohung, denen die Sicherheit ausgesetzt sein kann: Als solche unterscheidet die Wissenschaft die Formen des subversiv-revolutionären Krieges mit gering dosierter Gewaltanwendung, des konventionellen (nichtnuklearen) Krieges, des beschränkt nuklearen Krieges, ober dem erst die Ebene des totalen Kernwaffenkrieges mit der höchsten Intensität anzusiedeln wäre.

Unterhalb der Schwelle dieser Formen der organisierten militärischen oder paramilitärischen Gewaltanwendung muß ferner die Ebene eines relativierten Friedens betrachtet werden, in der internationale Konflikte teils unter Einhaltung legaler Rahmenbedingungen im freien Wettbewerb, teils unter Anwendung rechtswidriger, aber nicht gewaltsamer Akte („Einmischung in innere Angelegenheiten”) oder unter sporadischer Gewaltanwendung (etwa in Form terroristischer, damit parakrimineller, aber nicht paramilitärischer Gewalthandlungen) ausgetragen werden.

Diesem Spektrum der Bedrohungen, das sich an der Intensität der Gewaltanwendung orientiert, muß aber eine zweite Dimension hinzugefügt werden: Als Maßstab für die Sicherheit kann nicht ausschließlich die Dimension genommen werden, welchen Schaden eine Form der Konfliktaustragung hervorrufen kann, sie muß vielmehr auch durch die Wahrscheinlichkeit gewichtet werden, in der dieses Ereignis eintreten kann.

Hier kommt freilich die Analyse zum Schluß, daß die Wahrscheinlichkeit des totalen Atomkrieges so gut wie auszuschließen ist. Während früher der Entschluß machtpolitisch rational begründbar sein konnte, einen Krieg zu beginnen, wenn die Erreichung des Kriegszieles durch den Sieg in einer akzeptierten Relation zu den Einsätzen stand, wird eine gleichartige Kalkulation mit dem Atomkrieg unmöglich:

Das gesicherte Gleichgewicht des Schreckens ist so strukturiert, daß es einen Sieg im totalen Kernwaffenkrieg nicht geben kann; ob USA oder UdSSR, wer immer den Kernwaffenkrieg beginnen würde, würde zusammen mit dem Angegriffenen untergehen.

Betrachtet man die beiden ersten Kernwaffeneinsätze gegen Hiroshima und Nagasaki, so kann man mit Sicherheit sagen, daß sich die USA wohl nicht zu den ^Angriffen entschlossen hätten, hätte Japan ebenfalls über Kernwaffen verfügt und etwa mit der Vernichtung von Chikago oder

San Francisco drohen können. Nur der einseitige Vorsprung ließ den Einsatz der Kernwaffen zu.

Aus diesem Blickwinkel sind damit jene Behauptungen zu sehen, die für Europa eine nukleare Vernichtung als „Euroshima” vorhersagen, wenn in Europa ab 1984 neue amerikanische Kernwaffen stationiert würden.

Das Gegenteil ist der Fall: solange auf Europa Kernwaffen gerichtet sind, ohne daß ihnen ein einsetzbares Gegengewicht gegenüberstünde, solange wäre „Euroshima44 eher möglich als umgekehrt.

Der Untergang im Kernwaffenkrieg, der fallweise als demnächst bevorstehend gezeichnet wird, muß damit als das unwahrscheinlichste Ereignis bezeichnet werden, das die Sicherheit Österreichs bedrohen könnte.

Durch die Verklammerung der Ebene der konventionellen Kriegführung mit der der beschränkt nuklearen Auseinandersetzung und weiter mit der des uneingeschränkten Kernwaffenkrieges wird aber auch jeder sonstigen' Versuchung der Anreiz genommen, die Spannungen zwischen West und Ost in Europa mit militärischen Mitteln zu lösen. Nur wenn es gelänge, die konventionelle Ebene von der nuklearen abzukoppeln, könnte die Versuchung des konventionellen Krieges wieder aktuell werden.

Wo verbleiben somit offene Fragen für die Sicherheit Österreichs? Die Fixierung auf die Spannungen zwischen Ost und West sowie auf die Kernwaffenrüstung, die bei einer eindimensionalen Betrachtung wegen ihrer unvorstellbaren Schadenswirkung alle anderen Faktoren in den Schatten stellen würden, lassen zumeist vergessen, daß die Gefahr dort umso größer wird, wo es „graue Zonen44 gibt: ,

Konventionelle militärische Gewaltanwendung außerhalb des Ost-West-Konflikts kann für Europa noch immer nicht ausgeschlossen werden - denken wir an die Vorgänge um Zypern, aber auch an die „brüderliche Hilfe44 in Ungarn und in der CSSR; „kataly-tische” Konflikte in der Dritten Welt können auf die Sicherheit Europas einwirken und hier zu Konfrontationen führen, die ursprünglich nichts mit Europa zu tun gehabt hätten.

Und schließlich muß damit gerechnet werden, daß die Ebene des subversiv-revolutionären Krieges dann umso attraktiver werden muß, wenn die Neigung besteht, Konflikte auszutragen, anstatt sie im Konsensweg zu lösen, wenn aber der Weg in den konventionellen militärischen Machtgebrauch aus Furcht vor der Eskalation in höhere Ebenen der Intensität nicht beschritten werden kann.

Alle diese Vorgänge müssen als wesentlich wahrscheinlicher eingeschätzt werden als der große Atomkrieg; auch wenn ihre Schadensfolgen zunächst gering scheinen, könnte der reale Schaden letztlich größer sein als der eines Kernwaffenkrieges, der nicht stattgefunden hat. Hier wären dann realistischerweise auch die Schwergewichte einer Friedensund Sicherheitspolitik zu setzen.

Der Autor arbeitet am Institut für strategische Grundlagenforschung in Wien.

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