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Furtwängler: 1915—1920 in Mannheim und in unserer Zeit

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Wilhelm Furtwängler war ein großartiger, faszinierender Dirigent, ohne ein Star zu sein. Das unterscheidet ihn von den meisten Zeitgenossen und Nachfahren in diesem Fach. Denn Furtwängler war in erster Linie Musiker, dem es darauf ankam, das musikalische Kunstwerk als organisch-logische Form zu erkennen. Hierzu war er als schöpferischer Künstler besonders befähigt. Klarheit durch Motivierung jedes Details und dessen Einordnung in die Großform war das eine Ziel seiner Interpretation, der Schönklang des Orchesters ein anderes. Um ihn zu realisieren, bediente er sich, des vieldiskutierten „weichen“ Schlages. Scharfe Kanten und zackige Ecken widerstrebten seiner Vorliebe für organisch-runde Formen. Auch in den Tempi und bei der dynamischen Regulierung war ihm jede Gewaltsamkeit zuwider, weil wesensfremd. Was ihm nicht lag, das machte er nicht, mit ganz wenigen Ausnahmen. Seine Liebe gehörte der Musik zwischen Bach und Ravel. Vorklassisches ließ ihn kühl, der sogenannten „Moderne“ gegenüber verhielt er sich kritisch …

Furtwänglers Aufstieg zur Weltberühmtheit erfolgte keineswegs plötzlich, meteorhaft — so glanzvoll er auch als Gesamterscheinung war. Die erste Station seiner Laufbahn als Dirigent hieß Breslau, wo er als 20jähriger Korrepetitor begann. Danach ging er für kurze Zeit nach Zürich und arbeitete dann bis 1909 als Korrepetitor unter Mottl an der Münchner Oper und in gleicher Stel lung unter Hans Pfitzner in Straßburg. 1911 bis 1915 war Furtwängler Dirigent des Vereins der Musikfreunde in Lübeck. Hier legitimierte er sich vor allem als Konzertdirigent. 1915 bis 1920 war er als Operndirigent in Mannheim tätig, und in jenen Jahren schrieb er die auf diesen Seiten wiedergegebene Abhandlung. Danach wurde er der Nachfolger von Richard Strauss in Berlin und von Arthur Nikisch in Leipzig, wo er ab 1922 die Leitung der Gewandhauskonzerte übernahm.

Auf dem Spielplan des Mannheimer Nationaltheaters standen damals neben deutschen und ausländischen Klassikern und neben längst verschollenen Werken Dehmels „Menschenfreunde“, Schönherrs „Weibsteufel“, Speyers „Revolutionäre“, Wedekinds „Liebestrank“, „Gas“ von Georg Kaiser, „Der Sohn“ von Hasenclever sowie Stücke von Hauptmann und Schnitzler. Die Moderne hatte bereits begonnen.

Der Opernspielplan wurde hauptsächlich von Wilhelm Furtwängler betreut. In der Spielzeit 1918/19 gab es neun Neueinstudierungen, davon fünf echte Premieren. Man spielte u. a. „Schahrazade“ von Bernhard Sekles, „Sulamith“, „Kjartan und Gudrun“ von Paul von Klenau, „Mona Lisa“ von Schillings, „Ariadne“ von Strauss, „Die Schneider von Schönau“ von Jan Brandt-Buys und, in der Bearbeitung Furtwänglers, eine Oper mit dem Titel „Va- santasena“. Glanzstücke des Repertoires waren die von Furtwängler einstudierten und geleiteten Opern „Fidelio“, Glucks „Orpheus“, Wagners „Parsifal“ und die Ring-Tetralogie.

Im September 1917 wurde der ganze Ring, unter der Spielleitung von Carl Hagemann und mit Bühnenbildern von Ludwig Siewert, als Gesamtgastspiel, und zwar ausschließlich mit den Kräften des Mannheimer Nationaltheaters, bei den Festspielen in Baden-Baden aufgeführt. Hierbei mußten sich Regisseur und Bühnenbildner den besonderen Gegebenheiten des neuen Kurhaustheaters (gewöhnliche Breite, aber sehr geringe Tiefe) anpassen. Das Optische war also auf Reliefwirkung abzustellen. Nach der Beschreibung von Carl Hagemann waren die Bühnenbilder von den damals in Bayreuth verwendeten sehr verschieden, nämlich durchaus unnaturalistisch, von einfachster formaler und malerischer Struktur, ohne überflüssige Einzelheiten. So entstanden klarzügig gegliederte Schauplätze, die nur den künstlerischen Gesamteindruck verstärken sollten und dem mythologischen Stoff entsprachen. Sie vermittelten die Illusion des Unwirklichen, Vorgeschichtlichen, Überweltlichen — eine Konzeption, wie sie konsequent erst 35 Jahre später Wieland Wagner in Bayreuth verwirklicht hat.

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