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Fußballpublikum

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Es ist paradox. Ich sehe Fußball gern im Stadion, bin aber nicht mehr gern Fußballpublikum. So wie einst. Auf dem Stehplatz. Ich habe zuviel kritische Distanz zur Dummheit und zur Un-fairneß bekommen. Beinahe schade. Für einen fanatischen Dummkopf, wie ich einer war, war der Fußballplatz noch eine heile Welt.

Das Fußballpublikum liefert wöchentlich einen nicht unerheblichen Beitrag an den Kassen der Profiligen ab. Daß diese Profiligen von diesem Geld nicht annähernd leben können, sie noch der ständigen Stützung und Schenkung durch größenwahnsinnige

Kommunen bedürfen und dann immer noch pleite sind, das beweist: Sport verblödet ab einer gewissen Größenordnung die Menschen.

Daher ist es auch nicht recht und billig, vom Publikum zu verlangen, sich auf Fußballplätzen rational aufzuführen. Es will für sein Geld etwas sehen. Und da Fußball offenbar nicht genügt, braucht man eben noch blutige Nasen und Polizeihunde im Einsatz.

Besonders, wenn die heimische Mannschaft nicht gewinnt, meinen die Stehplatzbesucher, nicht genügend Gegenwert für ihr Eintrittsgeld erhalten zu haben, und runden sich das Programm nach eigenem Gutdünken ab ... und sei es nur mit einer kleinen Fahnenverbrennung.

Das zu Hause oder im Ausland randalierende Publikum gilt gerne als Beweis: Sport baut Aggressionen nicht ab, sondern löst sie eher aus. Das ist so richtig wie falsch. Richtig, wenn man zwischen Aggressionen nicht qualitativ unterscheidet, falsch, wenn man das tut.

Zum Prügeln bereite Fußballplatzbesucher, sind widerlich. Ihre Intelligenz reicht aber nicht aus, für ihren Haß größere Gegner zu erfinden als die Anhänger des gegnerischen Clubs.

Die Leute in unserer Gesellschaft, die nun meinen, diesen jungen Leuten müsse man es zeigen, denen müsse man Disziplin beibringen, denen täte Zwangseinsatz beim Heer gut, die wollen diese jungen Leute ja in Wahrheit nicht befrieden. Sie wollen sich ihrer nur anderen Völkern gegenüber als (zunächst) passiver Schlagringe bedienen. Sie benehmen sich zumeist international haarscharf so wie die Prügler in der berüchtigten Süd-, Nord-, West- oder Ostkurve.

Im Wort „Ersatzkrieg” steckt eine große Weisheit. Es handelt sich um etwas, was Krieg ersetzt.

Milde Gabe

Und allem, was Krieg ersetzt, haben wir mit Hochachtung gegenüberzustehen.

Wenn im Fernsehen der besorgte Sportjournalist, der besorgte Vereinspräsident und der besorgte Polizeimajor diskutieren, wie man der Skandale auf dem Fußballplatz Herr werden könnte, dann erwägen sie ein Mittel garantiert nicht (natürlich nicht, denn es wäre ja Geschäftsstörung): Zulassung von weniger Publikum, Abbau von Masse und damit von Massenhysterie.

Solange es Existenzgrundlage einer Sportart ist, Massenhysterie zu erzeugen, soll sie sich über deren Auswüchse nicht beschweren. Wenn Heerscharen von Polizei ausrücken müssen, um dem Fußball sein großes Geschäft unblutig über die Runden bringen zu helfen, dann nenne ich das ' eine wahrhaft großzügige Haltung der Gesellschaft. Ich glaube, es wäre recht reizvoll, einmal an einem Fußballstadion ein Schild anzu-

(Karikatur Liebermann, Süddt. Ztg.) bringen: Betreten auf eigene Gefahr.

Das andere Publikumsextrem findet sich auf den guten Tribünenplätzen hinter den Ehrenlogen. Da versammeln sich immer dieselben Bürger mit ihren meist verzweifelten oder gelangweilten Frauen, die das Samstagshobby ihrer Männer dulden gelernt haben.

Diese betrachten das Geschehen mit dem Interesse des Kleinaktionärs an einer großen Firma. Sie bangen um den Geschäftsgang ihrer Mannschaft, sind aber seelisch kapitalkräftig genug, auch eine Baisse zu erleben, und sei es auch einmal den Konkurs in Form eines Abstiegs.

Sie haben an kalten Tagen ihren gefütterten Ledermantel, die Wolldecke und den besseren Schnaps im Flachmann. Sie spielen nicht so sehr mit, wie die Stehplatzbesucher, sie lassen spielen. Und sie verachten jegliches Rowdytum, ohne zu wissen, daß auf dem Raum, den sie sitzenderweise zu fünft beanspruchen, dort zehn stehen.

Jeder Fußballclub hat seine Anhänger. Ich mag an der Liebe zu einem Verein, am Zugehörigkeitsgefühl nichts Lächerliches finden. Hier leistet doch der Sport etwas, was in der Gesellschaft immer wieder verlangt wird: die große Familie. (Natürlich: je öffentlicher die Familie, desto sichtbarer deren Defekte.)

Auch hier wieder: welch eine Chance zur Erschaffung einer klassenlosen Gesellschaft, wenn sich das Talent zur Klassenfeindschaft in der Spannung zwischen Rot-Weiß und Blau-Weiß ausleben könnte.

Aus: WUT UND LIEBE. Gesammelte Ansichten. Von Werner Schneyder. Mit Illustrationen von Luis Murschetz. Kindler Verlag München, 1985.

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