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Gadhafi — unser Sohn

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Wie und warum, darüber berichtet nun der ehemalige Geheimdienstchef Am-brogio Viviani. Die Regierung ist jedoch bestrebt, den „Fall“ so rasch wie möglich zu beseitigen.

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Wie und warum, darüber berichtet nun der ehemalige Geheimdienstchef Am-brogio Viviani. Die Regierung ist jedoch bestrebt, den „Fall“ so rasch wie möglich zu beseitigen.

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Gepflegter Schnurrbart über schmaler Lippe, kühle blaue Augen unter dem kahlen Schädel — das erinnert eher an einen britischen als einen italienischen Berufsoffizier. Auch das Fallschirmjäger-Temperament des Brigadegenerals Ambrogio Viviani war bislang durchaus gezügelt — nicht nur durch „nördliche“ Herkunft (1929 in Cremona geboren), durch Disziplin und militär-akademi-sche Studien in Deutschland, auch durch jahrzehntelange Arbeit für jenen „Dienst“, der in Ita-

lien anspruchsvoll, wenn auch lateinisch „verschlüsselt“ von sich behauptet: „Omnia süendo ut au-deam nosco“ — alles weiß ich, indem ich schweige, um zu horchen ... So lautet der Wahlspruch im Wappen des militärischen Geheimdienstes, in dem Viviani von 1970 bis 1974 die Abteüung Gegenspionage führte.

Sein Name fand sich auch auf der Mitgliederliste der Freimaurerloge „P 2“ des flüchtigen Finsterlings Licio Gelli. Seit fünf Jahren aber versucht der General vergebens beim Verteidigungsminister vorgelassen zu werden, um nachzuweisen, daß er nur auf Befehl gehandelt hat: „Der Geheimdienst hat die P2 infiltriert -nicht umgekehrt.“ Wollte das niemand genauer wissen? Der General meint, daß er - wie andere seiner Kollegen - Opfer einer „schrecklichen Rache“, einer auch politisch dirigierten geworden sei. Deshalb jetzt seine (geordnete) Flucht nach vorn:

Der General entschloß sich zu einem Interview für das Mailänder Magazin „Panorama“ und wurde nun so deutlich, daß es nicht nur seinen Vorgesetzten, sondern sogar Italiens sonst so informationsfreudigen Zeitung tagelang die Sprache verschlug. Erst nach fast einer Woche eröffnete der Verteidigungsminister

ein Disziplinarverfahren, baten Staatsanwälte den General zu stundenlangen „Gesprächen“. Schon jede einzelne seiner ungeheuerlichen Mitteilungen hätte anderswo innenpolitische Stürme ausgelöst. Denn Dienst- und Staatsgeheimnisse scheint es da nicht mehr zu geben:

Um „Italiens Interesse in Libyen zu retten“ (so die Anweisung der damaligen Regierung Andre-otti) habe der Geheimdienst (SID) seit Anfang der siebziger Jahre aus staatlichen Fabriken an Muamar Gadhafi „eine Lawine von M 113-Panzern, 105-Millime-ter-Haubitzen, Maschinengewehren, Bomben und anderes Material geliefert — alles nach heftigem Streit mit den Amerikanern“, berichtete Viviani. Er selbst schrieb 1973 für Gadhafi zwei ins Arabische übersetzte Handbücher: für den Aufbau und Gebrauch eines Geheimdienstes und eines Fallschirmjäger-Bataillons —„besonders geeignet zu Sabotage- oder Guerilla-Zwecken auf feindlichem Gebiet“. Schon 1971 entdeckte Italiens „SID“ eine Gruppe monarchistischer Verschwörer gegen Gadhafi, die von Triest aus operieren wollten.

Der libysche Staatschef bedankte sich „mit Ketten und Juwelen für die Damen“ der italienischen Agenten... 1973 ließ Aldo Moro, der später ermordete Ministerpräsident, fünf arabische Terroristen, die nahe beim römischen Flughafen mit zwei Raketen ertappt worden waren, sofort mit einem Sonderflugzeug des „SID“ nach Libyen abschieben.

Von allen Putschabsichten, die in den siebziger Jahren rechtsorientierten Offizieren der italienischen Armee zugeschrieben wurden, stimmte — laut Viviani — nur die eine: die einiger Offiziere des 3. Armee-Kommandos in Venedig. Sie wollten 1971 die Parade, die alljährlich zum Nationalfeiertag am 2. Juni in Rom an den Spitzenpolitikern der Republik vorbeizieht, zum Zuschlagen benutzen.

„Angesichts der schweren Lage

des Landes“ wollte man einen hohen Offizier an die Macht bringen. „Er lebt noch, und niemand hat ihm je die Beförderung verweigert“, weiß General Viviani und berichtet, daß es erst am 27. Mai 1971 einem Oberst gelungen sei, die Putschisten zur Aufgabe ihres Plans zu bewegen — „wegen geringer Erfolgsaussichten und weil man in Rom schon davon wußte“. Übrigens auch der britische Geheimdienst; dieser hat — laut Viviani — dem in Sardinien lebenden Schriftsteller Morris West die Verschwörer-Story für sein Buch „Der Salamander“ (1974) geliefert — demnach kein bloßer Roman.

Was verbarg sich 1972 hinter dem Tod des linksradikalen in der internationalen Terroristenszene untergetauchten Mailänder Verlegers Giangiacomo Feltrinelli? Selbst von dem Sprengstoff zerrissen, den er auf einem Hochspannungsmasten anbringen wollte, war Feltrinelli als Leiche mit falschen Papieren gefunden, doch erst 18 Stunden später identifiziert worden. Schon nach zwei Stunden jedoch wußte die Sowjetbotschaft in Rom Bescheid. „Durch den Tod ihres Mitarbeiters verloren die Sowjets den Kopf“, sagt General Viviani in seinem Interview. Zitiert er - mit Namen und Zitaten—ein minuten-* genaues Protokoll der abgehörten Telefongespräche sowjetischer Diplomaten und Militärattaches, die um Mitternacht „wegen des Unfalls in Mailand“ ins Büro gerufen wurden. Für Viviani war es der gesuchte Beweis. Sofort entwarf er eine Liste von 21 Sowjet- < diplomaten und verlangte deren Ausweisung. Doch Regierungschef Giulio Andreotti habe abgelehnt.

Viviani: „Wäre Feltrinelli nicht tot gewesen, hätten wir doch nie die Gewißheit gewonnen, wie sehr er Moskau am Herzen lag... Es fehlte dann zwar nicht an Ankla-

gen, der italienische Geheimdienst habe den Unfall provoziert — aber das konnte auch eine Anerkennung für seine Leistungsfähigkeit sein“, berichtet der General. Will er den demokratischen Rechtsstaat das Gruseln lehren?

Der hat selbst - wenn man dem General glauben darf - Unheimlich-Heimliches zu verbergen: Herbert Kappler, Hitlers Polizeichef in Rom, dem nach dreißig Jahren verbüßter Festungshaft in Italien ein Gnadenerweis verweigert worden war, sei 1977 die Flucht nach Deutschland amtlich ermöglicht worden (wo der Todkranke bald darauf starb). Selbst der damalige Verteidigungsminister, der das Parlament glauben machte, Kappler sei von seiner Frau im Koffer aus dem Militärkrankenhaus gebracht worden, gibt heute zu, daß er sich getäuscht habe (oder täuschen ließ). „Kappler verließ am 15. August das Krankenhaus; niemand hatte das Recht, ihn aufzuhalten“, sagt General Viviani. „Zwischen dem italienischen und dem deutschen Geheimdienst war abgemacht, daß Kappler nach dem am 12. März verfügten Haftaufschub im Militärspital Celio den geeigneten Augenblick für seine Rückkehr nach Deutschland ab-

warten sollte, wobei man den Gemütszustand der öffentlichen Meinung berücksichtigen wollte.“

Damals, im Sommer 1977, waren die Gemüter gleichwohl aufgewühlt, daß der „Fall Kappler“ sogar eine Welle antideutscher Ressentiments in Gang setzte. Die Regierung in Rom äußerte sich, als sei ihr Peinlichstes widerfahren; von „geeignetem Augenblick“ war nichts zu bemerken. Doch -laut Viviani — gab es „präzise Befehle“, Kappler sei „zum Brenner begleitet“ worden und habe „ruhig die Grenze passiert.“ Er selbst, damals Militärattache in Bonn, habe sich an jenem Tag „nicht weit von der österreichischen Grenze, in Brixen“ aufgehalten ...

Vorsorglich hat der General jetzt eine zweite Flucht nach vorn angetreten: Viviani reichte seinen Abschied von der Armee ein, „erschöpft und angeekelt“. Er werde auch, gab er bekannt, alle seine Orden und Auszeichnungen zurückgeben. Ob er da auch sein Bundesverdienstkreuz nach Bonn schicken wird?

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