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Galerie der Gewesenen

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Der Leser, der kein Fachhistoriker ist, schlägt am besten zuerst die letzten Seiten des Buches auf, um an Hand einer Zeittafel die Übersicht über Zeiten, Menschen und Verhältnisse in den Perioden zwischen der russischen Oktoberrevolution 1917 und der Jetztzeit zu bekommen. Die Herausgeber haben einen zutreffenden Titel gefunden: Denn mit der Lektüre dieses Buches kann der Leser die Situation in der zweigeteilten Welt erkunden. Vielleicht liegt aber die eigentliche Bedeutung dieser Sammlung von Kurzbiographien darin, daß es sich um jene Großen einer Ära handelt, die heute „gewesen“ sind; gleichgültig ob sie schon tot oder politisch außer Evidenz gekommen sind. Die Welt, die sie hinterließen, ist in diesen Tagen vielfach Gegenstand scharfer Kritiken. Es hat nicht nur die Revolution der jungen Menschen gegen diese Welt aufbegehrt; die von den noch unlängst als grand old men Verehrten hinterlassene Situation, die darin festgestellten Fehler und Unterlassungen, sind sozusagen Basis der Selbstrechtfertigung der jetzt in der Geschichte handelnden Großen. Es reden sich nicht nur Willy Brandt und die Epigonen in der CDU zuweilen auf Konrad Adenauer aus und die neuen Herren im Kreml auf Nikita Sergej ewitsch Chruschtschow; auch in den USA wird John F. Kennedy an Hand gestohlener Staatsdokumente seiner Ära denunziert und in afrikanischen Staaten sind die Staatsmänner der ersten Stunde nach Zusammenbruch bisheriger Formen des Imperialismus nicht die Idole der farbigen Master von heute.

Der Sammelband schließt mit einer vorläufigen Biographie Mao Tse-tungs. Der Führer der chinesischen Kommunisten gehört zweifellos nur seinem Geburtsdatum nach in diese Galerie der Gewesenen. Im übrigen ist der 1893 Geborene der in jeder Hinsicht Überlebende. “Er tritt in diesem Jahr 1971 als Phänomen ersten Ranges in Erscheinung und wird als solches von den Nachfahren in der Kultur.des weißen Mannes ein wenig zitternd verehrt.

In der jetzigen geschichtlichen Zwischenphase, in der noch nicht die Enkel der Großen der sechziger Jahre das Wort haben, um die übliche Rechtfertigung ihrer Großväter angesichts mäßiger Erfolge ihrer eigenen Väter zu besorgen, ist dieses von vorläufigen zeitbedingten Fehleinschätzungen vielfach unabhängige Werk willkommen.

POLITIKER DES 20. JAHRHUNDERTS. Zweiter Band: Die geteilte Welt. Herausgegeben von Rolf K. Hoievar, Hans Maier, Paul-Ludwig Weinacht. Verlag C. H. Beck, München 1971. 267 Seiten. DM 24.—.

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