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Ganz anders als nach dem Tod von Pius und Johannes

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Das Konklave ist weniger ein Wahlort als eine Stätte religiöser Einkehr. Die täglichen Messen sind so wichtig wie die Stimmzettel, berichtet der FURCHE-Korrespondent aus dem Vatikan.

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Das Konklave ist weniger ein Wahlort als eine Stätte religiöser Einkehr. Die täglichen Messen sind so wichtig wie die Stimmzettel, berichtet der FURCHE-Korrespondent aus dem Vatikan.

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„Die Päpste sterben nicht, aber der Papst”, heißt ein gegenwärtig viel gehörtes Sprichwort, womit auf das Konklave angespielt wird, in dem der Nachfolger ermittelt werden soll. Am 25. August werden voraussichtlich 113 stimmberechtigte Kardinale (zwei sind durch Krankheit verhindert) mit ihrer Begleitung in das Konklave einziehen. Es wird eine neue, von Paul VI. bis in die letzten Einzelheiten geregelte Ordnung zu beobachten sein. Zwar hat sich gegenüber der alten nichts Wesentliches geändert; dennoch wurden einige Punkte besonders stark herausgearbeitet und andere, die in Frage gestellt waren, geklärt.

Das, was im Konklave zu geschehen hat, ist weniger ein Wahlvorgang als vielmehr ein Ermittlungsverfahren. Der neue Papst wird nicht wie ein Staatspräsident gewählt, sondern von Gott „als Geschenk seiner Güte und Vorsehung” (Nr. 65) erbeten. Deswegen definiert die neue Ordnung das Konklave als eine „Stätte religiöser Einkehr, wo die Wahlberechtigten Kardinale nach Anrufung des Heiligen Geistes den Papst wählen ..(Nr. 42).

Unverzichtbar bleibt die tägliche Messe und die Anrufung des Heiligen Geistes, welche mit dem Wahlvorgang eine spirituelle Einheit bildet (Nr. 62). Der Wahlraum ist die Sixtinische Kapelle. Jeder wahlberechtigte Kardinal bringt seinen Stimmzettel zum Altar, kniet sich dort nieder und verharrt im kurzen Gebet. Darauf schwört er: „Ich rufe Christus, der mein Richter sein wird, zum Zeugen an, daß ich den gewählt habe, von dem ich glaube, daß er nach Gottes Willen gewählt werden soll.”

Die Bestimmungen zur größtmöglichen aktiven und passiven Informationssperre, die im neuen Konklave bekräftigt und auf die modernen technischen Möglichkeiten der Nachrichtenübermittlung ausgedehnt wurden, müssen stärker, als dies gewöhnlich geschieht, von der Innensicht eines Konklaves her gesehen werden. Jede wie immer geartete Störung der gewünschten Atmosphäre religiöser Einkehr soll ausgeschaltet werden. Auf derselben Linie liegen die strengen Verbote, vor einem Konklave wie immer geartete Abmachungen und Wahlversprechungen einzugehen, sowie die eindringliche Mahnung, sich in diesem Ermittlungsverfahren von keiner Sympathie oder Antipathie leiten zu lassen, sondern einzig die Ehre Gottes und das Wohl der Kirche vor Augen zu haben (Nr. 84).

Ausdrücklich bittet die Wahlordnung denjenigen, der gewählt werden wird, „sich dem Amt, zu dem er berufen wurde ..in aller Demut gemäß der Anordnung des göttlichen Willens zu fügen.”

In der neuen Konklaveordnung findet die doppelte Aufgabe des Papstes als Bischof von Rom und als Oberhaupt der gesamten römisch-katholi- schen Kirche ebenso ihren Niederschlag wie die Doppelfunktion der Kardinale als Mitglieder des römischen Klerus (jeder Kardinal besitzt in Rom eine Titelkirche) und als Mitglied des Bischofskollegiums der katholischen Kirche.

Damit wurde eine im letzten Jahrzehnt aufgetretene Unklarheit abgeklärt. 1973 fragte nämlich Papst Paul VI. im Verlauf eines Geheimen Konsistoriums, ob es sinnvoll sei, das Wahlgremium auch auf die Patriarchen der orientalischen Kirchen und die Ratsmitglieder des Generalsekretariats der Bischofssynode auszudehnen. Die Teilnahme am Konklave bleibt in der neuen Ordnung auf die Mitglieder des Kardinalskollegiums beschränkt, so- ferne sie nicht die Altersgrenze über schritten haben. Selbst für den Fall, daß der Papst während eines Konzils oder einer Bischofssynode stirbt, bleibt das ausschließliche Wahlrecht beim Kardinalskollegium (Nr. 34).

Was kann man heute schon über den Ausgang des Konklaves sagen, ohne in billige Spekulationen zu verfallen? Mir scheinen drei Überlegungen hilfreich:

• Die Situation ist während dieses Konklaves merklich anders als nach dem Tode Pius’ XII. oder Johannes’ XXIII. Wir können aus diesem 15jähri- gen Pontifikat, das weitgehend im Dienst der Verwirklichung des Zweiten Vatikanischen Konzils gestanden ist, eine Reihe von Entwicklungen feststellen, hinter die wir heute nicht mehr zurückgehen wollen: die Reform der Liturgie, die Zwischenstrukturen zwischen Petrusamt und Ortskirche sowie ein neues Verständnis von Freiheit, Säkularität und Humanität.

Es zeigt sich aber heute immer deutlicher, daß das Tragende in der Kirche die vitale Gläubigkeit im Volke Gottes ist, und hier sind vor allem diejenigen gemeint, die nach dem Worte Christi die Aufgabe eines Sauerteiges im Reiche Gottes ausüben sollten, also die Priester und Ordensleute. Doch gerade hier ist im Laufe der nachkonziliaren Entwicklung ein empfindlicher Schwund eingetreten. Es geht heute weniger um die Formulierung des Glaubens als um das Leben des Glaubens, weniger um die Reform der Glaubensgemeinschaften als um die Substanz des Glaubens, es geht weniger um den Dienst an der Welt, sondern mehr um den Dienst am Glauben (aus dessen Lebendigkeit erst der Dienst an der Welt auf die Dauer möglich wird).

Es scheint gegenwärtig als vordringlichste Aufgabe in der Kirche, die vitale Gläubigkeit im Volke Gottes zu fördern, was gesunde schützende und stützende Strukturen erforderlich macht. Sich darum zu kümmern, erfordert eine feste Hand und gehört zu den wesentlichsten Aufgaben des Petrusamtes.

• In der Zusammensetzung des Kardinalskollegiums zeigen sich gegenüber dem letzten Konklave deutliche Veränderungen. Diesmal werden 113 Kardinale ins Konklave ziehen, damals waren es nur 80. Von ihnen sind heuer 57 Europäer, davon wieder 27 Italiener. Damals waren es 53 Europäer, davon 29 Italiener. Die Vergleichszahlen für Nordamerika sind 11 (7), Lateinamerika 19 (12), Afrika 12 (1), Asien 10 (4), Australien und Ozeanien 4 (1).

Aus dieser Gegenüberstellung wird deutlich, daß die Anliegen der Weltkirche in diesem Konklave viel stärker zum Ausdruck kommen werden. Es wird den Kardinalen aber auch klar sein, daß sich ein nichtitalienischer Papstkandidat in die Eigenart der Vatikanischen Institution, seiner alten Tradition und seiner von der Mittelmeerkultur geprägten, festverwUrzel- ten Eigenart einfügen müßte.

• Es ist verständlich, daß es im Interesse eines Papstes liegt, daß die Linie, die er im Verlauf seines Pontifikates für richtig empfunden hat, über seinen Tod hinaus weiterverfolgt wird. Dieses Interesse wird durch eine langfristige Personalpolitik u. a. in der Ernennung von Bischöfen und Kardinalen wahrgenommen. Paul VI. hat diese Politik ganz bewußt gepflegt, und sein langes Pontifikat von 15 Jahren gab ihm auch die Möglichkeit zu ihrer Verwirklichung. Daher ist die „Montini-Linie” im Konklave stark vertreten, d. h. ein gemäßigt fortschrittlicher Kurs, der beharrlich und taktvoll auf eine optimale Ausgeglichenheit der Kräfte im Rahmen eines legitimen Pluralismus bedacht ist.

Uber diese Montini-Linie äußerte sich der Papst selbst in seinem Testament: „Ich hätte so unendlich vieles zu sagen - über die augenblickliche Verfassung der Kirche: Möge sie auf einige von den Worten gehört haben, die Wir ihr mit Nachdruck und in Liebe ver kündeten! Uber das Konzil: Man möge Sorge tragen und es zu einem guten Ende zu führen und die Vorschriften getreu auszuführen! Über den öku- menismus: Es mögen die Bemühungen um Annäherung zu den getrennten Brüdern voranschreiten, und zwar mit viel Verständnis, mit viel Geduld, mit großer Liebe, doch ohne von der wahren kh’thölfsi’hen LefiJg’slbzüweichen. Uber die Welt: Man glaube nicht, daß man ihr dadurch dient, indem man ihre Denkweise, ihre Gewohnheiten und ihre Freuden annimmt, sondern indem man sie studiert, sie liebt und ihr dient.”

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