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Digital In Arbeit

Ganz im Gegenteil!

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Es ist schon so, daß unsere Welt längst zur verkehrten Welt geworden ist. Es handelt sich exakt um die aus der Kinderzeit, welche in jenem Gedicht geschildert wird, aus dem wir erfahren haben, daß das Schiff Alpenreisen mache, die Gemse im Meer wohne, Eisen gering wiege und Flaum schrecklich schwer sei.

Prinzipien, die regieren. Und zwar mit Ausschließlichkeit.

“Wann hat's damit angefangen? Der Augenblick läßt sich mit ziemlicher Genauigkeit bestimmen, denn er war zugleich ein Punkt des Uim-schlagens wie in einen anderen Aggregatzustand. Es muß damals etwas geschehen sein, dem Phänomen vergleichbar, das auftritt, wenn man ein Glas mit unterkühlter Flüssigkeit anstippt: plötzlich erstarrt sie zu Eis. In verspätetem Vollzug. Aktuell erweisend, was virtuell längst gegeben.

Ich spreche von dem Augenblick, als irgendwer zum ersten Mal den Satz hätte aussprechen dürfen: „Wir arbeiten nicht, um zu leben, sondern wir leben, um zu arbeiten“, ohne sofort lautschallend und ganz allgemein ausgelacht zu werden.

Denn da fiel auch schon beides — nämlich „leben“ und „arbeiten“ — längst nicht mehr in eins und selbst die Inversion des lachhaften Satzes hätte niemandem mehr weinen gemacht.

Aber: von da an war alles andere nur noch konsequent. Aus Berufung wurde — in demokratisch wirksamer Mehrheit — Beruf. Aus Bildung (die stets aufs Ganze sieht) Ausbildung. Mit zunehmender Schnelligkeit.

Parallel dazu aber behauptete sich lange noch — etwa bis herauf zur Zeit unserer Großeltern — nicht nur die Ansicht, daß die Stunden auch ungeliebter Arbeit wenigstens befreien könnten: zum Kulturgenuß in den Mußestunden nachher. Dieser Ansicht entsprach sogar eine ziemliche Aussicht. Man wußte, auch ohne staatlichen Nachhilfeunterricht, was Gescheites mit sich anzufangen. Und hätt's auch die ganze Zeit vermocht: etwa ästhetisch von seinen Renten lebend.

Ich überspringe nun Erkleckliches.Ich bin kein Systematiker, sondern Romancier, Erzähler. So einer darf schon Sprünge machen, wenn er sich einbildet, daß es dadurch spannender wird.

Grad war ich sogar ein Geschichtenerzähler, der ein bißl Geschichte erzählt hat — was übrigens auch einmal so ziemlich ein- und dasselbe gewesen ist.

Aber dann spezialisierte man sich halt.

Im Zuge der allgemeinen Akzeleration ging endlich die Möglichkeit zur echten, wertestabilisierenden Tradition verloren: wenn einmal das Zeitalter kürzer wird als die individuelle Lebensspanne, ist eine maßgebliche (Maß gebende) Orientierungshilfe auf immer dahin, entsteht kein gültiges Symbol mehr, nämlich. Ein Symbol ohne Patina der Überlieferung wirkt nicht, ist also keins, und es müssen die längst sinnentleerten von dermaleinst weiterhin herhalten. Die gar nicht mehr greifen können, ausgewerkelt, wie sie sind, und nur Nostalgie setzt sich an.

Manch ein einfühliger Dichter, der das gar nicht leiden kann, sagt daraufhin nur mehr: dada.

Andre wieder weigern sich, zu lallen. (Geht auch.)

Und so immer weiter. Das humanistische Ideal der Gesamtbildung ist endgültig tschari.

Jetzt und hier aber interessiert — im Sinne von inter-esse, zwischen den Stühlen sitzen — besonders das Schisma von „Arbeitswelt“ und „Freizeitwelt“. Zu solchen Schauervokabeln haben wir's schon gebracht. Doppelt schaurig aber, weil sie tatsächlich stimmen.

Wer wollte bestreiten, daß sie ganz gut durchreguliert ist, unsere Arbeitswelt, im großen und ganzen?

Jetzt kommt halt auch die Freizeitwelt dran. Weil der „freigesetzte“ (der Freizeit ausgesetzte) Mensch, aus Defizienz handlungsunfähig, halt eine Behandlung braucht. Die einschlägige grausige Vokabel (grausig, weil angebracht), heißt Freizeitgestaltung.

Der Arme kann's wirklich nicht mehr selber. Außer er pfuscht oder üben sie auch in allen ihren Machenschaften.

Ja, um diese Machenschaften ging's. Fast ausschließlich. Mit Innuendo und Körpersprache. Verbal gab's natürlich nichts, keinerlei Benennungen, diesbezüglich. Beim diesjährigen Kulturgespräch.

Der Herr Minister ist hier ganz ausdrücklich nicht gemeint, der wurde geradewegs angesprochen.

Wir sind sehr froh, daß er wieder und überhaupt gekommen ist und uns wieder was versprochen hat: doppelt hält besser, dreifach noch mehr, so über die Jahre hin — wie zum Beispiel Filmförderungsgesetz, Bibliotheksgroschen. Besonders

wenn man beides noch immer nicht hat.

Indessen darf man sowieso gar nichts glauben, sondern, man muß ganz einfach wissen.

Informationen sammeln, Resultate.

Und weil ich ganz und gar gewiß bin, daß Du, lieber Leser — lieb, weil informationsbegierig und kunstbeflissen — in allen anderen Gazetten eh schon alles andere, nämlich Kritik und Kommentar, Nam' und Art der sonstigen Teilnehmer berichtet finden wirst, bzw. gefunden hast, Unterhaltung und Belehrung zudem erfahrend, Apropos und Malapropos, nur keine Resultate (weil's darauf ja ankäme in einem Bericht) will ich, der Erzähler sie Dir halt erzählen. (Im ORF sind sie bereits — in der diesbezüglichen Einstundensendung — nicht vorgekommen.)

Von mir kriegst du sie aber; und ganz. Mangels, bzw. kraft eigentlicher Zuständigkeit meinerseits. Kein Journalist, der was wert ist, tät's.

Aber ein Romancier verfälscht halt nicht. Das heißt dann: Fabulieren.

Der zitiert nur. Zum Beispiel das ganze Leben. (Im Sinn von: Herau beschwörung.)

Wie sollt's der Mensch denn sonst wirklich erfahren, was vorgeht, jetzt, auf dieser Welt, und was tatsächlich gespielt wird? Also, zum Beispiel, daß es wahrhaftig noch Hunde gibt, die Menschen beißen, nicht umgekehrt?

Oder das offizielle Resultat der Arbeitskreise des Klagenfurter Kulturgesprächs?

Es wurde anderntags im Plenum mit den Politikern Sinowatz, SPÖ, Busek, ÖVP, Josseck, FPÖ, weiterdiskutiert, aber zum Fenster hinaus und nur zum ORF hinein, und so steht's nicht nur auf, sondern bereits gewiß auch in manch einem anderen Blatt, und interessiert mich hier also weniger. Es war ja sehr unterhaltend, und dafür sind die Informationssendungen da.

Was soll ich sohin tun, als Erzähler?

Wenn einem die Journalistik alles Lustige wegnimmt und die Kulturnachrichten, aufs Putzigste halbiert,auf jeden Fall mehr zum Lachen sind, als die ganze Kultur? (Was allerdings wieder keine Kunst ist, traurig wie die ausschaut?)

Eigentlich eh wiederum, was einer, der heute erzählt, immer tun muß: getreulich berichten.

Ich liefere also hiemit, zu Senf und Kren, lächerlicherweise, nur noch das eigentliche Würstel nach.

Ob's nahrhaft ist, werden wir sehen. Die Zukunft soll's weisen.

Möglich ist's schon in der verkehrten Welt. Eins hat der Wahnsinn ja stets, auch jener unserer kulturellen Gegenwart: nämlich Methode. Man kann sich darauf einstellen, damit exakt rechnen.

Die Freizeitwelt will also gefüllt werden, wie ich höre. Nicht nur mit Skifahren, es schneit schließlich nicht das ganze Jahr, sondern jetzt auch mit Kunst.

Darin liegt eine gewisse Gefahr; auf einmal hat der Schöpferische wieder was zu verkaufen, statt zu verschleudern, weil sein Produkt, wenn schon nicht die Leute, so doch die Politiker, plötzlich interessiert.

Befeuernd indessen wird, so oder so, jedenfalls stimmen, daß diese Gefahr zugleich unsere letzte Chance auf lange bedeutet — bis sich der Toynbee'sche Zirkel wieder geschlossen hat — das längst Erforderliche mit Macht — nämlich der neugewonnenen — durchzusetzen.

Denn man rechnet wieder mit uns Künstlern.

Man rechne nur!

Das ist, übrigens, gar keine Drohung. (Terror ist out, Konzilianz in.) Aber immerhin ein Hortativ.

wird sonstwie kriminell. Was wir doch nicht haben wollen.

Hei, wie wedelt er da doch schon so schön, der Schwanz mit dem Hund!

Oder, auf gut Englisch: The medium is the message indeed.

It happened. And look, where we're at — now put it in your pipe and smoke it.

Auf deutsch: Für „Arbeitswelt“ und „Freizeitwelt“ gibt's keine Heilung mehr. Rückverschmelzung, die einzig denkbare, ist ja. rebus sie stantibus, unmöglich. Man darf nicht einmal im Traum dran denken, es zu versuchen. Denn, wer von uns will schon in der Volksrepublik China leben? Und wer von uns Marxisten sein verheißenes Utopia erreichen?

Die Spaltung ist unheilbar.

Aber man kann das beste daraus machen.

Was freilich auch nicht besonders gut ist, aber immerhin besser ais nichts.

Es kommt aber noch schlechter: denn wir machen schon wieder einen Sprung, und der erst bringt uns zum Thema, zugleich zur heutigen Aufgabe, nämlich der Deines merkwürdigen Berichterstatters, welcher, wie Du bereits erfahren hast — aber sei's drum — eigentlich ein Erzähler ist, lucus a non lucendo.

„Hund beißt Mann“ — dies wäre, zum Beispiel, Berichterstattung. Zweifellos. Drum steht's auch nie in der Zeitung.

„Mann beißt Hund“ ist ganz bestimmt nur eine Geschichte. Dazu wahrscheinlich ohnehin im Sinn von: erzähl' mir keine. Drum steht sie immer in der Zeitung, und nie findest Du dort was grundlegend anderes.

Sie machen Dir immer nur G'schichten, die Journalisten.

Gut. Oder auch schlecht. Aber immerhin brauche ich jetzt wenigstens keinen Sprung mehr zu machen, männiglich wird nun unschwer verstehen, warum, etwa, Theaterkritiken primär unterhaltenden Charakter haben müssen und erst sekundär die Funktion, das Publikum vom Besuch der Tempel Thalias- abzuschrek-ken (wobei auch hier natürlich immer das Gegenteil mit dem Gegenteil erreicht wird), das Theater hingegen in erster Linie kritisch zu sein hat (sozial- oder sonstwie; am liebsten schon sozial-), in zweiter aber unbedingt fad und quälend.

Dies allerdings gleichfalls, um das Publikum abzuschrecken.

Den Subventionsgeber aber nicht. (?)

Doch ich schweife ab. (Wirklich?)

Nämlich zum Siebenten österreichischen Kulturgespräch, das in Klagenfurt am 24. und 25. hujus stattfand. Frequentiert von mehr Beamten und sonstigen Kulturfunktionären, als ich sonst Künstler in meinem Leben gesehen hahe.

Unter dem Thema „Kunst und Macht in Österreich“. Es hat also schon gestimmt.

Denn einer, der unsere oben dargelegten Erkenntnisse noch nicht gewonnen hat, hätte ja auch glauben können: es habe das Künstlervölkchen (alle Macht geht vom Völkchen aus, oder?) seinen verantwortlichen Diener Sinowatz (Minister heißt Diener, oder?) zum Rapport befohlen, denn wer anderer schon als der Macher selber (diesfalls von Kunst) kann sie schon haben, solche Macht? (Macht kommt von machen.)

Ja, Schnecken, Macht kommt von machen, wahr ist das schon lang nicht mehr, seit der Vertreibung aus dem Paradies vermutlich, oder sie spielen's halt nicht, in unserer verkehrten Welt, oder eben höchstens auch nur im verkehrten, also perversen Sinne, denn jene haben sie sehr wohl, die Macht, jene Macher nämlich, die das Wort dann meint, und

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