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Ganz Ohr

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Urlaubszeit — Zeit der Autoradios und der Transistoren, Zeit der heimlichen Triumphe des Hörfunks. Zeit also auch, sich im voraus mit der „Neuadjustierung“ aller drei Hörfunkprogramme des ORF zu beschäftigen, die am 6. Oktober in Kraft treten soll, wenige Tage, nachdem am 1. Oktober das österreichische Radio sein fünfzigjähriges Bestehen gefeiert haben wird. (Detektor, Radio Wien, Studio im Kriegsministerium am Stubenring — so begann es. Heute hört die Welt ö 1, hören Herr und Frau Österreicher ö Regional und lassen sich die Millionenmassen unentwegt und traumverloren von Ö 3 berieseln. All das aber ist noch keineswegs ein Endpunkt.)

Ö 1 repräsentiert das geistige und musische Österreich in seiner ganzen, kaum übersehbaren Fülle, hier wird den Bildungswilligen Bildung von der Volksschule bis zur Universität geboten, wobei sich übrigens für die einzelne Sendung eine Laufzeit von etwa 30 Minuten als optimal erwiesen hat.

Ö Regional wird in seinen leicht faßlichen Unterhaltungsprogrammen mehr noch als bisher die Eigenarten der neun Bundesländer widerspiegeln, die lokalen Sendungen also vermehren, wobei freilich der ostösterretchische Block Wien-Niederösterretch-Burgenland seine besonderen Probleme hat, deren Lösung und Koordinierung nicht eben leicht ist.

ö 3, von einem großen Teil unserer Bevölkerung „der Sender“ genannt (weil die Existenz anderer Wellen nicht ins Bewußtsein vorgedrungen ist), wird wie bisher neben dem rhythmischen Dauergeplätscher mit stündlichen Kurznachrichten auch den zahl-

reichen Desinteressierten diskret zur Kenntnis bringen, daß es hinter den sieben Bergen eine Welt gibt, in der mehr lebt als nur sieben Zwerge, und die tiefer noch und anders ist, als Pop gedacht. Neu hingegen ist ■die Verstärkung direkter Information nach 16.30 Uhr und neu auch, daß täglich außer Sonntag um 9.30 Uhr, mitten in die Schlagersendung „Milde Mischung“, Fremd-sprachennachrichten eingeblendet werden sollen. Übrigens: „Das alte Grammophon“ mit seiner Unterhaltungsmusik aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, eine der vielen neuen Serien, die ö 3 bieten wird, könnte sogar Geister, denen „der Schalk am wenigsten zur Last“ ist, an Sonntagen um 10.03 Uhr „nostalgisch“ erheitern.

Eine demoskopische Untersuchung hat ergeben, daß an Werktagen die Hörerbeteiligung zwischen 6.30 Uhr und 7.30 Uhr, dann wieder zwischen 12.00 Uhr und 13.00 Uhr kulminiert. Mit dem Beginn des „Österreich-Bilds“ in FS 1 wenden sich nach 19.00 Uhr immer mehr Teilneh-

mer dem Femsehen zu. Da 1973 bereits 79 Prozent der österreichischen Haushalte ein Fernsehgerät besaßen, war vom Hörfunk diesem Fluktuieren bei der Programmgestaltung Rechnung zu tragen. Echte Alternativen waren anzustreben.

Für einen Teil der Bevölkerung ist Hochdeutsch eine Fremdsprache, die sie sich heimlich und mühsam in ihre lokalen Dialekte übersetzen muß, in ein Idiom also, in dem es für viele abstrakte Begriffe keinen adäquaten Ausdruck gibt. Die Folge ist ein Überfordertsein und zeitliches Zurückbleiben hinter dem ohnedies gemäßigten Tempo der Sprecher, und dies wieder findet in dem Urteil, der ORF sei „großsprecherisch“ seinen ungelenken Ausdruck, ö Regional will hier wenigstens teilweise durch eine verstärkte Betreuung des ländlichen Raums und durch eine Vermehrung der Lokalprogramme von wöchentlich zwei auf wöchentlich drei Abende Abhilfe schaffen.

ö 1, Österreichs größter Konzertsaal, größtes Theater, größter Hörsaal, größter künstlerischer Auftraggeber und größtes Experimentierfeld für die Avantgarde, wird den neuen Trend zum literarischen Hörspiel mit Aufmerksamkeit verfolgen und wird in der Sendereihe „Menschen“ Vertreter von Berufen interviewen, die zwar keine Starpositionen in der Gesellschaft einnehmen, die uns aber, wie Taxilenker, Landärzte und Pfarrer, auf unserem Lebensweg unweigerlich und immer wieder begegnen.

„Verachtet mir den Hörfunk nicht!“ Mag das Fernsehen auch unser Leben verändert haben — die neue Zeit begann ganz gewiß mit dem altvertrauten Radio; in Österreich ist das nun genau 50 Jahre her.

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