6867901-1978_11_04.jpg
Digital In Arbeit

Garant für die Vollbeschäftigung

Werbung
Werbung
Werbung

Fast drei Viertel der österreichischen Bevölkerung identifizieren sich mit dem Begriff „Mittelstand“, kein Wunder, daß sich die politischen Parteien um diese „Schicht“ bemühen, wenn auch kaum mit konkreten Programmen. Denn dieser „Mittelstand“ ist ein äußerst heterogenes Gebilde, dem sich fast jeder zugehörig fühlt, der nicht entweder zu den „Oberen Zehntausend“ oder zur sozial „verachteten“ Unterschicht (ungelernte Arbeiter etc.) gehört.

Interessanter und besser faßbar wird dieser Begriff, wenn man vom wirtschaftlichen Mittelstand spricht, also von der sogenannten mittelständischen Wirtschaft, der gerade in Österreich eine besondere Bedeutung zukommt. Auch hier gibt es Definitionsschwierigkeiten, die man meist durch negative Abgrenzungen zu umgehen sucht: Großindustrie, verstaatlichte Industrie, multinationale Konzerne gehören ebensowenig zur mittelständischen Wirtschaft wie etwa der kleine Familienbetrieb.

Dieser Mittelstand - so hört man immer wieder - ist in Gefahr, denn die Konzentration scheint auf nationaler und internationaler Ebene unaufhaltsam voranzuschreiten. Werden am Ende noch Marx und Engels recht behalten, die im Kommunistischen Manifest 1848 ausführten: „Die bisherigen Mittelstände, die kleinen Industriellen, Kaufleute und Rentiers, die Handwerker und Bauern, alle diese Klassen fallen ins Proletariat ab, teils dadurch, daß ihr kleines Kapital für den Betrieb der großen Industrie nicht mehr genügt, teils dadurch, daß ihre Geschicklichkeit von neuen Produktionsmethoden entwertet wird.“

In der Bundesrepublik Deutschland zählen Fachleute heute 95 Prozent der rund 1,9 Millionen Betriebe zum Mittelstand. In diesen Betrieben sind zwei Drittel aller Arbeitnehmer beschäftigt. Nicht viel anders ist die Situation in Österreich: nicht weniger als 98 Prozent aller Betriebe gehören zur Größenklasse mit bis zu 100 Beschäftigten, und diese Betriebe erbringen fast die Hälfte der gesamten Wertschöpfung. Auch die Leistung der österreichischen mittelständischen Betriebe auf den Exportmärkten ist beachtlich. Dazu kommt, daß die Mittelbetriebe Garant der Vollbeschäftigung sind. So war 1975 bei den Großunternehmungen mit mehr als 500 Beschäftigten ein Personalabbau von 7,1 Prozent zu verzeichnen, bei den Mittelbetrieben jedoch nur ein Abbau von 2,3 Prozent.

Der Mittelstand ist - das hat die Erfahrung gezeigt - durchaus lebensfähig und ist in der Lage, seine Trümpfe gegenüber dem Großbetrieb auszuspielen: So kann der Mittelbetrieb in seinem Produktionsprogramm und seinen Absatzmöglichkeiten sehr viel wendiger und elastischer sein als der Großbetrieb. Auch wird die Überlegenheit des Großbetriebs in der Forschung stark überschätzt. Dazu kommt der Vorzug der Überschaubarkeit und der kurzfristigen Anpassungsmöglichkeit. Trotz all dieser Vorzüge haben auch die Mittelbetriebe mit Schwierigkeiten zu kämpfen.

Die Girozentrale veranstaltete deshalb vor kurzem ein Symposion zum Thema „Der spezialisierte Mittelbetrieb: Zukunftshoffnung oder Sorgenkind der österreichischen Wirtschaft.“

Der Leiter des Institutes für Wirtschaftsforschung, Prof. Seidel, wies in diesem Rahmen darauf hin, daß industrielle Mittelbetriebe in Österreich eine größere Rolle spielen als in anderen Industrieländern und daß sich die Betriebs größenstruktur der heimischen Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten nur wenig geändert hat Zwar könne man die Frage der wirtschaftlichen Effizienz nicht generell beantworten, doch zeige sich aus Untersuchungen, daß zwar mit zunehmender Betriebsgröße die Wertschöpfung pro Kopf zunimmt, doch daß in vielen Branchen der höchste Wert bereits in größeren Mittelbetrieben erzielt wird.

Prof. Seidel zeigte auch Nachteile und Gefahren für die Mittelbetriebe auf: die eher geringen Möglichkeiten der Riskenstreuung, die Standortgebundenheit, sie stoßen eher an Finanzierungsschranken, sind im Marketing größeren Einheiten unterlegen usw.; letztlich ist ihr Schicksal oft an eine bestimmte Unternehmerpersönlichkeit gebunden.

Die Neue Linke hat in den sechziger Jahren versucht, eine dritte Sozialisie-rungswelle zu starten; zwar sind die Aktivitäten dieser radikalen Gruppen heute wiedeV abgeflaut, doch ist mehr als ihr Vokabular geblieben: der Satz „Eigentum ist Diebstahl“ ist noch gut in Erinnerung und die damit verbundene grundsätzliche Infragestellung der Legitimation zur Unternehmensleitung; auch die Vokabeln „Gewinn“ (dem wir schließlich alle unseren Wohlstand verdanken) und „Leistung“ sind für viele zu fast obszönen Begriffen geworden.

Wenn Marx und Engels nicht recht behalten sollen, dann werden sich einerseits die Mittelbetriebe ihrer Chancen zu besinnen haben (Flexibilität, Elastizität, Spezialisierung, rasche Anpassungsfähigkeit, verstärkte Kooperation untereinander und Rationalisierung), es werden jedoch auch anderseits - vor allem auf steuerrechtlichem Gebiet - Initiativen zu setzen sein, die den Mittelstand vor einem „Austrocknen“ bewahren. Nur dann ist Wachstum, Prosperität und Lebensqualität möglich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung