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Gastarbeiter als Puffer

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Bevölkerungspolitik wird klein geschrieben. Trotz alarmierendem Geburtenrückgang in Österreich - 36,6 Prozent seit dem Geburtenhoch von 1963 - scheinen sich Wissenschaftler und Politiker derzeit einig, daß es Wichtigeres gibt, ökonomische und politische Kräfte werden eingeteilt. Überlegungen zum Thema Rückläufigkeit der Geburtenzahlen für Österreich rangieren weit hinten im politischen Diskussionskalender.

Einmal, weil langfristige Strategien - und Bevölkerungspolitik kann nur auf weite Sicht betrieben werden - an sich schon schwer faßbar sind und oft von kurz- und mittelfristigen Ereignissen durchkreuzt werden. Zum anderen, weil Forscher eine vermeintliche Problemlösung parat haben.

So weist der Versicherungsmathematiker Prof. Karl Wolff von der Technischen Universität Wien darauf hin, daß um das magische Jahr 2030 rund eine Million Arbeitsplätze vorhanden sein würden, für die es keine einheimischen Arbeitskräfte gebe. „Die Wirtschaft wird das Manko an arbeitsfähigen Menschen trotz moderner Elektronikhilfe nicht annähernd verkraften können“, malt Wolff die Zukunft schwarz.

Dennoch - kein Grund zur Besorgnis: Die Teilnehmer eines interdisziplinären Symposions (organisiert von der österreichischen Gesellschaft für Familie und Kind) zeigten sich beruhigt, als die Idee eines verstärkten Importes von ausländischen Arbeitskräften den Ausweg aus dem Schlamassel wies. In den letzten Jahren Opfer unserer Wirtschaftsflaute, sollen die Gastarbeiter uns für die Zukunft wieder aus der Patsche helfen.

Strange is beautiful.

Schon früher mußte Österreich in erhöhtem Ausmaß Gastarbeiter beschäftigen. Die Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren und die Wirren des Zweiten Weltkrieges ließen die Geburtenrate rapide sinken: ein Elementarereignis, das nicht zu steuern war und das heute Probleme aufwirft, die nicht so ohne weiteres beiseite zu schieben sind.

Vorarlberg liefert den Beweis. Es ist das Bundesland mit der höchsten Gastarbeiterquote und entsprechenden Erfahrungen. „Das Problem ist uns über den Kopf gewachsen“, resümiert der Vorarlberger Arbeiterkammerpräsident Bertram Jäger.

Dabei seien die wirtschaftlichen Fragen sekundär, während die primären Schwierigkeiten im sozialen und humanitären Bereich lägen.

Neben Sprach- und Wohungspro- blemen („die sich zusehends verschärfen“, Jäger) leiden Gastarbeiterkinder an Überforderung im Kindergarten und in der Schule, besuchen sie doch zusätzlichen Unterricht in der jeweiligen Muttersprache sowie Förderkurse in der deutschen Sprache. Eltern österreichischer Kinder wieder klagen über zunehmenden Niveauverlust. Wollte man diesen vermeiden, würde sich unweigerlich die Bildungsschere öffnen. Konsequenz: Desintegration und Konfliktherde.

Neuerdings sehen sich die Vorarlberger mit der Forderung - vornehmlich der Türken - nach eigenen Gebetshäusern und Moscheen konfrontiert, um nur einige weitere Problemzonen zu nennen.

Die seinerzeit von österreichischen Experten und Gastarbeitern gleichermaßen angestellte Rechnung,

daß nämlich die Ausländer von selbst nach einiger Zeit in ihr Heimatland zurückkehren, geht nicht auf. Aus Gründen des höheren Lebęnsstan- dards in Österreich, der schlechten Arbeitsplatzsituation in den „Sendestaaten“ und weil die Kinder nicht im vergleichsweise unterentwickelten Land neu beginnen wollen, bleiben die meisten Gastarbeiter in Österreich als billige Arbeitskräfte, die vor allem unqualifizierte Hilfsarbeiten verrichten. Und die - so Bertram Jäger - „am sozialen Aufstieg der Inländer“ auf ihre Weise mitwirken.

Angesichts dieser Probleme erscheint es doch einigermaßen fragwürdig, mit Ausländern als „Beschäftigtenpuffer“ (ÖGB-Volkswirt- schaftsreferent Erich Schmid) in der Bevölkerungspolitik zu kalkulieren. „Das halte ich arbeitsmarktpolitisch für nicht ideal“, weist der Bundeskammer-Sozialpolitiker Martin Mayr die Proponenten des Gastarbeiterimportes in die Schranken. „Das wäre nur eine Notlösung.“

Während Prof. Egon Matzner -

sonst eifriger Architekt von gesellschaftlichen Zukunftsmodellen - eine Stellungnahme rundweg ablehnt, verlagert der Gewerkschafter Erich Schmid derartige Prognosen (über mehr als zwanzig Jahre hinausgehend) „in den Bereich der absoluten Phantasie“. Trotzdem sei es keine Frage, daß die Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften eine Menge wirtschafts- und strukturpolitischer Probleme nach sich ziehe („das alles ist nicht so einfach“).

Im Lichte der internationalen Solidarität seien problematische Auswirkungen durchaus nicht zu unterschätzen, zumal die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft einen schwer kalkulierbaren Faktor darstelle, meint er.

Bleibt noch die Erwägung, welche Länder nach dem Jahr 2000 überhaupt Arbeitskräfte zur Verfügung stellen können. Die derzeit unterentwickelten europäischen Staaten tun ihr Möglichstes, um bis zum nächsten Jahrhundert das europäische Nord-Süd-Gefälle abzubauen. Sie werden, bis dahin - durchaus möglich - einen ebensolchen Geburtenrückgang aufweisen wie wir heute. An einem Export an Arbeitskräften kann ihnen dann nicht mehr viel liegen.

In den Ländern der Dritten Welt sieht es anders aus. Hier werden die Geburtenraten weiter steigen: Zu Beginn des 21. Jahrhunderts werden bei Anhalten des gegenwärtigen Trends in den Industrieländern 1,348 Milliarden Menschen (21,88 Prozent) einer Bevölkerungszahl von 4,819 Milliarden (78,12 Prozent) in den Entwicklungsländern gegenüberstehen.

Eine Problematik, die das Thema Gastarbeiter als national bevölkerungspolitische Variable sprengt. So stellt sich bloß die Frage, ob eine europäische Nation es sich wirklich leisten will, auf Bevölkerungspolitik mit dem Hintergedanken an den Import von Gastarbeitern und allen seinen Konsequenzen einfach zu verzichten.

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