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Gastarbeiter am Lokführerstand

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Der ÖGB ist gegen eine Erhöhung der Gastarbeiterquoten. Weil die Arbeitslosigkeit auch bei ausländischen Arbeitskräften zunimmt. Die ÖBB aber brauchen dringend „Gastlokführer". Und ein arbeitsloser Bauhilfsarbeiter aus der Türkei eignet sich dafür nicht.

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Der ÖGB ist gegen eine Erhöhung der Gastarbeiterquoten. Weil die Arbeitslosigkeit auch bei ausländischen Arbeitskräften zunimmt. Die ÖBB aber brauchen dringend „Gastlokführer". Und ein arbeitsloser Bauhilfsarbeiter aus der Türkei eignet sich dafür nicht.

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Mit 2. Juni fährt die Bahn im,.Neuen Austrotakt", kurz: NAT '91. Das ist ein Fahrplansystem mit fixen Ab-fahrts- und Ankunftszeiten und Anschlüssen im Ein- bis Zwei-Stunden-Takt, wobei der internationale mit dem regionalen Verkehr zeitlich abgestimmt wird.

Mit 4.488 Einheiten um fast neun Prozent mehr Reisezüge - darunter 68 internationale „EuroCity"-Verbindungen und 113 innerösterreichische „InterCity"-Züge auf sieben Strecken täglich - und zusätzlich 60 Güterzüge.

Das Problem dabei: Zwischen Fahrplänen einerseits sowie Einsatz,-Dienstposten-, Lok-Umlauf- und Lok-Lieferplänen andererseits gähnt ein Loch. Darüberhinaus wurde die Bahn von der Politik vergattert, Personal abzubauen.

Zwar stehen derzeit - neben einem aktuellen Personalstand von 5.179 einsatzbereiten Triebfahrzeugführem (März 1991) - weitere 573 in Ausbildung, doch bei einer Ausbildungszeit von 19 Monaten sind die NAT-Züge abgefahren. Zudem hatte die Bahn schon in den letzten Monaten Zusatzzüge im Transit und in Richtung Osten zu besetzen. v Die Idee der ÖBB, Lokführer in der CSFR oder in Polen anzuheuern, scheiterte am Sprachproblem. Dafür kam den Bahngewaltigen die deutsche Einheit gerade recht. In der ehemaligen DDR wird Bahnpersonal in Scharen abgebaut, wovon nur ein Teil bei der Deutschen Bundesbahn (DB), die ihrerseits durch Personalengpässe Notstandspläne entwirft (FURCHE 15/1991), Unterschlupf finden.

ÖBB-Generaldirektor Heinrich Übleis zur FURCHE: „Einen Teil der Lokführer, das können 150, das können 250 sein, bemühen wir uns - auf ein Jahr befristet-zu bekommen. Die werden dort auf jeden Fall abgebaut, da kann man auswählen." Und jeder Gastarbeiter aus den neuen deutschen Bundesländern muß erst hierzulande eine Prüfung bestehen.

Diese Improvisation geht freilich auch auf Kosten der Beschäftigungsquote für Ausländer, die der Gewerkschaftsbund eingefroren wissen will. Wie jeder Unternehmer muß auch die Bahn um Beschäftigungsbewilligungen vorstellig werden. „Für 100 haben wir die Bewilligung schon", betont Übleis sechs Wochen vor dem

herannahenden NAT-Start.

Daß freilich Lokomotivführer, mit ausgezeichnet Ortskenntnissen etwa von Sachsen, mit 160 Kilometern in der Stunde über die ihnen fremde Westbahn brausen, ist nicht geplant. Wie alle Gastarbeiter werden sie in der Hierarchie ganz unten beginnen. Übleis: „Diese Lokführer werden nur im Verschub und etwa für Bauzüge, nicht aber im Reiseverkehr eingesetzt werden." Dort können sie zwar nicht den Führerstand einer vertrauten Ex-DDR-Lok erklimmen, vielleicht aber ein DB-Modell. Denn um den Engpaß an Triebfahrzeugen auch im untergeordneten Betrieb zu überbrük-ken, kaufen die ÖBB von der DB 14 gebrauchte Diesel-Verschublokomo-tiven der Baureihe 211.

DB-Loks vor ÖBB-Zügen

Daß auch sonst verstärkt deutsche Lokomotiven ab Juni vor österreichische Züge gespannt werden, steht auf einem anderen Blatt. Weil die Bestell- und Lieferpläne hinter dem NAT '91 und seinen Erfordernissen herhinken, werden internationale Verbindungen vermehrt - nur mit Lokführerwechsel an der Grenze - mit DB-Lokomotiven im sogenannten Durchlauf gefahren. Wenn allerdings im heurigen Frühjahr deutsche Elektrolokomotiven bereits durch Niederösterreich bis ins ungarische Hegye-shalom und ins burgenländische Neusiedl am See vorgedrungen sind, waren das nur Schulungsfahrten, die österreichische Schienen-Kapitäne mit deutschen Triebfahrzeugen vertraut machen sollten.

Was sich die ÖBB jetzt so an Traktionsleistung „ausborgen", soll via „Naturalausgleich" in Zukunft wettgemacht werden - dann, wenn die bestellten ÖBB-Lokomotiven angeliefert werden.

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