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Gastarbeiter trotz Arbeitslosigkeit

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Pierre Trudeau, der in drei kana-dischen Wahlkämpfen triumphierte, ist laut Gallüp der unbeliebteste Regierungschef seit Kriegsende geworden. Bloß 20 Prozent würden heute für seine Liberale Partei stimmen — verglichen mit 47 Prozent für die Konservativen und 17 Prozent für die Sozialisten. Das dramatische Absinken der Popularität Trudeaus ist um so bemerkenswerter, als Joe Clark (37), der Führer der Konservativen, noch bei Jahresende ein der Öffentlichkeit kaum bekannter Hin-terbänkler aus der ölreichen Prärieprovinz Alberta war.

Bei den Wahlen von 1974 hatten Trudeaus Liberale 141 Mandate erobert, die Konservativen 95, und die Sozialisten 16. Kanadas Inflation hatte damals Robert Stanfield (den seither abgetretenen Führer der Konservativen) veranlaßt, eine Preis-und Lohnkontrolle zu fordern. Premierminister Trudeau wandte sich an die Arbeiter und donnerte: „Die Konservativen wollen einen Stop für Lohnerhöhungen! Es ist unmöglich, die Preise zu kontrollieren. Ich weiß es, ihr wißt es, und die Konservativen wissen es!“

Das hinderte Pierre Trudeau allerdings nicht, im Oktober 1975 Lohn-und Preiskontrollen einzuführen. Seine Parteifreunde verteidigen Trudeaus drastisch veränderte Politik, indem sie ihn mit einem Heerführer vergleichen, der seine Strategie der augenblicklichenLage anpassen muß.

Das dramatische Absinken seiner Popularität kam nicht plötzlich. Bereits vor einigen Monaten forschte der „Toronto-Star“ (Kanadas größte Zeitung), ob der Premierminister wohl vor den kommenden Wahlen zurücktreten werde. Nur in seiner Heimatprovinz, dem vorwiegend französisch-*sprachigen Quebec, dominiert Premierminister Pierre Trudeau noch. Anderseits wird die Animosität der Anglo-Kanadier gegenüber der Belle Provinz Quebec immer größer.

Die Tatsache, daß 7,3 Prozent von Kanadas Arbeitskräften stellenlos sind, wird als weiteres Minus für Trudeau gewertet. Zum Teil geht dies allerdings auf das Konto der großzügigen Arbeitslosenversicherung. Vor kurzem erst teilte die Arbeitslosenversicherungskommission der Kernprovinz Ontario mit, daß 74.480 Stellenlose in diesem Jahr die Arbeitslosenunterstützung verloren, wirf sie entweder '“ctfe Annähme von* Arbeiten ablehnten oder sich nicht bemühten, einen Arbeitsplatz zu finden. Das mag erklären, weshalb die Tabakpflänzer Ontarios in diesem Jahr bereits 915 Arbeiter aus den ka-ribischen Inseln und 670 Studenten als Erntehelfer aus Europa einflie-gen mußten. Paradox in einem Land mit 773.000 Arbeitslosen.

Als der junge Universitätsprofessor (und Millionärssproß) Pierre Trudeau in Kanadas politischer Arena auftauchte, elektrisierte er die „Can-ucks“. Der blendende Redner — Sohn eines Frankokanadiers und einer Schottin — schien vielen Wählern als „Kanadas John F. Kennedy“. Sein Charisma ist verflogen, Arroganz und Opportunismus haben sein strahlendes Image zerstört.

Spekulationen über Trudeaus politische Zukunft wollen nicht verstummen. Oft wird John Turner als Nachfolger erwähnt. Vor einem Jahr verließ Finanzminister Turner, ein dynamischer Politiker, trefflicher Redner und der „Kronprinz“ der Liberalen Partei, das Kabinett und wurde Partner in einer großen Torontoner Anwaltsfirma. Die Ursache von John Turners Rücktritt ist bis heute ungeklärt, doch sein come-back wird als reale Möglichkeit gewertet.

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