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Gastgeschenke aus Stuttgart

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Mit zwei Programmen gastierte das Württembergische Staatstheaterballett im Theater an der Wien. Sein künstlerischer Leiter und Chefchoreograph, der 45jährige John Cranco, englischer Abstammung und in Südafrika geboren, kam bereits 1959 nach Stuttgart zu Intendant Walter Schäfer. Seither hat er dort junge Tänzer aus der halben Welt zu einem harmonischen, wohltrainierten Ensemble zusammengefügt und mit ihnen ein interessantes, modernes Repertoire erarbeitet.

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Mit zwei Programmen gastierte das Württembergische Staatstheaterballett im Theater an der Wien. Sein künstlerischer Leiter und Chefchoreograph, der 45jährige John Cranco, englischer Abstammung und in Südafrika geboren, kam bereits 1959 nach Stuttgart zu Intendant Walter Schäfer. Seither hat er dort junge Tänzer aus der halben Welt zu einem harmonischen, wohltrainierten Ensemble zusammengefügt und mit ihnen ein interessantes, modernes Repertoire erarbeitet.

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Crankos Verhältnis zu den jungen Tänzerinnen und Tänzern scheint das allerbeste zu sein, denn was sie vorführen, macht einen heiter-gelösten Eindruck. Diese besondere Note überträgt sich als Stimmung bald auch auf die Zuschauer.

Der erste Abend begann mit „Brouillards“, einer Folge von zehn Tänzen nach Klavierstücken („Pre-ludes“) von Claude Debussy. Es waren improvisatorisch wirkende Miniaturen, anmutig, mit einem Schuß Ironie, betont distanziert zu der raffinierten Musik Debussys, deren Titel (Nebel, Segel im Wind, Tote Blätter, Schritte im Schnee) sie nur andeutungsweise zu realisieren versuchten, während die humoristischen und das hispanisierende Stück (La Puerta del vino, General Lavine und Hommage ä Pickwick) mit Genuß „ausgetanzt“ wurden. (Am Flügel Karl-Heinz Lautner). Für die Ausstattung begnügte man sich mit ein paar Vorhängen und mit weißen Trikots (die aber nicht unbedingt so häßlich sein müssen, wie die hier gezeigten). Bereits in dieser ersten Tanzsuite fielen Judith Reyn, Richard Cragun, Lucia Isenring, Catherine Prescott, Birgit Keil und Heinz Clauss auf.

Höhepunkt des ersten Abends war das im Zentrum des Programms stehende „Poeme de l'Extase“ nach Musik von Alexander Skrjabin. Das Sujet: Unter den Gästen einer Soiree, die ein großer Bühnenstar gibt, befindet sich auch ein junger Mann, der sich in die Diva verliebt. Aber diese erinnert sich — zunächst von seiner Werbung geschmeichelt — früherer Liebesbeziehungen, deren Objekte in der Gestalt von vier Männern erscheinen, mit denen sie schließlich im Triumph abzieht, den jugendlichen Verehrer allein lassend. Das wird in Form eines Handlungsballetts mit fünf Solisten sten und dem Corps als „Gesellschaft“ vorgeführt, dessen einzelne Nummern auf dem klassischen Schrittrepertoire aufgebaut sind. Marcia Haydee — Egon Maasen, ferner Jan Stripling, Bernd Berg, Heinz Clauss und Richard Cragun waren die Protagonisten. Der Inhalt ist die Leidenschaft, der sinnliche Überschwang. Hier war der Rahmen, die Ausstattung von besonderer Bedeutung: Jürgen Rose hat Dekorationen und Kostüme von zauberhafter, morbider Schönheit und orientalischem Prunk geschaffen. Das Zusammenspiel von Körperlichem und Ornamentalem ist, bis in einzelne Motive, von der Malerei Gustav Klimts inspiriert, und das begeisterte Publikum dankte für dieses Gastgeschenk aus Stuttgart bereits beim Aufgehen des Vorhangs und wollte sich von dem faszinierenden Anblick der traumhaft schönen Dekorationen, denen die Kostüme — jedes ein Kunstwerk — in nichts nachstehen, absolut nicht trennen. (Das Postas-Symphonie-Orchester, Budapest, unter der Leitung von Friedrich Lehn, spielte die leidenschaftliche, in Chromatismen schwelgende Musik Skrjabins, der ja immer schon an eine optische Realisierung seiner musikalischen Phantasien gedacht hat, recht gut).

Als Gruß an Wien war wohl auch das Brahms-Ballett mit dem enigmatischen Titel „Initialen R. B. M. E.“ gedacht. Dieses ebenfalls von John Cranco choreographierte Ballett ist seinen Tänzern Richard Cragun, Birgit Keil, Marcia Haydee und Egon Madsen gewidmet und könnte als Hohes Lied auf die Freundschaft bezeichnet werden. Jeder der Genannten hat in einem der vier Teile nach dem 2. Klavierkonzert B-Dur von Brahms die Hauptrolle, ein etwa 30köpfiges Corps in wechselnder Zusammenstellung bildet das bewegte Ambiente. In dieser Choreographie steckt viel Kunst und Können, doch eigenen sich zumindest die beiden ersten Sätze des Werkes (das als Begleitmusik mit Arnold Schalker am Flügel recht beiläufig gespielt wurde), wenig dazu, vertanzt zu werden. Hier wird auch deutlich, wie Cranco an manchen Stellen versagt, indem er die rhythmischen und emotionellen Werte dieser Musik nicht erfaßt. Der sehr stimmungsintensive dritte Satz, der — mit den schwebenden Gebärden der Tänzerinnen vor dem leuchtenden grünblauen Hintergrund — etwas Submarines hatte, zeigt, daß ihm und seinen Tänzern das Lyrisch-Elegische und das Parodistisch-Witzige besser liegt als Dramatisch-Symphonische. Wieder traten einige Tänzerinnen und Tänzer hervor, deren Namen wohl bald noch bekannter werden. Aber wenn Herr Cranco unbedingt nach Brahms-Musik tanzen will, dann möge er sich daraufhin einmal die Haydn-Variationen anhören.

*

Am letzten Abend der Stuttgarter gab's Jubel, Trubel, Heiterkeit; es war ein richtiges Sonntagabendprogramm. Getanzt wurde „Der Widerspenstigen Zähmung“, Ballett in zwei Akten von John Cranco nach Shakespeare auf Musik von Kurt Heinz Stolze nach Domenico Scar-latti (die letztere stellt eine sehr freie, originelle Bearbeitung dar und klingt zuweilen nach Milhaud. Aber das ist kein Vorwurf, sondern ein Lob). Die Hauptakteure, die wir zwei Tage vorher in komplizierten Rollen gesehen hatten, waren kaum wiederzuerkennen: die elegante und virtuose Marcia Haydee als struppiges Käthchen, die schöne Birgit Keil als scheinheilige Bianca, der gutgewachsene, kraftvolle und schlanke Richard Cragun als übermütiger Petrucchio. In den zehn Szenen, die von Elisabeth Dalton sehr freundlich und geschmackvoll ausgestattet waren, gab es in der Tat viel zu lachen. Auch konnte man die Präzision, mit der alle diese Gags einstudiert waren, bewundern. Aber oft mündete das Ganze in die Ausgelassenheit eines Kindergartens. Als „Geniestreich mit Shakespeare“ war dieses Ballett angekündigt worden. Sicher werden es die meisten „herzig“ finden. Aber notwendig war diese Choreographierung nicht. Auf alle Fälle haben auch die fünf Dutzend Tänzer ihren Spaß an der Sache gehabt. Und ein heiterer Beitrag ist immer und überall willkommen, besonders bei Festwochen ...

Helmut A. Fiechtner

• Unter der Leitung von Eugen Jochum hat der Wiener Jeunesse-Chor soeben die Ton- und Bildaufnahmen für einen Bruckner-Film beendet. Gemeinsam mit dem Bruckner-Orchester und den Solisten Kari Lövaas, Marga Schimel, Wicslav Ochmann, Kurt Moll wurden Teile aus der f-Moll-Mcsse und dem Tedeum produziert. Die Aufnahmen fanden im Stift St. Florian statt, Regisseur und Produzent des Filmes ist Dr. Hans Conrad Fischer, der durch seine Dokumentarfilme über Mozart und Beethoven bekannt ist. Der Film soll 1974 anläßlich des 150. Geburtstages von Anton Bruckner anlaufen.

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