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Gaudeamus igitur?

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Als den gefährlichsten Feind einer gedeihlichen Fortentwicklung der Menschheit hat der britische Journalist und Zukunftsforscher Ronald Higgins die Trägheit der Regierenden und die Blindheit der Regierten bezeichnet. Higgins nennt diesen Feind den „siebenten Feind“ - neben einer Reihe globaler Bedrohungen vom Hunger bis zu den Atomkraftwerken.

Es hat den Anschein, daß ein guter Teil auch der österreichischen Jugend diesem siebenten Feind gegenüber bereits kampflos die Waffen gestreckt hat. Es ist mehr als nur eine Facette dieses Budes: Die Zufriedenheit mit den Regierenden scheint noch nie so gering, die Kritik an ihnen niemals zuvor so umfassend gewesen zu sein. Gleichzeitig scheint die Bereitschaft der Regierten, selbst Verantwortung zu übernehmen, zielsicher einem absoluten Mindeststandard zuzusteuern, unter dem demokratisches Leben ernsthaft in Frage gestellt ist.

Eine empirische Erhebung, die die österreichische Hochschülerschaft (ÖH) knapp vor Ostern unter rund 2000 Studenten durchgeführt hat, zeichnet das Bild eines angehenden Akademikers, der zu den Einrichtungen der repräsentativen Demokratie (mangels einer sichtbaren Alternative) wohl eher ja sagt, der aber Politikern, politischen Parteien und Programmen lustlos, ungläubig und abweisend gegenübersteht.

Mehr als die Hälfte der in die Erhebung einbezogenen Studenten, genau 52,1 Prozent, konnten sich nicht mit einer der vier traditionellen Parteien weltanschaulich identifizieren. 25,8 Prozent identifizierten sich mit der ÖVP, 14,8 Prozent mit der SPÖ, drei Prozent mit der FPÖ und fünf von 1000 mit der KPÖ.

Diese geringe Identifikations-Bereitschaft erklärt sich die ÖH aus dem Umstand, daß in der gleichen Erhebung mehr als 60 Prozent der Studenten glaubten, daß sich keine der im Nationalrat vertretenen Parteien genügend für die Studierenden einsetze. 16,2 Prozent glauben, daß die SPÖ genügend Einsatz zeige, 9,4 Prozent sind mit der ÖVP, 2,1 Prozent mit der FPÖ zufrieden.

Bedenklich stimmt nun die Tatsache, daß die tiefsitzende Entfremdung keine Angelegenheit ist, die sich auf die Beziehung der Hochschüler zur gesamtstaatlichen Politik beschränkt. Diese Entfremdung, diese Kluft zwischen Regierenden und Regierten nimmt bereits auf der Ebene der Universität ihren Anfang. Wie sollte man es sonst deuten, daß von drei Studenten durchschnittlich zwei an den Mittwoch und Donnerstag dieser Woche stattfindenden ÖH-Wahlen gar nicht teilnehmen werden?

Die Trägheit der Regierenden und die Blindheit der Regierten sind, so scheint's, längst auch unsichtbare Stammgäste vor den Inskriptionsschaltern der heimischen Universitäten.

Eine weitere Studie, die der Car-tellverband (CV) dieser Tage präsentiert hat, läßt die an der Hochschule anzutreffenden demokratischen Fehlproportionen in einem grellen Licht erscheinen: Zwischen der (selbstgefälligen) Selbstbeurteilung der ÖH-Funktionäre und deren Fremdbeurteilung durch die nicht engagierten Studenten tat sich ein gewaltiges Loch auf.

„Studentische Funktionäre“, so ist in der Studie zu lesen, „beurteilen die Studentenvertretung global besser ... Die Statements ,Die Studentenvertretung macht die Sache gut' und .arbeitet wirkungsvoll und positiv an den Universitäten mit' werden von den Funktionären mit dem höchsten Grad an Zustimmung bedacht.“

In Zahlen ausgedrückt, sieht die Kluft zwischen der Meinung der Funktionäre und der Nicht-Funktionäre ungefähr so aus: Während ein Drittel der Funktionäre die Aussage, die Studentenvertretung arbeite wirkungsvoll und positiv an den Universitäten mit, als „sehr richtig“ bezeichnete, waren bei den „gewöhnlichen“ Studenten 0 (null!) Prozent dieser Meinung. Daß sich die Studentenvertretung ausreichend um den Lehr- und Prüfungsbetrieb kümmere, bezeichneten 25 Prozent der Funktionäre und nur drei Prozent der Nicht-Funktionäre als „sehr richtig“.

Durchaus ähnliche Ergebnisse brachten andere Fragestellungen.

Die vom Cartellverband durchgeführte Studie ist freilich keine repräsentative Untersuchung. Die Auftraggeber bezeichnen die durch den Linzer Soziologen Erich Brunmayr betreute Erhebung selbst als „Pilot-Studie“. 1000 Fragebögen gelangten nach einer Zufallsstichprobe zur Aussendung, etwas über 200 ausgefüllte Fragebögen kamen zurück. Dennoch besteht wohl kein Zweifel darüber, daß die Ergebnisse zumindest ihrer Tendenz nach richtig sind.

Die studentische Jugend, vermutlich nicht nur die studentische, liegt mit der Demokratie und ihren Einrichtungen in Streit und Hader; leider ist das eine Art von Hader, die nicht durch Hoffnung, sondern durch Niedergeschlagenheit gekennzeichnet ist; nicht durch positiven Veränderungswillen, sondern durch eine gefährliche Neigung zur politischen Abstinenz.

Daß diese Misere keine hausgemachte ist, sondern in vielen entwik-kelten Ländern ähnlich zu registrieren ist wie in Österreich, mag ein schwacher Trost sein. Eine von Elisabeth Noelle-Neumann, der Leiterin des bekannten Allensbacher Instituts für Demoskopie, im Herbst in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführte Untersuchung brachte täuschend ähnliche Ergebnisse wie die dieser Tage von der Hochschülerschaft vorgestellte Untersuchung.

So wurden etwa Deutschlands Studenten gefragt, wie sie die „Demokratie, wie sie heute auf gesamtstaatlicher Ebene praktiziert wird“, beurteilen: Sieben Prozent hielten die praktizierte Demokratie für „optimal“, 31 Prozent meinten „im Prinzip richtig, bedarf aber tiefgrei-' fender Reformen“; 53 Prozent der deutschen Studenten hielten die Demokratie für „relativ gut, jedoch verbesserungsbedürftig“; drei Prozent hielten sie für „inadäquat“ (FURCHE Nr. 47/24. November 1978).

In der Untersuchung der österreichischen Hochschülerschaft war bewußt wörtlich die selbe Frage gestellt worden: 4,2 Prozent der Studenten Österreichs halten unsere Demokratie für „optimal“, 37,4 Prozent sind für tiefgreifende Reformen, 50,7 Prozent halten sie für verbesserungsbedürftig, 6,3 Prozent für inadäquat.

Trotz dieser Zahlen gibt sich ÖH-Vorsitzender Fritz Pesendorfer optimistisch. In Deutschland hat sich nämlich herausgestellt, daß 61 Prozent der Kommilitonen die Idee des Kommunismus für grundsätzlich gut halten. In Österreich gebe es keine vergleichbare Sympathisanten-Szene für den Kommunismus.

Das mag vielleicht ausreichen, um sich vor dem Kommunismus in Sicherheit zu wähnen. Aber ob sich der „siebente Feind“ davon auch beeindrucken läßt?

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