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Geburt und Tod als Trost"

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„Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude."

Vor kurzem erschien in Frankreich ein Buch: „Anleitung zum Selbstmord". Dem Vernehmen nach soll sich die mittlerweile herausgebrachte Ubersetzung gut verkaufen.

Was bedeutet das? Steht eine drückende Wetterwand am Horizont? Wird sich ein Gewitter des Holocaust, der Massenarmut, der Verwüstung entladen?

Die einen beschwören die Schreckensvisionen, andere möchten beruhigen. Die Angst von heute scheint davon gekennzeichnet, daß wir nicht wissen, wieviel Reserven wir noch haben. Haben wir schon zuviel Substanz abgebaut?

Beispiele können genannt werden. Die letzten Jahre und Jahrzehnte haben große Wellen der Hoffnung gezeitigt: Hoffnung auf endgültigen Frieden, auf Gewalt-losigkeit, auf Zärtlichkeit, auf völlige Kenntnis der Vorgänge in den Seelen, auf Emanzipation.

Diese Hoffnungen scheinen mitunter wieder zu altern. Gutes, ja Bestes, wird angestrebt, aber die Realität ist oft anders. Nachdenkliche Fragen melden sich. Sie sind mühsam und werden mitunter verdeckt. Die Fragen aber sind da. Das alles zehrt an der Substanz.

Innerer Vorrat geht verloren, wenn grundsätzlich Vertrauen in die Familie schwindet. Das erzeugt mehr Angst, als man zunächst meint. Die meisten erhoffen für sich eine geglückte Familie — aber was ist, wenn sie mich beengt, wenn ich mich getäuscht fühle, wenn sie mir entgegensteht?

Aber auch die Kirche kann eine tiefsitzende Angst mitverursachen, wenn sie nicht hinreichend verstehbar macht, daß sie nicht aus sich selber kommt, sondern aus dem Auftrag Gottes lebt. Wenn in einem Uberschwang von geglückten pastoralen Methoden die Meinung im Raum ist, man brauche nur noch mehr Leute, mehr Geld und noch geschicktere Methoden, und dann sei beinahe alles erreichbar — dann wird doch zuwenig bedacht, woher ihre ureigenste Kraft kommt!

Wenn ein unersetzbarer Ausdruck dieser geschenkten Gnade, nämlich das Amt, das priesterliche Amt, in eine soziologische, funktionale Sache abgeleitet und wenn viel Fleiß darauf verwendet wird, nachzuweisen, daß eigentlich gar nichts Besonderes am Amt des Priesters sei — dann haben wir vielleicht ein paar Probleme vom Hals, aber neue Furcht im Herzen: Haben wir uns geleistet, den redenden und berufenden Gott abzubestellen?

So gibt es verwaiste Kinder und verwaiste Christen. Ihre Klagen werden nicht gehört, wenn die Produktion von Meinungen in lärmsicheren und vollklimatisierten Räumen stattfindet. Der Stall von Bethlehem aber war zugig und nicht abgesichert. Ungewaschene Hirten und höfliche Weise konnten ihn betreten.

Die Geburt Christi ist zunächst ein natürliches Ereignis. Ein Mensch beginnt zu leben, und damit macht dieses Kind bereits den ersten Schritt zum Tod — und was für einen Tod!

Zugleich aber ist diese Geburt die große Tröstung, weil wir seither Gott sehen können.

Gott und Mensch zugleich: Ein unter größter Anstrengung des Geistes ausgesprochenes Dogma, eigentlich unverständlich einem normalen, vielbeschäftigten, cleveren Menschen — und doch die Koordinate, die die Welt ordnet und ihr etwas von Furchtlosigkeit gibt: Gott ist mit uns!

Katholik sein heißt: Diese Wirklichkeit in Demut übersetzen.

Die Katholiken können nervösen, aggressiven Verheißungen die Mühe desi" angestrengten Nachdenkens hinzufügen. Sie haben Widerstand zu leisten, wenn gemeint wird, Ideologie sei das Letzte und Höchste und könne das vollendete Reich Gottes ersetzen.

Die Katholiken können Angst nehmen, indem sie die Wahrheit des menschgewordenen Gottes feiern in Würde, Wärme und Ehrfurcht. Wo sie diese Geheimnisse jedoch bloß entschleiern, in den Griff bekommen und restlos verständlich machen wollen, würden sie nur jene angstmachende Leere vergrößern, daß es eigentlich nichts mehr gibt.

Sie können die Angst nehmen, daß die Ehe und Familie ein eher zufälliges, widerrufbares Zusammenwohnen sei, daß man sie besser gar nicht mehr riskieren solle. Vielmehr sollen sie denken, reden, bezeugen, erleiden, ermutigen, daß die Familie eine kleine Kirche ist, in der durch das Sakrament der vor Christus geschlossenen Ehe eben derselbe Christus wohnt, und daß sie deshalb nicht bloß eine Sache von Konvention, Standesamt, Sexualität und finanziellen Vor- und Nachteilen ist.

Sie können Angst verringern, wenn sie den Himmel bestürmen, daß Gott aufs neue Menschen von den Wegkreuzungen und gewohnten Lebensstraßen wegholt und sie Priester und Ordensleute werden läßt — mit allen Konsequenzen der Erkennbarkeit, indem sie Haus und Mann, Frau und Kind hintansetzen, um dem Stern zu folgen, der zum erbarmenswerten Kind führt, das in Wirklichkeit selbst das große Erbarmen Gottes ist.

Damals waren es die Weisen, über die sich ganz Jerusalem aufregte. Diese Aufregung tut heute der ganzen Welt not—nämlich aus den Fenstern unserer Paläste und Hütten den Blick nach oben lok-ken zu lassen, um den Stern der Geduld und des Trostes Gottes zu erblicken.

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