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Gedenken, nicht Triumphalismus

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Das 300-Jahr-Jubiläum der Türkenbefreiung von 1683 soll nicht Anlaß zu einseitigen Betrachtungen sein. Wohl aber will der Autor, der namhafte Wiener Historiker und Fachmann für das 16. und 17. Jahrhundert, Mißverständnisse ausräumen und besonders auf die grausamen Züge des islamisch-osma- nischen Herrschaftssystems hinweisen.

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Das 300-Jahr-Jubiläum der Türkenbefreiung von 1683 soll nicht Anlaß zu einseitigen Betrachtungen sein. Wohl aber will der Autor, der namhafte Wiener Historiker und Fachmann für das 16. und 17. Jahrhundert, Mißverständnisse ausräumen und besonders auf die grausamen Züge des islamisch-osma- nischen Herrschaftssystems hinweisen.

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Im Bewußtsein der Österreicher sind die zwei Wiener Türkenbelagerungen von 1529 und 1683 sowie Prinz Eugen von Savoyen als Türkenbesieger noch lebendig. Aber nur wenige sind sich dessen bewußt, daß es sich bei der drei Jahrhunderte währenden, kriegerischen Konfrontation zwischen Österreich und dem Osma- nenreich um eine Begegnung han-

delte, bei der es nicht nur für Österreich um Leben oder Tod ging. Auch das Schicksal ganz Mitteleuropas, über den Bereich des damaligen „Heiligen Römischen Reiches“ hinaus, stand mehrmals auf dem Spiel.

Österreich mit «einem politischen Kerngebilde, dem altösterreichischen Erblandestaat, hatte sich nach dem Zusammenbruch Ungarns unter den Schlägen Sultan Süleymans I. 1526 neuerlich formiert und für über zwei Jahr hunderte die Rolle eines Bollwerkes des christlichen Abendlandes übernommen, so wie früher ihr Kern, die Mark „Ostarrichi“ (um 800) im Reich Karl des Großen, und — daraus entwickelt — seit 1156 das Herzogtum „Osterrich“ im „Heiligen Römischen Reich“ ein Bollwerk gegen Awaren, heidnische Magyaren und Mongolen gewesen waren.

Ohne die Opfer Österreichs und der Donaumonarchie und ihrer fallweise Verbündeten vom 15. bis ins 18. Jahrhundert wäre ein großer Teil des Kontinents einer fremden osmanisch-islamischen Zivilisation mit asiatisch-despo- .tischen Zügen anheimgefallen. Diese kannte nur eine waffentragende islamische Oberschicht, und eine waffenlose christliche „Herde“ von unterworfenen Völkerschaften auf dem Balkan. Nur wer Mohammedaner wurde, konnte nach Waffentaten oder im diplomatischen Dienst mit einigem Glück in die Herrenschicht aufsteigen.

Die natürliche Machtpolitik der

Osmanen war untrennbar verknüpft mit der Dynamik des Islam, einer Religion, die zum Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen verpflichtet. Das osmanische Ringen um die Weltherrschaft wurde von der Gottesherrschaft inspiriert: von „Koran und Säbel“. Dennoch ist der Vorwurf einer „Bekehrung der Ungläubigen mit Feuer und Schwert“ eine Simplifi- zierung. Es ging den Osmanen vor allem um die Unterwerfung unter die Herrschaft der Bekenner des Islam. Der Leitsatz türkischer Außenpolitik lautete: Gott hat den Osmanen drei Dinge auf Er-

den verliehen: den Glauben, den Tribut und den Säbel.

Daher lauteten die Ubergabeaufforderungen an belagerte christliche Städte: Annahme des Islam oder Unterwerfung, d. h. Zahlung des Tributs oder Vernichtung durch das Schwert (So auch in Wien am 14. Juli 1683). Die Unterwerfung unter Beibehaltung des Glaubens war drückend genug, ebenso die „Kopfsteuer“. Ein Gefühl der Rechtlosigkeit herrschte, die freie Religionsausübung war begrenzt, gesellschaftliche Einschränkungen waren die Regel. Viele traten daher zum Islam über, wenngleich der rechtliche Status der Nichtmuslime die Identität zahlreicher religiöser und ethnischer Gruppen einigermaßen bewahren half, waren sie doch vor Willkürmaßnahmen gewisser Sultane und Statthalter nicht sicher.

Angesichts vieler gegenseitiger Ausrottungsfeldzüge der Sunniten und Schiiten erscheinen die Inquisition und die Konfessionskriege des christlichen Westens — so bedauerlich sie auch sind — mindestens egalisiert. Gewiß hatten es Protestanten im Ösmani- schen Reich — vor allem die Calvi- ner in Ungarn und Siebenbürgen — besser als in katholischen Ländern zu Zeiten der katholischen Restauration. Aber die Pforte betrieb damit auch eine Politik des „divide et impera“, weil es sich hier um Feinde des Kaisers handelte und man bemühte sich auch, die protestantischen Engländer und Holländer gegen die katholischen Mächte Österreich und Spanien auszuspielen, so wie diese sich bemühten, Persien gegen die Pforte ins Spiel zu bringen.

Noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts verübelte man es der

Pforte in der Welt der europäischen Staatsgelehrten, daß sie noch immer keine Teilung der Gewalten kenne. So schrieb Montesquieu in seinem Werk „De l’Esprit des Loix“, daß an der Pforte ein „furchtbarer Despotismus“ herrsche, weil keine Trennung der drei Gewalten bestehe.

Es handelte sich um eine asiatische Despotie, bei der die Grausamkeit systemimmanent war und das Menschenleben „en mas- se“ mißachtet wurde, in diesem Fall auch schon rein quantitätsmäßig ein Unterschied gegenüber den Sünden des Abendlandes. Auf einen Wink des Sultans oder Großwesirs konnten Hunderte ja Tausende zugleich den Kopf verlieren - gewiß vor allem im Kriege oder um Aufstände niederzuschlagen.

Auch das Reformwerk der Großwesirsfamilie Köprülüs bestand zum Teil in Massenhinrichtungen, wohl auch um die Korruption auszurotten. Mehmed Köprü- lü (1656-1661) soll 35.000 Hinrichtungen veranlaßt haben. Rebellen lockte er durch falsche Versprechungen in Hinterhalte, wo er sie massenhaft hinmetzeln ließ. So wurde auch noch im 18. und sogar im 19. Jahrhundert verfahren, etwa bei der Liquidierung der im-

mer wieder rebellischen Janit- scharen am .16. Juni 1826.

Die Verteidiger Wiens und Österreichs und die Entsatzkorps hatten alle Ursache, Gut und Blut einzusetzen, um Wien und dieses Land mit seiner europäischen Schlüsselstellung vor einer Zerstörung seines kulturellen Antlitzes und einer Denaturierung seines geistigen Wesens als vornehmes Mitglied des so geliebten, wenn auch fehlerbehafteten christlichen Abendlandes zu retten. Daß diese Rettung so wie in den früheren Jahren auch 1683 bravourös gelang, ist wahrhaft eine 300-Jahr-Feier wert.

Es handelt sich dabei nicht um einen Triumphalismus, sondern um ein dankbares, auf die dramatischen Einzelheiten dieser Rettung eingehendes Gedenken. Es war leider ein blutiges, vorwiegend militär-historisches Ereignis. Aber es weist so viele Beispiele höchster menschlicher Bewährung unserer Vorfahren und ihrer Verbündeten auf, daß gerade sie eine Neuvergegenwärtigung verdienen.

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