7050818-1990_51_07.jpg
Digital In Arbeit

Gedrosselte Freundschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Bis vor kurzem war Erdöl in der Sowjetunion billiger als Mineralwasser. Dementsprechend sorglos ging man mit dem Rohstoff um. Das slowakische Wochenblatt „Slobod-ny Piatok" berichtete unlängst, daß auf dem sowjetischen Militärflughafen nahe dem Heilbad Sliac beim Auftanken der Maschinen täglich Hunderte Liter von Kraftstoff im Boden versickerten. Die Erde ist bis in eine Tiefe von 15 Meter verseucht. Inzwischen wurden schon mehr als hunderttausend Kubikmeter Erde entsorgt.

Das sowjetische Territorium wird von einem Netzwerk an Pipelines in der Gesamtlänge von 300.000 Kilometern durchzogen. Allein im Vorjahr wurden durch diese Rohre 1,25 Milliarden Tonnen Erdöl und Erdgas gepumpt. Und zu Freundschaftspreisen an die sozialistischen Bruderstaaten verkauft. Dabei ist ein beträchtlicher Anteil des Rohstoffes niemals am Bestimmungsort angekommen. Nach offiziellen Angaben sind im Vorjahr eine Million Tonnen Rohöl aufgrund schadhafter Leitungen im Boden der Tundra versickert.

Während Ungarn, Tschechen und Polen mit Blechkanistern ausgerüstet die Zapfsäulen belagern und die hochschnellenden Preise bejammern, wird die Krise erst im kommenden Jahr voll ausbrechen. Darin fließt aus der internationalen Pipeline „Druschba" (Freundschaft) um 35 Millionen Tonnen weniger Öl als heuer, wo noch lOOMillionen durchschossen. Alexej Jakuschkin, Experte vom Moskauer Institut für Weltwirtschaft, beklagt das Verschlafen von Energiesparmaßnahmen seitens der Osteuropäer. Nächstes Jahr müssen die einstigen Verbündeten um 4,4 Milliarden Dollar mehr für den Kraftstoff bezahlen. Das würde für die Reformländer ein Mühlstein am Hals sein: So müßte etwa die Tschecho-Slowa-kei für den Import von Öl mehr bezahlen, als sie durch den Export von Industriegütern erwirtschaften kann. Die Situation droht ähnlich auszuarten, wie bei den Ländern der Dritten Welt, die bis heute an den Folgen des ersten Ölschocks laborieren. Bis jetzt glauben noch viele Wirtschaftsfachleute - in Ost und West - daß man schon noch einen modus vivendi mit den sowjetischen Öllieferanten finden würde. Doch Wirtschaftsexperte Jakuschkin warnt die Osteuropäer, daß sie die Öllief erungen nicht mehr mit Waren „die auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig sind" bezahlen könnten. Mit was dann?

In den westlichen Medienberichten wird das neuerwachte Profitdenken der Sowjets für die Ölmise-re unserer östlichen Nachbarn verantwortlich gemacht. Dabei wird übersehen, daß die Russen selber am Rande einer Katastrophe da-hinschweben. „Der Ölhahn wird abgedreht!" Mit dieser Schreckensmeldung warnte Anfang November die liberale „Moscow News" die Sowjetbürger vor einem drohenden bitterkalten Winter: Die 700.000 Arbeiter der riesigen Ölf eider im westsibirischen Tjumen drohen mit einem Generalstreik. Die Ölförderbetriebe wollen die horrenden Strafen, die das Umweltministerium über sie verhängt hat, nicht bezahlen. Dies würde nämlich den Ruin bedeuten. Die Manager der Betriebe ihrerseits machen die schlampige Arbeit der Erbauer der Pipelines für die massive Umweltverseuchung verantwortlich. Die Rohre, ohne Isolierung, seien bis zu einem Drittel von Rost zerfressen. Für ihre Erneuerung fehlt das Geld. In Tjumen werden pro Woche vier Millionen Tonnen Erdöl gefördert. Von hier aus fließt es nach Osteuropa.

Pro Jähr werden in der Sowjetunion an die 600 Millionen Tonnen Erdöl gefördert. Dabei wird oft nach der Methode „Teufel-komm-raus" vorgegangen. So berichtete vor einigen Monaten die populäre Zeitschrift „Argumenty i Fakty" über massive Ölverschmutzungen in der Petschora-Bucht. Dort wurde 1980 in 1,5 Kilometer Tiefe ein kleiner Atomsprengsatz gezündet. Man wollte damit der Notemission von Erdgas im Gefolge der Bohrungen zuvorkommen. Doch dieses wilde Experiment zeitigte genau entgegengesetzte Folgen: Ein riesiger Trichter entstand, pro Tag entwichen über eine Million Kubikmeter Gas, das ausströmende Öl gelangte sogar bis in die Barentsee.

Veraltete Förderanlagen, lecke Rohre, kaputte Umwelt - für ihre Sanierung braucht man Unsummen. Die einstigen Verbündeten werden nun zur Kasse gebeten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung