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Gefährdet durch die Zeit

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Seit den sechziger Jahren gibt es wieder eine Literatur von Ungarndeutschen für Ungarndeutsche. Ob es sie in fünfzig Jahren auch noch geben wird, fragt sich eine der engagiertesten, kürzlich vom österreichischen PEN-Club zu einer Dichterlesung nach Wien und zur Teilnahme an der 21. Alpenländischen Schriftstellerbegegnung nach Igls bei Innsbrück eingeladenen deutschungarischen Autorinnen: Valeria Koch.

Sie neigt dazu, diese Frage zu verneinen, falls der Assimilie-rungsprozeß der deutschen Minderheit unter rund zehn Millionen Magyaren so weitergeht wie bisher.

Zwar leben nach der Vertreibung von einer halben Million Deutscher aus Ungarn noch 220.000 „Donauschwaben“ vor allem in Pees (Fünfkirchen), um Budapest, bei Sopron (öden-burg) und in Baja an der Donau in Südungarn; und sie sprechen nach wie vor den fränkischen Dialekt ihrer unter Maria Theresia in das ungarische Kronland geholten Ahnen. Sie singen auch noch deren Lieder und kennen die alten Märchen und Sagen.

Die meisten sind Bauern. Nur ein kleiner Prozentsatz gehört der gebildeten Schicht an und beweist schöngeistige Ambitionen. Daß er es immer seltener in deutscher Sprache tun wird, ist zu befürchten.

Noch erscheint eine deutschsprachige Wochenzeitung, die in Budapest herausgegebene „Neue Zeitung“ mit einer Auflage von rund 70.000 Exemplaren. Noch wird ein deutscher Kalender aufgelegt, und Ungarndeutsche haben die Möglichkeit, im „Literarischen Rundbrief“, einer Hauszeitung der Literarischen Sektion des Verbandes der Ungarndeutschen, zu publizieren. Auch der im Bildungsministerium verankerte Lehrbuchverlag hat - nachdem das Preisausschreiben „Greif zur Feder“ der „Neuen Zeitung“ vierzig Donauschwaben dazu mobilisiert hatte, dieser Aufforderung zu folgen - in den vergangenen Jahren fünf Anthologien aus der

Feder deutscher Minderheitsangehöriger herausgebracht und Begabungen wie der Lyrikerin Valeria Koch und dem Erzähler Ludwig, dem Heimatdichter Georg Fath und der großen Lyrikerin Erika Ats sowie Engelbert Rittinger und Nelu Bredean-Ebinger Gelegenheit gegeben, mit Einzelwerken auf dem Buchmarkt zu erscheinen. Nahezu alle Bücher erschienen in Auflagen von nur je 2.000 Exemplaren. Nicht einmal die Anthologie für Kinder und Jugendliche, „Igele und Bigele“, die in deutschen Gymnasien in Ungarn im Unterricht verwendet wird, brachte es zu einer höheren Auflage.

Gymnasien in Baja, Pees und Budapest, in denen deutsche Literatur und Grammatik, Geschichte, Geographie und der Turn- und Musikunterricht in deutscher Sprache gelehrt werden (Mathematik und alle naturwissenschaftlichen Fächer in Ungarisch), sind dagegen vorhanden. In den Nationalitätendörfern werden Kindergärten mit deutschsprachigen Kindergärtnerinnen geführt. Aber so wie sich in das gesammelte und erzählte deutsche Märchengut schon längst ungarische Märchenelemente eingeschlichen haben, so lesen und schreiben in zunehmendem Maße die Ungarndeutschen Ungarisch.

Daß sie mit größtem Interesse die jeden Mittwoch abend ausgestrahlte deutschsprachige TV-Sendung der Station Pees verfolgen, die Samstag früh wiederholt wird, besagt zu wenig. Da stehen Filme über diverse Sitten und Gebräuche auf dem Programm. Hauptsächlich jedoch sprechen ungarische Wissenschafter deutscher Herkunft über wissenschaftliche Themen, hin und wieder wird auch literarisch Anspruchsvolles ausgestrahlt. Das Programm dauert nie länger als eine dreiviertel Stunde.

An der Budapester Loränal-Eötvös-Universität, an der die 1949 im Komitat Baranya geborene Valeria Koch ein Seminar für deutsche Gegenwartsliteratur hält, studieren etwa 120 Studenten Germanistik. Russisch ist für alle obligatorisch — an der Universität wie an sämtlichen Schulen, wo als zweite Fremdsprache Englisch zunehmend beliebter wird, das Französische neuerdings wieder gefragt und die Nachfrage nach Deutsch rückläufig ist.

Für wen also schreibt die Handvoll ungarndeutscher Lyriker und Erzähler? Das ist eine Frage, die den in die DDR und hin und wieder nach Österreich eingeladenen Autoren aus dem Magyarenland gestellt wird, vor allem, weil mit Ausnahme des Heimatdichters Georg Fath und dessen Gedichtband „Stockbrünnlein“ keiner von ihnen in der BRD, DDR oder in Österreich verlegt wurde.

Die von ihrem Gehalt als Journalistin und ihren Honoraren als Übersetzerin lebende praktizierende Katholikin Valeria Koch arbeitet zur Zeit an einem Roman über ihre eigene Kindheit und Jugend, in den natürlich die Probleme einer nichtungarischen Volksgruppe einfließen. Sie schreibt ihn allerdings nicht in Deutsch, sondern in Ungarisch. Ob die nächste Generation in Ungarn diese Probleme noch verstehen wird?

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