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Gefährliche Geschichte

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Ein Blick auf die Landkarte /genügt, um Koreas Schicksal zu begreifen. Im Norden trennt der Jalufluß das Land von China, im Anschluß daran schiebt sich der Turnen zwischen Korea und die Sowjetunion. Wladiwostok liegt nur 100 Kilometer östlich davon. Im Süden trennen nur 200 Kilometer den Hafen Pusan vom japanischen Shimonoseki jenseits der Straße von Korea, in deren Mitte die Insel Tsushima liegt, Schauplatz der Entscheidungsschlacht zwischen Japan und Rußland im Krieg von 1904/1905.

Zählt man die USA mit ihren pazifischen Interessen hinzu, dann ist das Bild der Konfrontation des kleinen Korea mit vier Großstaaten - von denen zwei heute Supermächte sind - perfekt. Die Wellen dreier Meere umspülen 9.000 Kilometer Seegrenze, die Korea niemals zu verteidigen imstande war: das Gelbe Meer, das Japanische Meer, das Ostchinesische Meer.

So wurde die Geschichte Koreas der Bericht von Macht und Einfluß, wenn nicht Besitz des kleinen Landes, um es als Sprungbrett für Aggressionen gegen andere Mächte zu nutzen. Korea suchte sein Heil darin, die Mächte gegeneinander auszuspielen und sich dabei eine Macht dienstbar zu machen. Nur um immer wieder zu erkennen, daß die Großmächte im entscheidenden Augenblick zur Verteidigung ihrer Interessen solidarisch waren — und Korea der Verlierer war.

Zu bewundern ist, daß in diesem Ringen durch die Jahrhunderte das koreanische Volk seine nationale Identität bewahren konnte.

Schon im 7. Jahrhundert beginnt das Interesse der „Großen“ in Gestalt eines Bündnisses zwischen dem China der Tangdynastie und dem Königreich Silla, während die japanische Flotte den Königen von Peakche zu Hilfe eilt. Das vereinigte Silla hat im wesentlichen Korea in seiner Gestalt bis zur Teilung 1945 geschaffen.

Das China der mongolischen Yüandynastie — dessen Kaiser Kubilai Khan Marco Polo anstellte - machte sich Korea tributpflichtig. Dafür sollte Korea unter der Koryodynastie (918 bis 1389), die dem Land seinen Namen gab, als Sprungbrett Chinas gegen Japan dienen.

Zehntausende Koreaner mußten Schiffe bauen und als Söldner dienen. Doch ein heftiger Sturm hinderte zweimal die koreanische Flotte an der Landung. Die Japaner maßen der rettenden Brise überirdische Bedeutung bei und nannten sie den „göttlichen Wind“, Kamikaze. Ein Begriff, der im Zweiten Weltkrieg für die japanischen Selbstmordpiloten bekannt wurde.

Im 14. Jahrhundert traten in Peking die Mingkaiser ihre Herrschaft an, während in Korea die Yidynastie an die Macht kam, die

über 500 Jahre bis zur japanischen Annexion regierte.

Im 17. Jahrhundert tauchten die Europäer im koreanischen Gesichtskreis auf. Der holländische Seemann Hendrik Haarmel landete 1653 per Schiffbruch als erster Europäer in Korea, wo er 15 Jahre blieb und nach seiner Heimkehr ein Buch über seine Erlebnisse schrieb. Fast gleichzeitig tauchten in der Mandschurei an der Nordgrenze Koreas die ersten russischen Siedler und Kosaken aus den Weiten Sibiriens auf in den Flußtälern von Amur und Ussuri, die heute noch Zankapfel der chinesisch-sowjetischen Grenzverhandlungen sind. Koreanische Diplomaten brachten vom Kaiserhof in Peking Kunde

„Man hoffte, das Böse aus dem Ausland würde bald vorüberziehen “ vom seltsamen Europa, wo eine Religion herrsche, die die göttliche über die weltliche Macht stelle. Es folgten die Nachrichten vom Opiumkrieg und der Vernichtung des Pekinger Sommerpalastes durch europäische Truppen.

Korea zog sich in sein eigenes Schneckenhaus zurück. Man hoffte, daß das Böse aus dem Ausland wie ein Gespenst vorüberziehen würde. Doch das tat es nicht.

1865 tauchten die ersten russischen Schiffe vor der koreanischen Küste auf. Ein Jahr später segelte der amerikanische „General Sherman“ den Taedong nach Pjöngjang hinauf, um Handel zu treiben und zu evangelisieren.

Die Koreaner hatten dafür wenig Verständnis. Sie töteten die Matrosen und verbrannten das Schiff. Landungsversuche der Franzosen wurden ebenfalls abgewehrt. Doch die Koreaner frohlockten zu früh.

Die Japaner lernten aus den Fehlern des Westens und warteten zehn Jahre zu. 1876 tauchten sie mit 400 Marinesoldaten und einem fertigen Vertragstext in Seoul auf, dem Vorläufer der berühmt-berüchtigten ungleichen Verträge. Er enthielt vor allem den entwürdigenden Passus der Exterritorialität - das heißt Entzug der Ausländer von der einheimischen Gerichtsbarkeit. Dazu die Errichtung einer Gesandtschaft, Anerkennung der japanischen Währung, Export von Lebensmitteln und Rohstoffen im Austausch für billige Textilien. Die koloniale Unterwerfung Koreas hatte begonnen. Die nächsten waren 1882 die USA als erster westlicher Staat. Sie versprachen sogar Hilfe und Vermittlung im Falle einer Bedrohung — und versagten, als es zum Testfall kam.

Die anderen Mächte rückten schnell nach, um Handels- und Konsularverträge unter Dach und Fach zu bringen: 1883 Großbritannien und Deutschland, 1884 Rußland und Italien, 1886 Frankreich, 1889 als Nachzügler Österreich-Ungarn. Das Wettrennen konnte beginnen.

Der Taewongun, Vater und Regent des minderjährigen Königs Kojong, war ein erbitterter Verfechter der totalen Isolation zur Abwehr alles Fremdländischen und zur Bewahrung der traditionellen Werte. Die Reformer waren für Öffnung und Modernisierung, um Korea militärisch und wirtschaftlich zur Abwehr stark zu machen. Doch das konnte nur mit dem Westen und vor allem mit Japan gelingen.

Der Vormarsch der Donghaks, einer sozial-nationalistischen Aufstandsbewegung, versetzte die Monarchie in Angst und Schrecken. Sie erflehte ausländische Hilfe — aus China. Was Japan den willkommenen Anlaß bot, seinerseits Truppen nach Korea zu entsenden. Von da ab war es Japan ein leichtes, den Krieg gegen den Erbfeind zu provozieren, der -1894/95 - mit der totalen Niederlage Chinas endete. Die Königin Min, die als pro-russisch galt,

„Die USA versprachen Hilfe - und versagten, als es zum Testfall kam“ wurde auf Befehl Japans ermordet. Die Empörung über den Mord löste eine Welle pro-russischer Sympathie aus. Rußland schielte nach einem eisfreien Hafen an Koreas Ostküste (Wonsan) und war besorgt um die Freiheit der Seewege.

In Verhandlungen versuchten Rußland und Japan Einvernehmen zu erzielen, wobei auch eine Teilung in Einflußsphären vorgeschlagen wurde — am 38. Breitengrad, an dem Korea tatsächlich 1945 zwischen den USA und der Sowjetunion geteilt wurde.

Die Konfrontation spitzte sich soweit zu, daß der König 1896 in die russische Gesandtschaft flüchtete und von dort aus ein Jahr lang die Staatsgeschäfte leitete. Japan wartete wieder ab. Der geeignete Augenblick kam 1904 mit einem Vorläufer von Pearl Harbour - dem Uberfall auf die russische Flotte in Port Arthur vor der Kriegserklärung.

Das war der erste Sieg einer asiatischen Macht über eine europäische und kündigte den Zusammenbruch des Kolonialismus an. Im Vertrag von Portsmouth, für den der amerikanische Präsident Theodore Roosevelt sogar den Friedensnobelpreis erhielt, anerkannten die USA die japanischen „Interessen“ in Korea, anstatt — wie im Vertrag von 1882 vorgesehen — als Helfer und Vermittler für Korea aufzutreten.

Dafür verpflichtete sich Japan, nichts gegen die amerikanische Kolonisierung der Philippinen zu unternehmen. Ein ähnliches Abkommen mit Großbritannien sicherte Japans Wohlwollen für dessen Nichteinmischung in Bri-tisch-Indien.

Damit war Japan freie Hand gegeben, zuerst 1905 den Protektoratsvertrag Korea aufzudrängen und am 22. August 1910 den Annexionsvertrag.

Der Vorhang über dem koreanischen Drama war gefallen. Er sollte sich erst 35 Jahre später heben — mit der Kapitulation Japans im August 1945. Sie brachte Korea wohl die Freiheit, aber auch die Zerstörung einer nationalen Einheit, die mehr als 1.000 Jahre gehalten hatte, durch eine neue Form der Einmischung mit einvernehmlichen Einflußsphären der Großmächte — nun auf zwei Supermächte reduziert.

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