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Gefährliche Rede über die Nation

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Deutsche Historiker stellen in letzter Zeit zunehmend die eigene österreichische Identität in Frage. Ein Buch aus Graz schlägt nun gefährlich in diese Kerbe.

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Deutsche Historiker stellen in letzter Zeit zunehmend die eigene österreichische Identität in Frage. Ein Buch aus Graz schlägt nun gefährlich in diese Kerbe.

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Quis tacet consentire videtur — wer schweigt, dessen Zustimmung wird angenommen. Um ein deutliches „Ich stimme nicht zu“ zu deponieren, soll auf einen weit ins rechte politische Spektrum, bis zu Norbert Burger, reichenden Sammelband über „Österreich

und die deutsche Nation“ aufmerksam gemacht werden, den man sonst am liebsten mit Schweigen übergehen würde.

Der im Aula-Verlag in Graz erschienene, von Andreas Mölzer herausgegebene Band von 444 Seiten bringt 31 Beiträge von 27 Autoren. Man befaßt sich mit „der schwierigen Nation“ — gemeint ist

die deutsche —, mit dem „deutschen Österreich“, mit den „Grenzen“ — von den „Deutschen im Osten“ bis Nordschleswig und Südtirol, und mit der Frage, was „national“ heute bedeutet.

Der Herausgeber betont, die „historische Logik und die Souveränität unserer Republik“ sollten keineswegs in Frage gestellt werden, es gehe vielmehr darum, .jenes positive Österreichbewußtsein, ohne das die Menschen dieses Landes sich mit ihrem Staatswesen, ihrer Gesellschaftsordnung und ihrer Kultur nicht identifizieren könnten“, auf der Basis „historischer Wahrhaftigkeit“ zu untermauern.

Dabei gelte es in erster Linie, die „deutsche Identität Österreichs“ aus jenem Trümmerhaufen, den „die Selbsttäuschung, der Opportunismus und die Manipulation der vergangenen Jahrzehnte hinterlassen haben“, zu bergen.

Die Beteuerung der historischen Wahrhaftigkeit wird fraglich, wenn ein Beitrag über die „österreichische Nation“ den provokanten Titel „Die Nation, die aus Moskau kam“ trägt. Der Autor, Helmut Golowitsch, unterläßt es, Namen wie Alfred Mis-song oder Ernst Karl Winter zu nennen, die in jedem wahrhaftigen Bericht über die Genesis der Idee einer österreichischen Nation zu nennen wären.

Richard Coudenhove-Kalergi, wohl auch kein Mann, der aus

Moskau kam, schrieb 1935: „Sobald Österreich sich als eine eigene Nation fühlt, hört es auf, ein europäisches Problem zu sein. Dann gibt es ebensowenig eine österreichische Frage wie es eine schweizerische gibt. Aus einer Frage wandelt sich Österreich in eine Tatsache.“

Erwähnte man Winter oder Coudenhove, könnte man allerdings nicht mehr, wie es Golo-witsch tut, die Idee der österreichischen Nation als „Erfindung der KP-Propaganda“ bezeichnen. Uber die Entwicklung dieser Idee in der Zweiten Republik wird kein Wort verloren.

Bezüglich der Moskauer Österreich-Deklaration von 1943 wird die Position Englands nicht richtig wiedergegeben; es entsteht auch der Eindruck, daß die Ver-

antwortlichkeitsklausel dieser Erklärung russischen Ursprungs sei, doch handelt es sich bloß um die Modifizierung (und Verstärkung) der auf die Briten zurückgehenden Verantwortlichkeitsformel.

Im Vorwort wird zwar die Souveränität Österreichs nicht in Frage gestellt. Doch der Beitrag von Hans-Dietrich Sander „Deutsche Teilstaaten mit beschränkter Souveränität“ schließt die „Bundesrepublik Österreich“ — unser Staatsname scheint dem deutschen Autor nicht geläufig zu sein — in seine Analyse dieser drei „Teilstaaten“ ein.

Sander weist auf „die Männer, die an der Wiege der zweiten Wiener Republik standen: der russische Außenminister Molotow, der amerikanische Außenminister Hull und der britische Außenminister Eden — dahinter eine Handvoll österreichischer Kommunisten und Monarchisten“. Jetzt also wissen wir's, wem die Entstehung der Zweiten Republik zu danken ist!

Doch es kommt noch bedenklicher. Sander will sich mit einer „durchjuridifizierten Teilung des Deutschen Reiches“ (in drei Teilstaaten, wohlgemerkt!) nicht zufriedengeben. Die Folge der „Zerstückelung des Deutschen Reiches“, so Sander, war die russisch-amerikanische Doppelhegemonie über Europa, „die keine Wurzeln schlagen konnte“. Sie

kann, dies Sanders Schlußfolgerung, „nur durch eine Wiederherstellung des Reiches aufgehoben werden“ (!).

Sander meint, daß eine solche Initiative über die Souveränität eines Teilstaates, „der sich zum deutschen Piemont ausbildet“, eingeleitet werden könnte. Ausgerechnet in der österreichischen Unabhängigkeitserklärung von 1945 sieht Sander Fingerzeige, wie man die Annullierung der Verträge, „die einer solchen Entwicklung im Wege stehen“, völkerrechtlich plausibel machen könnte.

In der Präambel der österreichischen Unabhängigkeitserklärung heiße es, der Anschluß von 1938 sei widerrechtlich gewesen, weil er durch militärische Bedrohung und Besetzung einer wehr-

losen Regierung abgelistet und aufgezwungen wurde. Sander meint nun, dies treffe auf 1938 weniger zu, als es „von 1945 auf alle Verträge zutreffen sollte, zu deren Abschluß die deutschen Teilstaaten genötigt wurden“.

Er fügt hinzu, dazu bedürfe es natürlich nicht nur einer günstigen machtpolitischen Konstellation, sondern auch der Vorbereitung der Bevölkerung eines dieser Staaten auf diesen Augenblick. Sander sagt nicht, welchen seiner „drei Teilstaaten“ er hier im Sinne hat. Die Tatsache, daß in diesen Anregungen zu „Vertragsannullierungen“ die Republik Österreich überhaupt genannt wird, ist bedenklich genug.

Es kann hier nur auf wenige Beiträge hingewiesen werden, österreichische Völkerrechtler werden nicht erfreut sein, von Hans Merkel (Bundesrepublik Deutschland) eine „Fusionstheorie“ der Ereignisse vom März 1938 vorgesetzt zu erhalten. Nikolaus von Preradovich zählt genüßlich die Zahl von Österreichern im Generalsrang der Deutschen Wehrmacht, von Ritterkreuzträgern und Angehörigen der Waffen-SS auf.

Otto Scrinzi findet, es gebe auch für den „Nationalen“ in Österreich Gründe, die staatliche Selbständigkeit in Verbindung mit militärischer Neutralität „für gesamtdeutsche Interessen nützlich erscheinen zu lassen“ (!). Scrinzi

verweist zustimmend auf die Möglichkeiten „eines sich herausbildenden deutschen Dreieckes, dessen politische Zusammenarbeit das gegenwärtige deutsche Elend schrittweise überwinden könnte“. Da ist also Österreich immer dabei.

Ich versage es mir, auf Norbert Burgers Artikel „Was heißt .rechts'?“ einzugehen. Zwei bedauernde Bemerkungen aber zum Schluß.

Es ist schade, daß ein so profilierter Gelehrter und auch Mandatar der österreichischen Volkspartei wie Felix Ermacora einen Beitrag zu diesem Band (über Staatsvertrag und Neutralität) geleistet hat.

Und es ist ebenfalls schade, daß ein so begabter junger Historiker wie Lothar Höbelt im Abschnitt

über das „deutsche Österreich“ einen Essay „Von St. Gotthard bis St. Germain“ beigetragen hat. Sein Hinweis auf die Entwicklung des machtpolitischen Verhältnisses zwischen Österreich und Preußen nach 1866 „innerhalb der deutschen Nation“ wirkt etwas gekünstelt. Denn was heißt bei der Habsburger-Monarchie „innerhalb der deutschen Nation“?

Höbelt schreibt abschließend von der „Einbindung der Deutschen Österreichs in die deutsche Geschichte — und Gegenwart; nicht als ihr Objekt, sondern als aktiver und unverzichtbarer Bestandteil zum Guten oder zum Schlechten“.

Was es uns wohl bringen würde, nähme man manche der in diesem Buch enthaltenen Vorschläge ernst?

Die Rede von den „drei deutschen Staaten“ seit dem „Zerfall“ oder der „Teilung“ des Deutschen Reiches, den „drei deutschen Republiken“ (Helmut Diwald) ist gefährlich. Sie mündet allzu rasch in die Rede von den drei „deutschen Teilstaaten“, wie in einem Beitrag dieses Bandes, oder in die Rede vom „dreigeteilten Deutschland“ der Gegenwart, wie in Karl Dietrich Erdmanns inzwischen berühmt gewordenem Kieler Vortrag von 1985 (FURCHE 12/1986).

Für Österreich bedeutet all das: Achtung, bitte Vorsicht!

Der Autor ist Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Wien.

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