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Gefahr des Kollektivismus gebannt: Der Sieger heißt Giscard d'Estaing

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Wer in den vergangenen Monaten in Paris lebte und sich mit den verschiedenen Aspekten der französischen Innenpolitik beschäftigte, muß jetzt an die Eigenart jener Atmosphäre denken, die sich in breiten Schichten der Bevölkerung bemerkbar gemacht hat. Denn seit Monaten lebten die Bürger dieses Staates in der Erwartung, daß im März die bisherige Majorität bei den Legislativ-Wahlen verlieren und die drei Linksparteien die Regierungsgeschäfte übernehmen würden. Die einen frohlockten, andere trauerten, aber jedermann war überzeugt, daß es dieses Mal Mitterrand und Marchais gelingen würde, die Fünfzig-Prozent-Marke zu überspringen und die bisherige Majorität tatsächlich in eine Minorität zu verwandeln, also die Macht im Staate zu übernehmen.

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Wer in den vergangenen Monaten in Paris lebte und sich mit den verschiedenen Aspekten der französischen Innenpolitik beschäftigte, muß jetzt an die Eigenart jener Atmosphäre denken, die sich in breiten Schichten der Bevölkerung bemerkbar gemacht hat. Denn seit Monaten lebten die Bürger dieses Staates in der Erwartung, daß im März die bisherige Majorität bei den Legislativ-Wahlen verlieren und die drei Linksparteien die Regierungsgeschäfte übernehmen würden. Die einen frohlockten, andere trauerten, aber jedermann war überzeugt, daß es dieses Mal Mitterrand und Marchais gelingen würde, die Fünfzig-Prozent-Marke zu überspringen und die bisherige Majorität tatsächlich in eine Minorität zu verwandeln, also die Macht im Staate zu übernehmen.

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In unzähligen Kommentaren, Büchern und Zeitungsartikeln wurde es als selbstverständlich hingenommen, daß Mitterrand eine neue Regierung der Volksfront bilden werde. Mit umso größerer Überraschung wurden bereits die Ergebnisse des ersten Wahlganges am Sonntag, dem 12. März, begrüßt. Die prophezeite Sturmflut der linken Parteien fand nicht statt und die bisherige Majorität vermochte sehr schnell Nutzen aus diesen Resultaten zu ziehen, um in der letzten Woche vor dem zweiten Wahlgang so die Massen zu mobilisieren, daß eine gesunde Mehrheit weiterhin im Palais Bourbon die Aktionen des Staatspräsidenten unterstützen wird.

Uber eines sind sich sämtliche Experten im klaren: Der eigentliche Sieger dieser seit einem Jahr andauernden politischen Auseinandersetzung

ist Staatspräsident Giscard d'Estaing, der in zwei aufrüttelnden Reden die Nation aufforderte, gut zu wählen, um nicht in die Fallen des „Gemeinsamen Programms“ zu stürzen. Noch nie zuvor stieg das Prestige des Staatspräsidenten so sehr, der mehr Mut gezeigt hatte als viele hohe Funktionäre, die bereits Kontakt mit der scheinbar siegreichen Linken aufgenommen hatten. Aber neben dem Staatspräsidenten müssen auch Ministerpräsident Raymond Barre und der Bürgermeister von Paris, Jaques Chirac, genannt werden.

Der Ministerpräsident taktierte auffallend diskret, aber es ist ihm gelungen, die drei Zentrumsparteien praktisch in letzter Minute vor dem Wahlgang zu einigen, die unter dem Titel UDF137 Mandate erhielten. Damit ging der Lieblingswunsch Giscard d'Est-

aings in Erfüllung, der seit Jahren darauf hinarbeitete, in seiner eigenen Majorität ein Gleichgewicht herzustelllen, das von den Wählern auch akzeptiert würde. Denn die gaullistische Sammelpartei Chiracs erhielt 145 Sitze und kann daher nicht mehr jenen Druck auf den Präsidenten ausüben, wie dies zuweilen in den letzten Jahren der Fall war. So steht also der Wahlauftrag fest: Ja zu sozialen Reformen im großen Stü, nein zu einer kommunistischmarxistischen Gesellschaftsordnung!

In den acht Volksbefragungen der V. Republik, legislativen oder Präsidentschaftswahlen, hat die Mehrheit der Nation ausdrücklich festgehalten, daß sie nicht gewillt ist, jedem Abenteuer zu folgen, selbst wenn vorübergehend die demagogischen Versprechungen der Linksparteien eingelöst würden. Die französische Nation ist weiser, besser informiert und überlegt, bevor sie ihren Stimmzettel in die Wahlurne legt. Mögen auch Sozialisten und Kommunisten die Wahlergebnisse verniedlichen und von den eigenen Erfolgen sprechen, kein Bürger nimmt das ab. Die Stimmenabgabe für den bestplacierten Kandidaten der Linksparteien in einem Wahlbezirk hat zwischen Sozialisten und Kommunisten keineswegs funktioniert.

Zu den Geschlagenen: Mitterrand ist es wieder einmal nicht gelungen, die letzte Hürde zu nehmen, um im Kreislauf der staatlichen Macht eine Position zu erringen. Er steht vor großen Schwierigkeiten mit seiner eigenen Partei und die jungen Löwen klagen

bereits, Mitterrand habe die falsche Strategie ausprobiert. Die kleine Partei der hnken Radikalsozialisten, die es auf nur wenige Mandate gebracht hat, erklärte durch den Mund ihres Präsidenten Fabre, daß sie sich vom gemeinsamen Programm - eine Art Bibel der Linksparteien - zurückziehe und künftig eigene Wege gehen wolle. Die kommunistische Partei bekommt jetzt ein Honorar für die schwere Krise, die von ihr innerhalb der linken Union ausgelöst wurde. Als Gründe für diese Aktion kann ruhig angegeben werden, daß Marchais und sein Team immer stärker irritiert wurden durch die Erfolge, die scheinbar die sozialistische Partei in der öffentlichen Meinung davontrug.

Aber so mancher Beobachter fragt sich jetzt, ob das Gerücht wahr sei und die Kommunistische Partei niemals ernstlich daran gedacht habe, sich einer Linksregierung zur Verfügung zu stellen. „Wir wollen die gegenwärtige Krise nicht verwalten“ lautet der Refrain der KPF, und so mag wirklich an dieser Behauptung einiges wahr sein. Wie immer man auch den Zickzackweg der KPF verfolgt: die Gefahr, die für die liberale Gesellschaftsordnung Frankreichs am Horizont aufgestiegen war, ist unübersehbar. Denn das vielgerühmte und vielzitierte „Gemeinsame Programm“ zeigte solche Spuren kollektivistischen Geistes, daß jeder aufrechte Europäer aufatmen kann, denn für längere Zeit ist in Paris die Gefahr gebannt, daß eine Regierimg installiert wird, bei der die Hälfte der Minister der Kommunistischen Partei angehört. Der Sieger Giscard d'Estaing, dessen Analysen und Politik von einer Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert wurden, wird nun sicherlich dazu übergehen, eine Sozialpolitik einzuleiten, die den Bedürfnissen der französischen Gesellschaft entspricht.

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