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Gefahr fiir Spaniens junge Demokratie

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Die Kugeln aus den Gewehrläufen der separatistischen Untergrundbewegung ETA und der anarchistisch gefärbten Terrorgruppe GRAPO, die Anfang dieses Monats den Madrider Militärgouverneur General Constantino Ortin Gil und den hohen Richter Miguel Cruz Cuenca niederstreckten, galten nicht nur diesen als „liberal“ eingestuften Persönlichkeiten Spaniens: Sie sollten vor allem auch die junge Demokratie treffen und das Eingreifen der Militärs provozieren. Linke Extremisten und rechte Radikale arbeiten einander in Spanien bei der Demolierung der Demokratie in die Hände.

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Die Kugeln aus den Gewehrläufen der separatistischen Untergrundbewegung ETA und der anarchistisch gefärbten Terrorgruppe GRAPO, die Anfang dieses Monats den Madrider Militärgouverneur General Constantino Ortin Gil und den hohen Richter Miguel Cruz Cuenca niederstreckten, galten nicht nur diesen als „liberal“ eingestuften Persönlichkeiten Spaniens: Sie sollten vor allem auch die junge Demokratie treffen und das Eingreifen der Militärs provozieren. Linke Extremisten und rechte Radikale arbeiten einander in Spanien bei der Demolierung der Demokratie in die Hände.

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Baskische und spanische Terroristen wollen es dabei offenbar linksgerichteten Bomhenlegern in lateinamerikanischen und westeuropäischen Staaten gleichmachen: Durch Gewaltakte soll der Staat zur Errichtung eines repressiven diktatorischen Systems gezwungen werden, wodurch sich die Masse der Bevölkerung nach Ansicht der Terroristen „revolutioniert“ und sich gegen die Diktatur erhebt. Mit anderen Worten: Zuerst muß es schlechter gehen, bevor es besser werden kann.

Diese Taktik des Untergrundkampfes war bei den radikalen Nationalisten der ETA in Ansätzen allerdings schon erkennbar, als der Terror in der Bundesrepublik Deutschland und in Italien noch nicht wütete: die Konfrontation mit der Staatsmacht Francos sollte eine Eskalation der Gewalt herbeiführen, die dann das ganze Baskenland zum Kampf gegen den zentralistischen Machtapparat in Madrid mobilisieren sollte. „Die Gewalt als ansteckende, zerstörerische Kraft“, trichterte Fre-derico Krutwig in der theoretischen Schrift „Vasconia“ den frühen

„Vor allem jene Kräfte des Staates sollen herausgefordert werden, die noch infran-kistischen Träumen schwel-

ETA-Aktivisten den Terror als politisches Kampfmittel ein.

Franco tat der ETA den Gefallen, antwortete auf die damals noch gewaltlosen Aktionen der Basken, die eigentlich propagandistischer Natur waren, mit „Terror von oben“. Durch die übertriebenen Repressionsmaßnahmen - Folterungen und mutwillige Erschießungen - erleichterte er es der zu jener Zeit noch eher harmlosen ETA, sich zu radikalisieren, den Weg des Terrors einzuschlagen, ohne daß sich die baskische Bevölkerung von den revolutionären Heißspornen in ihren Reihen losgesagt hätte.

Der heimtückische Kleinkrieg, den die ETA seit Ende der sechziger Jahre bis Mitte der siebziger Jahre gegen die spanische Polizei und die Guardia Civil führte, bestand in erster Linie aus Vergeltungsaktionen. Heute kann jeder Ordnungshüter Zielscheibe der Terroranschläge sein, Auswahlkriterium scheint die amtliche Funktion der Opfer zu sein.

So gesehen zielen die Terroraktionen der baskischen Untergrundkämpfer doch auf die eingangs erwähnte Provokation der Staatsgewalt/Vor allem jene Kräfte des Staates sollen herausgefordert werden, die noch in frankistischen Träumen schwelgen; etwa die Polizeitruppe, geradezu eine Hochburg nostalgischer Erinnerungen an die Herrschaft Francos.

Nicht nur aus diesem Grund richten sich die Angriffe der ETA vor allem auch gegen die spanische Polizei sowie die Guardia Civil auf dem Land

und die Policia Armada (bewaffnete Polizei) in den Städten: Sie ist nach Auffassung der Basken noch immer die Vertretung der Madrider Zentralregierung in ihrem Land. Und an Madrid hat das Baskenland im vergangenen Jahrhundert in zwei blutigen Kriegen seine Autonomierechte verloren.

Eine der Hauptforderungen der ETA und auch anderer baskischer Gruppierungen ist deshalb der Abzug der spanischen Polizeikräfte aus dem Baskenland und die Bildung einer lokalen baskischen Polizei. Die baskischen Parteipolitiker meinen, daß der Abzug der spanischen Ordnungskräfte eine Eindämmung des Terrors bedeuten würde: Denn gegen eine eigene baskische Polizeitruppe könnte die ETA nicht mit rücksichtslosem Terror vorgehen, sonst würde sie sich von ihren Landsleuten total isolieren.

Viel gefährlicher für die Demokratie ist die Provokation der Streitkräfte. Deshalb richten sich die Anschläge separatistischer und linksextremer Gruppen immer mehr gegen hohe Militärs. Den Ultrarechten kommt diese Provokation sehr gelegen, wahrscheinlich zündeln sie bei diesem gefährlichen Spiel mit dem Feuer auch kräftig mit. Denn allen diesen demokratiefeindlichen Kräften geht es um die Schaffung chaotischer Verhältnisse im Problemkreis Selbstbestimmung - Autonomie -Einheit!

Die hohen Militärs - überwiegend dem Erbe Francos verhaftet, der ihnen zahlreiche Hypotheken überlassen hat - nannten im April 1977, als die Kommunistische Partei legalisiert wurde, die Bedingungen für künftiges Wohlverhalten gegenüber der Demokratie: Einheit des Vaterlandes, also keine Abspaltung etwa des Baskenlandes, keine bundesstaatliche Struktur, Respektierung der Nationalflagge und Fortdauer der Monarchie.

Ein Großteil der spanischen Generäle, ihrer gibt es an die 1200, bekennt sich zur extremen Rechten oder sie sind zumindest überzeugte Franki-sten. Die von ihnen ebenfalls viel beschworene Einheit der Streitkräfte zeigt jedenfalls schon Risse. Denn während sich viele der Offiziere und Generäle politisch zurückhalten, schmieden andere Umsturzpläne, etwa das im November vergangenen Jahres aufgeflogene „Unternehmen Milchstraße“, dem. Premier Suärez zum Opfer fallen sollte.

Hauptvorwurf der hohen Militärs gegen die Regierung ist Autoritätsschwäche. Deshalb findet jeder bei ihnen offene Ohren, der nach Autorität ruft. Einer dieser Rufer ist Blas Pinar, Gründer und Präsident der „Fuerza Nueva“ („Neue Kraft“), der seit Jahren gegen jede Art von Liberalisierung einen Kreuzzug führt. Pinar und seine Kampfpresse sind es auch, die jeden neuen Mordanschlag dazu benützen, die Armee zum Putsch aufzustacheln.

Die francotreue Ultrarechte macht ihrem Unmut bei Trauerfeiern und gewalttätigen Demonstrationen immer mehr Luft. Jeder tote Polizist, Richter oder Soldat wird für die Sache Francos reklamiert, Offiziersgattinnen schlagen auf Minister ein, die bei Trauerfeierlichkeiten erscheinen, falangistische Jugendgruppen rufen bei Trauermessen: „Die Armee an die Macht!“

Diese hochexplosive Stimmung hat die Nervosität in der Staatsführung nur noch angeheizt. Daß selbst die höchsten Stellen Befürchtungen vor einem Militärputsch hegen, zeigte allein die dramatische Dreikö-nigstagsrede von König Juan Carlos vor Kommandeuren der Streitkräfte, als er in einem geradezu beschwörenden Ton die Offiziere zur Disziplin aufrief.

Um die Gefahr für die junge Demokratie abzuwenden, braucht die

„Um die Gefahr für die junge Demokratie abzuwenden, braucht die Regierung Erfolge in der Terrorbekämpfung“

Regierung Erfolge in der Terrorbekämpfung. Das gilt insbesondere auch für Premier Adolfo Suärez selber, will er seine Zentrumsunion (UCD) bei der Parlamentswahl am 1. März abermals zu einem Sieg führen. Suärez ist zusammen mit seinem Innenminister Martin Villa intensiv bemüht, die Polizeitruppe gegen den Terrorismus neu zu organisieren. Freilich genügt dazu nicht eine Spe-zialeinheit von rund 50 Mann, die zwar eine Anzahl von ETA-Kommandos aufreiben konnte, aber keinen durchschlagenden Erfolg aufweisen kann, wie die Terrorwelle der letzten Wochen zeigte.

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