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Gefecht mit dem Hirnlosen

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(pp)-ln Polen, dem Land, dem das Jalta-Abkommen die Gestalt gegeben hat, bildete sich nach 1945 eine neue, phantastische und überaus launische Wirklichkeit heraus. Damals wußte noch niemand, selbst die Kommunisten nicht, was diesem Ei entschlüpfen würde. Die traditionellen Handlungsregeln erweisen sich als trügerisch und wurden wenig brauchbar. Der Begriff „schaffende Intelligenz” nahm unbewußt eine verdächtige, zweideutige Bedeutung an. Der Osten, der nach dem Krieg nicht an den Erfahrungen des Westens teilnehmen konnte, war sich also nicht recht bewußt, bis zu welchem Grade er in seiner Zwiespältigkeit, in seinem Dialog mit dem Hirnlosen verlassen und vereinsamt war.

Die erste Probe des Beschreibens eines solchen Dialogs, des Beschreibens der sumpfigen Pfade der polnischen Literatur, gab uns der polnische Nobel-Preisträger Czeslaw Mi-losz, der, nachdem er aus dem Lande emigriert war, den Roman „Verführtes Denken” geschrieben hat, der eine Analyse neuer Erscheinungen enthält, die Beschreibung dieser erzwungenen Symbiose, der häufig bedeutende Menschen zum Opfer gefallen sindv die sich selbst zur Vergessenheit verurteilt haben.

Der Konflikt zwischen einem kleinlichen, verwirrten Intellektuellen und einem Grobian ist eine der Modell-Situationen von Slawomir Mrozek. Die Grotesken von Mrozek standen mit dem in den fünfziger Jahren allgemein modernen absurden Theater in vollem Einklang. In Polen wurden sie nicht im allgemeinen, abstrakten Sinne aufgenommen, sondern eher fast als eine Anklage und Verballhornung eines sehr konkreten Sachverhalts. Beim westlichen Zuschauer erweckte es eine gewisse Verwunderung, daß diese harmlosen, extravaganten Scherze fast zu einem politischen Manifest geworden sind, welches die Opposition ebenso erregte wie die Parteifunktionäre. Das ist ein Beweis für den krankhaften Zustand der damaligen polnischen Literatur. Man war in Polen berauscht vom absurden Theater und Existentialismus, von der neuen Welle des italienischen und französischen Films, denn endlich war die Grundbarriere der Informationen durchbrochen und man vergaß dabei ein wenig die schizophrene Wirklichkeit im Lande.

In den sechziger Jahren beginnt die Etappe der Zähmung des Tölpels, die unter der Bezeichnung „kleine Stabilisierung” bekannt wurde (werzu dieser Zeit wen zähmte steht zur Diskussion). Derpolnische Schriftsteller(ein späterer Emigrant), Leopold Tyr-mand, notierte diesen Sachverhalt in seinem giftspritzenden Buch: „Das...der nach mir kommt, wird bestimmt eine Parteilaus sein, ein Mensch ohne Rückgrat...

Gesellschafts- und Gefühlsleben”, in welchem der Balanceakt der polnischen Intelligenz dargestellt ist, das Kreieren der eigenen Person zu einer kämpfenden, nonkonformistischen Persönlichkeit bei gleichzeitiger stiller Teilnahme am Aufrechterhalten und Unterstützen des „verhaßten Systems”, nach dem Grundsatz, wenn ich die Sache nicht fördere, macht das für mich ein anderer und der, der nach mir kommt, wird bestimmt eine Barteilaus sein, ein Mensch ohne Rückgrat und von niedriger Moral.

Hier tritt der Mythos des sogenannten „Wallenrodismus” auf. „Konrad Wallenrod” ist ein Poem des großen polnischen Romantikers Adam Mic-kiewicz, dessen Held aus rein patriotischen Beweggründen dem Kreuzritterorden beitritt. Er wird später Meister dieses Ordens und das nur dazu, um in dieser Verkleidung des Feindes, den Orden zu vernichten, das Symbol der aggressiven Germanisierung des polnischen Bodens.

Die Idee des Zersetzens des Systems von innen her war sehr verbreitet. Viele Leute zogen ihre gar nicht so kleinen Profite daraus (etwa die Autoren der Bücher, die niemals gelesen worden sind und die in den Büchereien in überaus großen Mengen herumlagen). Dabei bildete der „Wallenrodismus” die Illusion der Erfüllung der erhabenen, geschichtsbedingten Aufgabe - des Hütens der glorreichsten Tradition der polnischen Kultur „unter dem roten Mantel der sowjetischen Okkupation”. Was aber soll man mit denen machen, die nicht kämpfen wollen, sondern nur schreiben?

Ein solcher Mensch war zum Beispiel der polnische Schriftsteller des Exils, Witold Gombrowicz - seiner Zeit unbeliebt im Lande, wie auch in den Kreisen der Polen im Westen. Gombrowicz hat die Okkupation in Polen nicht miterlebt, er hat auch die sowjetische nicht erfahren - „... mit welchem Recht beurteilt er uns also -er lebt von Honorarien und Stiftungen”. Die Polen im Westen machten ihm den Vorwurf, daß „er die polnischen Probleme verraten hat” und sich nur mit siqh selbst beschäftigte. Bezeichnend ist, daß beide Standpunkte den Egozentrismus, ja sogar den Egoismus von Gombrowicz betonen. Gombrowicz setzte sich auf seine Art mit der polnischen Literatur auseinander und mit dem „Polentum” als solchem, denn die gezielt kritisch betrachteten polnischen Komplexe und Phobien müssen nicht ein Akt des Masochismus sein, ganz im Gegenteil, sie können zum Baustein außergewöhnlicher neuer Werke werden, die weit über die Grenzen hinaus Anklang finden können. Das Beispiel von Gombrowicz ist ohnegleichen, nicht nur in der polnischen Literatur.

Das, was bisher geschrieben worden ist, könnte die Meinung aufkommen lassen, daß die wichtigsten Ereignisse und die wichtigsten polnischen Werke im Exil gezeugt worden sind. Das ist natürlich nicht der Fall. Es lebten in Polen hervorragende Künstler, die sich nicht in ein Gefecht mit den Hirnlosen eingelassen haben, sondern, die ihren Weg gegangen sind. Das sind zum Beispiel solche großartigen Dichter wie Stanislaw Grocho-wiak,' Miron Bialoszewski, Anna Kamienska oder Zbigniew Herbert.

Die Kulturpolitik in den siebziger Jahren wurde zur Operetten-Groteske. Es wurde ein noch stärker vermenschlichter Sozialismus angestrebt. Das führte fast zur offiziellen Toleranz des „zweiten Umlaufs”, also der illegalen Verlage. Diese Toleranz hatte natürlich ihre Grenze, denn weiterhin wurden Menschen geschlagen, in Gefängnisse geworfen, ja sogar durch Meuchelmord beiseite gebracht. Präzedenzfälle wurden jedoch zugelassen. In der allgemeinen Entfesselung und dem Chaos begann ein immer höherer Prozentsatz der Schaffenden, illegal zu wirken.

Die neue Poesie fing an, die Zeitungssprache zu verhöhnen, das Pathos wurde in eine Posse umgewandelt. Das waren die Jungen, die 68er-Generation, der die polnische Literatur unter anderem Stanislaw Baranc-zak zu verdanken hat. Für den polnischen „Samizdat” begann Tadeusz Konwicki zu schreiben, der in seinem Leben ebenfalls einen bitteren Kuß vom sozialistischen Realismus erfahren hat. Die Wirklichkeit sollte schon in Kürze die düstere Farce übertreffen, die er in seiner „Kleinen Apokalypse” umrissen hat, dem Roman, in welchem alles schon zu Grunde geht, wo es schon von abstrakten Menschenschlangen wimmelt, die nicht wissen, wonach sie anstehen, wo wegen einer Störung in der Gasleitung ganze Häuser in die Luft fliegen und der stolze, einst von den Russen im Zentrum von Warschau erbaute Kulturpalast in großen, zersprungenen Steinblöcken in die Tiefe stürzt.

Eine Ausnahme ist der auf beiden Seiten des Eisemen Vorhangs anerkannte, der weise und geistreiche Stanislaw Lern, der sich von Anfang seines Schaffens an mit der science fic-tion Literatur beschäftigt hat und dieser Form das Gewicht philosophischen Reflexes gab oder vielleicht gerade das Gegenteil - die Unbeschwertheit.

Ein kurzer Zeitabschnitt der relativen Freiheit des Wortes war zwischen dem Entstehen der „Solidarität” und der Erschütterung durch die Ausrufung des Kriegsrechtes in Polen. Danach verschärften sich die Konflikte in den Kreisen der Kulturschaffenden aufs Äußerste. Damals wäre die Regierung gern kompromißbereit gewesen, aber nur für den Preis ihrer Anerkennung und Glaubwürdigkeit. Dazu brauchte die Regierung Namen von allgemein geschätzten Persönlichkeiten. Gegenseitige Abneigung und amtliche Bedrängungen der unbequemen Künstler waren die Folge.

Nach der Zeit der Isolierung Polens durch die Verhängung des Kriegs-

Eigenartige Zeiten waren das: Kulturschaffende, selbst die Ungläubigen, versammelten sich in den Kirchen... rechtes wuchs das Verlangen nach Information und Freiheit. Die Regierung bemühte sich, dem Volk ihren eigenartig aufgefaßten Liberalismus zu zeigen: gewisse Themen wurden nicht berührt, dafür wurde die Sittenzensur in hohem Grade gelockert und die Jugend durfte sich wieder versammeln, diesmal auf Rock-Konzerten. Eigenartige Zeiten w'aren das: Kulturschaffende, selbst die Ungläubigen, versammelten sich in den Kirchen; ausgehungerte Leser ergötzten sich an de Sade oder Henry Miller, vor allem bot man aber den Menschen eine nicht genau zu beschreibende Mischung von Literatur und Filmen ohne Wert an, deren einziger Inhalt hüpfende Busen und dralle Hinterteile waren.

Es scheint, daß bisher im Polen der Zeit der Unabhängigkeit kein herausragendes Werk erschienen ist, oder vielleicht eines, das sich grundlegend von der jüngsten Vergangenheit unterscheidet. Die Wiedergewinnung der Unabhängigkeit Polens ist nicht der Moment des Berauschens von der künstlerischen Freiheit und des plötzlichen Erscheinens neuer, unbekannter Genies. Polen war jedoch dank der Hingabe vieler Menschen in einer weit besseren Situation in dieser Hinsicht, als seine Nachbarländer.

Junge Schriftsteller befinden sich in einer recht schwierigen Situation angesichts der Fülle der gegenwärtigen polnischen Klassik, zu deren Repräsentanten solche Berühmtheiten gehören, wie Czeslaw Milosz, An-drzej Szczypiorski, Gustaw Herling-Grudzinski. Auf einem ganz anderen Weg kehrte Jerzy Kosinski ins Land zurück. Er wählte die Methode von Joseph Conrad - also er war Schriftsteller der anglo-sächsischen Literatur. Der polnische Leser konnte Kosinski erst vor nicht langer Zeit kennenlernen, viele Jahre nach dem Erfolg des Romans „The Painted Bird”.

Eine wichtige Strömung bildet jetzt gewiß die Problematik der Abrechnung - von Erinnerungen an die sowjetischen Lager bis zu den zahlreichen Dokumenten, die das ganze Nachkriegsgeschehen betreffen. Man kann auch die Rückkehr zur scharfen realistischen Prosa beobachten - in ihrer ganzen Palette: vom Realismus der Schule von Leopold Tyrmand oder Marek Hlasko bis zum naiven Realismus voller Lyrik und warmer Ironie in der Tradition von Kazimierz Orlos. Ebenfalls besteht in Polen eine ganze Strömung, die man im Umriß post-modem bezeichnen könnte, und die oft zum Pasticcio der literarischen Formen greift.

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