6888213-1979_36_09.jpg
Digital In Arbeit

Gefecht vor Favianis

19451960198020002020

Der dritte historische Roman von Alexander Giese „Geduldet euch, Brüder”, erscheint in diesem Herbst. Nach dem Kaiser Marc Aurel, nach dem Dichter Omar Khajam befaßt sich der Autor nun mit der Gestalt des Heiligen Severin, und wieder entwickelt er die Beschreibung eines Schicksals zur vielsagenden Parabel unserer Gegenwart. So erwacht das denkwürdige Dokument „Vita Severini” zu neuem Leben. Seine Botschaft an den heutigen Leser in Österreich ist klar und deutlich. Der hier abgedruckte Teil des Romans (der im Pau\rZsolnay-Verlag erscheinen wird) führt nach Mau- tem. Der Ort hieß unter den Römern Favianis.

19451960198020002020

Der dritte historische Roman von Alexander Giese „Geduldet euch, Brüder”, erscheint in diesem Herbst. Nach dem Kaiser Marc Aurel, nach dem Dichter Omar Khajam befaßt sich der Autor nun mit der Gestalt des Heiligen Severin, und wieder entwickelt er die Beschreibung eines Schicksals zur vielsagenden Parabel unserer Gegenwart. So erwacht das denkwürdige Dokument „Vita Severini” zu neuem Leben. Seine Botschaft an den heutigen Leser in Österreich ist klar und deutlich. Der hier abgedruckte Teil des Romans (der im Pau\rZsolnay-Verlag erscheinen wird) führt nach Mau- tem. Der Ort hieß unter den Römern Favianis.

Werbung
Werbung
Werbung

Der gelungene Getreidehandel verschaffte mir das Vertrauen der Herren von Favianis, die durch mich ihren Wein hatten los werden können. Ich besuchte sie in ihren Stadthäusern und besprach noch im Februar eine Neuorganisation des Landbaus. In andern Provinzen oder im germanischen Norden gab es Bauern, die ihre eigenen Äcker bestellten und, solange diese Frucht trugen, an Ort und Stelle blieben. In Norikum gab es seit Beginn der Eroberung durch Rom keltische Bauern, die Alm- und Weidewirtschaft betrieben; römische Bauern, wie etwa im alten Latium, hatten hier zu keiner Zeit gelebt. Unser Problem war es also, den noch fruchtbaren Boden der alten, einstmals so vorbildlich kultivierten Staatsgüter zu bebauen, trotz Banditengefahr. #

Die Banditen griffen in größerer Zahl an, überschütteten Wächter und Hirten.mit ihren Pfeilen, hieben sie vom Pferderücken nieder und trieben alles Vieh, das sie fangen konn ten, davon. Gegen Ende März waren unsere Verluste so hoch, daß sich allgemein Verzagtheit breitmachte. Ich, der ich im Kriegshandwerk nicht erfahren war, wußte keinen Rat. Ma- mertinus bangte um seine Mannschaft, die auf weniger als vierzig Mann zusammengeschmolzen war.

Anfang Aprü überfielen räuberische Barbaren alles, was sie außerhalb der Stadtmauer an Mensch und Vieh antrafen, und schleppten es als Beute fort. Sollte unsere bisherige Arbeit, die Arbeit aller Bewohner von • Favianis, nicht sinn- und nutzlos sein, mußte ich sofort handeln. Mamerti- nus, den ich eifrig konsultierte, erwies sich endgültig als Friedenssoldat, als Gamisonshengst, als ein Mann ohne Mut. Ich räume ein, daß seine Fähigkeiten auf anderem Gebiet lagen; er war fromm, kannte alle Gebete, verhinderte, daß seine Soldaten heidnischen Bräuchen anhingen; er nahm ihnen Amulette weg, die etwa ein Mithraszeichen oder ein Rossebildnis aufwiesen, doch dies alles nützte uns nichts. Als ich ihm Vorhaltungen machte, warum er den Banditen nicht auflauere, warum er sie nicht ernsthaft bekämpfe, sagte er sehr nachdrücklich: „Ich habe zwar Soldaten, doch viel zu wenige. Da der Feind uns weit überlegen ist, wäre es gegen jede Regel der Taktik, sich mit ihm einzulassen. Falls es ihm einfallt, gegen die Mauern von Favianis anzurennen, wirst du sehen, wie wir ihn abwehren: im freien Feld müssen wir unterliegen.”

Mamertinus war ein schlanker, großgewachsener Mann, der den Kopf meist etwas schief hielt, gepflegt sprach, die Schultern stets ein wenig vorbeugte. Die Hände in die Hüfte gestützt, fuhr er fort: „Aber, Severin, selbst wenn alle taktischen Regeln gegen eine offene Feldschlacht sprechen, wenn du der Meinung bist, wir sollten es wagen, werde ich mich nicht dagegenstemmen. Nur wird der Erfolg zweifelhaft sein.”

Kein Mensch, erwiderte ich, forderte von ihm eine offene Feldschlacht Der Mann übertrieb, seine Männer konnten gerade so etwas wie ein Gefecht, ein Scharmützel zustande bringen, wenn - ja, wenn sie von einem fähigen Manne geführt wurden. Dann war auch die Zahl des Gegners weniger ausschlaggebend. Alles kam darauf an, richtig vorzugehen.

„Deine Gebete, Severin”, sagte Mamertinus, „könnten uns helfen, und deine Gabe der Voraussicht.”

Ich erschrak: der Tribun wollte sich auf Gebete verlassen, und Gott sollte ihm dort helfen, wo es seine Pflicht war, selbst Hand anzulegen! Zunächst verwendete ich einige Tage darauf, ihm seine „Taktik” auszureden. Der Tribun und gelernte Soldat war befangen in der Vorstellung, er müsse seine Legionssoldaten, so wie er sie exerzierte, übers Gelände laufen lassen. In diesem Fall wären seine vierzig Mann sicherlich eine Zielscheibe für berittene Barbaren gewesen. Denn um Germanen handelte es sich. Ich gab ihm zu bedenken, daß er gänzlich umdenken müsse: kleine kampffähige Gruppen, zu vier oder zu fünf Mann, sollten möglichst selbständig operieren, sich an den Feind heranmachen, ihn beobachten, seinen Spuren folgen, ihn in einem günstigen Augenblick angreifen. Mamertinus widersprach heftig. Das sei gegen jede Kriegskunst, so habe noch kein Soldat gekämpft. Da würde man selbst zum Banditen!

„Du hast es jetzt erfaßt, Mamertinus. Gerade das will ich. Und es wird nicht schwer sein, wenn wir deine germanischen Legionäre, die ohnedies seit Jahren ungern in Linie oder Marschkolonne exerzieren, dazu auf- fordem, so Krieg zu führen, wie sie es in ihrer Jugend getan haben. Anschleichen, aufstöbem, überfallen.”

Mamertinus war empört, aber er seih ein, daß dies vielleicht ein Weg sei, übermächtigen Banden entgegenzutreten; nicht die offene Feldschlacht war hier am Platz, sondern man mußte sie geheim und getarnt verfolgen und schlagen. Obwohl ich ihn überzeugt hatte, ließ es seine Ehre als Truppenführer nicht zu, daß er seine Legionäre in dieser Art der Kriegsführung unterwies oder den Befehl gab, sich ihrer zu bedienen. „Sag du ihnen, was sie tun sollen, sie hören auf dich”, meinte der fromme Soldat.

Und so begann ich, der ich nie das Kriegshandwerk erlernt hatte, in den Unterkünften der aus Gepiden, Rugiern und einigen wenigen Vandalen und Thüringern bestehenden Truppe meine Taktik zu erklären. Die Soldaten erfaßten sie, ohne langatmigen Unterricht oder Übung, sofort, waren diese Männer doch alle Jäger, gewohnt, sich anzuschleichen und daher auch in der Lage, in kleinen Gruppen, mit Einzelkämpfem, anzugreifen.

Vaganten, die in der Stadt Unterschlupf suchten, brachten uns eine Nachricht, daß die Banditen, die uns so großen Schaden zugefügt hatten, beim zweiten Meilenstein in östlicher Richtung von Favianis lagerten. Die Situation erschien günstig. Dort machte die Straße eine Krümmung, starkes Gebüsch, niedriger Baumbestand verdeckten die Sicht. Wenn sie dort am Bache, der Businca heißt, ihr Lager aufgeschlagen hatten, konnte uns ein Überfall unter Umständen gelingen. Wir mußten im Frühlicht angreifen und sowohl von der Straße aus als durch das Unterholz zum

Bach vorstoßen, sie in den Bach hineintreiben und am anderen Bachufer bereits auf sie warten. Wir rechneten aus, daß für diese Zangenbewegung fünf Gruppen zu bilden wären; drei wären auf der Straßenseite, eine am anderen Bachufer einzusetzen, die fünfte sollte den Wasserlauf entlang, notfalls im Bach selbst Vorgehen. Die Soldaten des Tribunen, denen ich diesen Plan in den Sandboden zeichnete (bei Fackellicht, wobei ich mir wie ein Feldherr vorkam), faßten schnell Mut. Sie wollten sofort losziehen. Da der Anmarsch nur eine Stunde dauern würde, hielt ich sie noch zurück. Es war vor Mittemächt, und womöglich schliefen noch nicht alle Banditen im Lager.

„Die wachen auf ohne Kopf, die schlachten wir ab”, meinte ein blonder Riese, dessen Nase gebrochen war. „Ja”, meinten andere, „diese verdammten Räuber werden den morgigen Tag nur tot erleben.” Und sie scherzten in der rohen Art von Soldaten.

„Ihr werdet keinen einzigen töten”, sagte ich, „keinen einzigen! Versteht ihr mich! So wahr ich Severin heiße, oder doch so wahr ihr mir vertraut! Ihr werdet so viele wie möglich gefangennehmen, sie unversehrt hierher zurück nach Favianis bringen.*

„Unnütze Esser”, sagte Mamertinus, der Fromme.

„Ihr werdet das tun, was ich sage, und ich will

„Ich hoffe, daß du für uns betest, Severin”, sagte Mamertinus. „Dein Gebet hat Kraft. Dein Geist die Gabe der Voraussicht. Wenn alles eintrifft, was du sagst, sind wir die Sieger!”

Ich war beunruhigt. Würden sie es begreifen? Wenn nun Mamertinus im Stiefeltritt der Legion einfach die Limesstraße hinabmarschierte? Dann war alles verdorben. Anderseits, auf seine Soldaten konnte ich mich verlassen. Ich hatte ihnen geraten, Seile, Stricke, jedwede Art von Fesseln mitzunehmen.

„Wenn ihr sie im Schlaf überrascht, laßt sie nicht hochkommen, werft euch auf sie, fesselt sie sofort. Geht jetzt. Wenn ihr heute noch wenig, vielleicht zu wenig Waffen besitzt, morgen früh habt ihr sie; das ganze Arsenal der Banditen steht euch dann zur Verfügung. Schließlich seid ihr erfahrene Soldaten, sie bloß Räuber und Plünderer. Wenn ihr das tut, was wir besprochen haben, dann braucht ihr kaum Waffen!”

Sie marschierten ab, nicht in Kolonnen, sondern in kleine Kampfgruppen gegliedert. Die letzte war zu meiner Überraschung mit starken Netzen ausgerüstet: so gingen sie auf ihren Fischfang.

Ich verbrachte eine unruhige Nacht in der Bischofsresidenz mit Nomentanus und Leonidas, der sich in prächtigen Schilderungen des Markomannenkrieges unter Mark Aurel erging, aus historischen Schriften vorlas und die Zeit rühmte, da Rom noch drei Legionen in den Kampf geschickt und einen Siegeszug von den Kamischen Alpen bis zum Ursprung der Elbe im Blitztempo vollführt hatte.

„Welch ein Unterschied zur Gegenwart”, seufzte Leonidas, „dreißig Legionäre, denen ein Tribun, unser frommer Mamertinus, nachreitet, schleichen sich an Banditen heran, in der Hoffnung, sie im Schlaf zu überraschen.”

Ich sagte ihm, wir könnten froh sein, wenn diese List gelänge, für uns wäre es ebenso wichtig, wie der Markomannenfeldzug für Mark Aurel und für Rom vor fast dreihundert Jahren wichtig gewesen war. Mamertinus, da hatte Leonidas recht, war tatsächlich als letzter, hoch zu Roß, mitgezogen. Wahrscheinlich tat er, was er von mir gefordert hatte, er betete für den Sieg seiner Truppe.

In den frühen Morgenstunden, noch vor Sonnenaufgang, marschierten unsere Soldaten im Gänsemarsch, lärmend, lachend, glücklich und sehr müde in die Stadt ein. Neben ihnen wankten, stolperten, schmutzig und böse - manche waren auch ganz abgestumpft und sahen blöde drein -, die Gefangenen in einer langen Schlange.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung