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Gegen „Allianz der Religiösen”

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Die Sendboten des koreanischen Messias mühen sich weidlich, den ramponierten Ruf ihres Herrn und Meisters des „wahren Vaters” San Myung Mun, vor allem in den Kreisen der christlichen Kirchen zu renovieren. Dabei wird immer wiederdas Argument angeführt: Die Christen müßten doch gegen den kommunistischen A theismus zusammenziehen und gemeinsam den bösen Feind bekämpfen und besiegen.

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Die Sendboten des koreanischen Messias mühen sich weidlich, den ramponierten Ruf ihres Herrn und Meisters des „wahren Vaters” San Myung Mun, vor allem in den Kreisen der christlichen Kirchen zu renovieren. Dabei wird immer wiederdas Argument angeführt: Die Christen müßten doch gegen den kommunistischen A theismus zusammenziehen und gemeinsam den bösen Feind bekämpfen und besiegen.

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Mehr wolle ja schließlich der vielverkannte Mann aus Korea gar nicht. Und man müsse doch anerkennen, er und die Seinen hätten in diesem Kampf schon schwere Frontarbeit geleistet, was ja doch Anerkennung aus allen, christlichen Lagern verdiene.

Ein ähnliches Phänomen ist außer-halbdeschristlichenSpielfeldes zu beobachten. Seit einigen Jahren verwendet die Scientology viel Geld und Kraft darauf, eine Anerkennung als Religion zu erlangen - wohl wissend, daß damit eine ganze Reihe Vergünstigungen verbunden sind. Nicht zuletzt die eines Vertrauensvorschußes für Religionsgemeinschaften und religiöse Gruppen. , Die Verfassungen aller westlichen Demokratien gewähren Religionsfreiheit. Meist noch über das französische Muster hinaus (volle Kultusfreiheit und Freiheit, die inneren Angelegenheiten zu ordnen bei strikter Trennung von Kirche und Staat) bringt der Religionsstatus erhebliche Steuervergünstigungen, Wehrdienstverschonung für den Priesternachwuchs und andere Wohltaten bis hin zu Zuschüssen aus öffentlichen Kassen.

Doch der positivistische Religionsbegriff, der sich von der Ringparabel des Lessingschen Nathan bis in die Verfassungsartikel zieht, liegt in seinen letzten Zügen.

Nicht erst die fast eintausend Toten von Jonestown/Guayna schreiben diesen Merksatz ins Tagebuch der 80er Jahre. Ein Blick in die Geschichte hätte uns lehren können, daß Religion „ganz anders” sein kann, als es die Weise des Aufklärungsschauspiels weismachen will.

Doch Menschenopfer und religiöse Orgien schienen in der Ferne alter Geschichtsbücher vergraben, als daß diese Wirklichkeit religiöser Verhaltensweisen für den aufgeklärten modernen Menschen in irgendeiner Form Lebensbezüge annehmen könnte.

Inzwischen sind wir klüger, wenn wir die Zeitung lesen. „Selbstverbrennung zweier Ananada Marga-Gläubiger in Berlin”; „Krank durch Meditation”; „Jugendliche zerstört durch Jugendreligionen” usw. In den USA hat man einen neuen Begriff für derartige religiöse Gruppierungen: destructive cults, zerstörerische Kulte.

Der Messias Mun zum Beispiel verlangt nicht wenig von seinen Anhängern: „Vater, ich kann mein Leben geben. Im Falle der Gefahr nimm zuerst, bitte, mein Leben. Wenn nur du und Mutter und Vaters Familie gerettet werden können, will ich gerne sterben ... Jetzt bin ich in der Lage, mein Leben für Vater zu opfern. Dies ist eine Verwandschaft von Leben zu Leben; eine Leben-zu-Leben-Verwandschaft zwischen Vater und mir. Das ist die Lebenslinie der VereinigungskircKe”.

Und bei Scientology heißt es im „Ehrenkodex” sowohl „Bedaure nie, was gestern war” als auch „Fürchte nie, jemandem in einer gerechten Sache weh zu tun”. Und gegenüber eventuellen Kritikern hat Religionsstifter Hubbard die lapidare Erklärung: „Wir fanden niemals Kritiker der Scientology, die keine kriminelle Vergangenheit hatten”.

Der alte positivistische Religionsbegriff mit seinem inhärenten Synkretismus („Alle Religionen sind gleich gut und wollen im Grunde nur dasselbe Gute, nur die Wege sind eben ein bißchen unterschiedlich”) ist endgültig tot. Auch wenn's in manchen Stuben und auf einigen Kanzeln noch nicht bemerkt wurde.

Die „gemeinsame Front der Religionen” gegen den Atheismus ist nichts als die Teilverschwörung einiger Religionen gegen andere. Daß es auch atheistische Religion gibt, sollte sich zumindest am Beispiel des Buddhismus herumgesprochen haben. Da stelle man sich etwa eine Allianz der Christen und Buddhisten gegen andere Atheisten vor!

Nun zeigt sich immer wieder ein fataler Hang gerade unter den intellektuellen Christen, wie auch unter den Kirchenfunktionären, jene „Allianz der Religiösen” zu bilden. Sie funktioniert dann auf dem minimalen möglichen Nenner: einem unbestimmten und ieder tieferen Betrachtung feindlichen „Wissen, daß es ein höheres Wesen (genannt Gott) gibt”. Zu ihm, so glaubt man, führen die Wege der Religionen. Diese werden - um die Fiktion zu halten - in „höhere” und „niedere, bzw. primitive” eingeteilt.

Wird die Einheit der Anhänger von „Hochreligionen” beschworen, muß man zum Einbezug des Buddhismus schließlich auf eine gemeinsame Ethik ausweichen. Das ist fatal, da die Menschenbilder der Religionen, auch derer der „Hoch”-Kategorie, einander teilweise ausschließen. Das Lebensziel des Buddhisten (Nirwana) ist etwas anderes als das des Moslem (Paradies). Der eine Weg führt in die Auflösung der Individualität, der andere in ihre höchste Erfüllung.

Es ist deutlich, daß derjiebenswür-dige aufklärerische Schmelz der Nathanischen RingparabeldieUrsuppe solcher Denkfühlerei ist.

Schließlich hat noch ein zweiter Geburtshelfer jenen Religionsbegriff gehätschelt und genährt, der dann zum Halbsynonym für Wohlfahrtsinstitution wurde: der de-facto-Atheismus einer selbstgenügsamen Wissenschaftsgläubigkeit.

In der Tat ist jedoch das 20. Jahrhundert gekennzeichnet von fanatischen Religions- und Weltanschauungskriegen: Hindus gegen Moslems, (bei der Teilung Indiens und Pakistans), die Kriegszüge der Nationalsozialisten und der marxistischen Staaten, Nordirland, der Libanon, die Ayatollah-Revolution im Iran, der Leichenkommunismus des Pol-Pot-Kampuchea usw. usw.

Vermutlich sind in diesen religiösen und ideologisch begründeten Kriegen und Revolutionen des 20. Jahrhunderts sowie durch den Ausrottungsterror der Ideologien in den eigenen Herrschaftsgebieten mehr Menschen ums Leben gekommen, als durch religiöse Kämpfe oder Inquisitionen in der gesamten Menschheitsgeschichte zuvor.

Wir werden es uns eingestehen müssen: unser Jahrhundert ist zutiefst irrational geprägt. Und der positivistische Religionsbegriff der abendländischen Aufklärung war ein leib-, seelen- und geistloses Gespenst.

Da wird dann auch noch ein Wort zu jener Religionswissenschaft zu sagen sein, die sich diesem Religionsbegriff verschrieben hatte. Ihm getreu, hat sie die Schriften der Religionen analysiert und die hohen Gedanken daraus erhoben. Sie hat das große geistige Gut der Religionen dargestellt und die Lebenswirklichkeit übersehen.

Es ist jedoch in der Tat völlig gleichgültig, welche großen Gedanken sich den Schriften eines Religionsstifters entnehmen lassen, wenn die Gläubigen beispielsweise in tatenloser Schicksalsgläubigkeit verharren und erstarren. Chomeini legt den Koran aus, nicht der Gelehrtenkommentar der Religionswissenschaftler.

Der Stadtrand von Kalkutta zeigt den Hinduismus in seiner Lebenswirk-

(Pfarrer Friedrich-W. Haack ist Beauftragter für S Lutherischen Kirche in Bayern) lichkeit, nicht ein weise redender waschmittelweiß-gekleideter Jet-Set-Yogi oder ein Lehrstuhlinhaber, und sei er auch weltberühmt für die Kenntnisse in hinduistischer Literatur.

Das gilt auch für den christlichen Glauben aller Konfessionen. Das Wort, daß an den Früchten der Baum zu erkennen sei - und nicht am Biologielehrbuch über Bäume dieser oder jener Spezies - gilt für die Religionswissenschaft ebenfalls.

Was tut die Religion am Menschen, was bewirkt sie bei ihm? Was macht sie aus ihm und wie handelt er ihrzufolge?

In diesem Lichte besehen, stehen sie alle nebeneinander oder gegeneinander: Christ, Muselmann und Atheist. Da ist' kein Platz für einen Weltrat religiöser Wahrheiten kontra andere Unwahrheiten.

Da ist kein Platz für ein augenwi-scherisches „Seid-umschlungen-Reli-gionen”-Volksfest. Da ist kein Raum für Anbiederungen ä la Mun-Bewegung oder Selbsterhöhungen ä la Scientology.

Um die Früchte geht's, nicht um die Theorien. Nathan hat klug geredet, und sicher auch schön. Doch viel kluge und schöne Dinge stehen im Museum, nicht benutzbar, nur liebenswürdig anzuschauen. Religion ist nicht wie ein schöner Ring, der vor Gott und den Menschen angenehm und wohlgefällig macht. Sie ist wie ein Messer, mit dem man Brote schneiden und den Hungernden speisen kann, mit dem sich aber auch bedrohen und töten läßt. Religion - hinter diesem ambivalenten Begriff kann sich Leben und Tod, Liebe und Haß, Leid, Freude, Selbstzerstörung und Wahn verbergen.

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