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Gegen den Strom

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Nicht nur Bücher haben ihre eigenen, oft verwunderlichen, Schicksale, auch Zeitschriften ändern mit dem Wandel des geistigen Umfelds ihre Bedeutung. Der Roman „Don Quijote", von seinem Verfasser als satirischer Abschied von der Ritterromantik gemeint, ist zum Kinderbuch geworden; die Zeitschrift „Ver Sa-crum", zur Erneuerung der Kunst gegründet, wirkt nach einem halben Jahrhundert wie der Spiegel einer schöngeistig schwärmerischen Ästhetik.

Zeitschriften unternehmen den Versuch, Zeit und Schrift zu verdichten. Sie haben ihren eigenen

Standort und ihre besondere Methodik. Laufen sie den wechselnden Moden nach, so verwelken sie bald; wollen sie selbst Mode schaffen, vergehen sie mit dieser; wenn sie ihrem ursprünglichen Standpunkt treu bleiben, müssen sie mutig genug sein, den Moden zu widerstehen.

„Das Fenster", vor siebzehn Jahren als Tiroler Kulturzeitschrift gegründet, zeigt Beständigkeit im Wandel. Das erschwert die Arbeit ihres Herausgebers Wolfgang Pfaundler, gibt aber der Zeitschrift wachsende Bedeutung und Gewicht.

Pfaundler ist Polyhistor: Ethnologe und Filmregisseur, Schriftsteller und Fotograf, Historiker und Redakteur. Das heißt, er schöpft sein Wissen aus unterschiedlichen Quellen, ist gewohnt, das Zusammenspiel verschiedenartiger Kräfte zu untersuchen, das organische Heranwachsen geistiger Phänomene in vielfacher Spiegelung zu betrachten.

Innsbruck ist für solches Tun der richtige Ort. Die Stadt liegt am uralten Weg, der das Mediterrane mit dem Deutschen verbindet. Das Archaische, in manchen Alpentälern erhalten, lebt hier in unmittelbarer Berührung mit dem modernen Kunstwillen. Auch die Straße, die zwischen dem alemannischen Kulturkreis des Bodenseegebietes und der gegen Südosten offenen Stadt Wien Verbindung schafft, führt durch Innsbruck.

Die Vielfalt der Wechselwirkungen war vor dem Erscheinen des „Fensters" weder den Tirolern selbst, noch uns, den Lesern, in diesem Maße bewußt.

Auch in diesem Punkt ist „Das Fenster" beispielgebend geworden. Es ermutigte analoge Unternehmungen außerhalb Tirols: ohne Pfaundlers Anregung wären Zeitschriften wie „Pannonia" im Burgenland, „Die Brücke" in Kärnten, wie der „Morgen" in

Niederösterreich nicht oder nicht in der gegenwärtigen Form erschienen.

Hat man es Pfaundler gedankt? Ich glaube, es geschieht hier zum ersten Mal.

Mit dem Wandel der Mode ist die Bedeutung des „Fensters" weiter gewachsen. Die Zeitschrift wirkt heute wie ein Dokument der Opposition gegen die Übel der Zeit.

Der Geschwätzigkeit, die unsere Gesellschaft in den letzten Jahren entwickelt hat, wird kein Einlaß gewährt. Saloppe Inkompetenz, die jederzeit bereit ist, mit der frischfröhlichen Naivität völliger Ahnungslosigkeit etwas nur so hinzukritzeln, findet keinen Raum. Sinnlose Ubereinstimmung zwischen Leuten, die von der Sache, in der sie übereinstimmen, nichts verstehen, findet keinen Ausdruck.

Ebenso fern hält sich die Zeitschrift vom Aberglauben, nur das Meßbare existiere, das Unermeßliche aber gehöre in das Gebiet reiner Spekulation. Der krampfhafte Versuch, die angebrachten Methoden der Naturwissenschaft auch bei Untersuchung geistiger Phänomene, also wesensfremd, anzuwenden, tritt nicht in Erscheinung. Im Gegenteil: die Zeitschrift bewahrt gegenüber der

Scheinwelt der Scheinobjektivität eine fröhliche Skepsis, scheut sich aber nicht, Wirklichkeit -auch die Realität des künstlerischen Schaffens — darzustellen.

Beispiele? In der neuen Doppelnummer sind die letzten Stellungnahmen Karl Rahners abgedruckt; Erinnerungen des ehemaligen Außenministers Karl Gruber an seine Begegnung mit Tito stehen neben großangelegten Essays über den Maler Karl Plattner und den Architekten Arno Heinz; Fritz Prior bietet eine Tiroler Standortbestimmung; Autoren wie Joseph Zoderer, Franz Turnier und Walter Klier veröffentlichen neue Texte; reich ist auch der historische und volkskundliche Teil.

Eine Zeitschrift, die darzustellen vermag, wie das Neue aus dem Früheren allmählich hervorgeht, wie Historie aus der Gegenwart gesehen neue Bedeutung gewinnt, eine Zeitschrift, die zudem graphisch anspruchsvoll gestaltet und schön ist: sie muß für modebeflissene Möchtegerngrößen, für Besserwisser, für Figuren der augenblicklichen Konjunktur eine Irritation sein.

Es ist zu wünschen, daß diese Irritation uns noch lange erhalten bleibt. Tirol braucht sie ebenso wie wir alle.

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