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Gegen die Alten?

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Man spricht nicht mehr viel von dem Autobusunglück bei Aggsbach, das acht Menschenleben gekostet hat. Doch es ist ein recht unbehagliches Gefühl zurückgeblieben. Vor allem bei vielen älteren Menschen dieses Landes. Denn die Voreiligkeit, mit der — unabhängig von allen Erhebungen über den Unfall und bevor irgend jemand genaueres wußte — das Alter des an dem Unfall beteiligten VW-Lenkers zum Sündenbock gemacht wurde, gab ihnen zu denken. Und nicht nur ihnen. Zu denken gaben — und geben — aber auch gewisse Untertöne, die bei diesem Anlaß hörbar wurden. Und die nicht nur den einen bestimmten Lenker betrafen.

Denn was nach diesem Unfall in dien Massenmedien stattfand, das war fast so etwas wie eine konzertierte p.-r.-Aktion gegen ältere Auto-lenker. Mit dem Lenker des in den Unfall verwickelten Volkswagens, einem 84 Jahre alten Mann, wurden — bevor und ohne daß irgend etwas über seine Schuld, Un- oder Mitschuld ausgesagt werden konnte (was auch jetzt noch nicht möglich ist) —, auch gleich alle anderen älteren Autofahrer öffentlich zu einer potentiellen Gefahr im Straßenverkehr gestempelt.

Hans Weigel kommentierte die Reaktion der Medien sehr zutreffend: „Betrunkenheit am Steuer ist ein Kavaliersdelikt, Altsein ein Verbrechen!“

Erinnern wir uns doch an die Eilfertigkeit, mit der afus dam tragischen Autobusunglück gleich die Notwendigkeit abgeleitet wurde, alle über 65 Jahre alten Autolenker besonderen Kontrollen zu unterwerfen. Ein Gerede, das freilich schnell verstummte, ails nähere Einzelheiten über den Unfall bekannt wurden — Dinge, die dem Zeitunigsle9er wohl noch geläufig sind, und über die man im Stadium einer gerichtlichen Untersuchung zu schweigen hat. Jedenfalls war der Anlaß denkbar ungeeignet, um eine Kampagne gegen die Alten am Steuer zu starten.

Aber genau dies ist geschehen, und man müßte schon ein unverbesserlicher Optimist sein, um nicht damit zu rechnen, daß derlei Töne bei anderer Gelegenheit wieder laut werden, und dann wohl gleich in konkreterer Form. Genau dem wollen wir mit den hier vorgebrachten Argumenten vorbeugen.

Da wäre gleich einmal die statistische Tatsache, daß ältere Autolenker keineswegs ein erhöhtes Verkehrsrisiko darstellen, hingegen junge Lenker (sowohl was ihr eigenes als auch was das Führerschein-alter betrifft) sehr wohl. Nur — das Autolenken kann man natürlich nicht deshalb überhaupt verbieten, weil die Inhaber neuer Führerscheine am Unfallgeschehen überproportional beteiligt sind.

Ältere Menschen sind eher ein kleineres Risiko — im Gegensatz zu jungen Menschen, die ihre Fähigkeiten am Steuer häufig überschätzen, sind sie sich ihrer nachlassenden Leistungsfähigkeit bewußt und fahren dementsprechend vorsichtiger. Daß der Verkehr immer rüder wird und daß es immer schwieriger wird, vorsichtig zu fahren, ist nicht ihnen anzulasten, sondern einer Exekutive, welche die Massenproduktion von Strafmandaten für Falschparker wohl für eine Sicherheitsmaßnahme hält und die Überwachung des rollenden Verkehrs in skandalöser Weise vernachlässigt.

Wer Unfälle verhindern will, hätte unter anderem hier anzusetzen. Aber auch bei einem Mitschuldigen am Aggsbacher Verkehrsunfall, den wir ohne Angst vor dem Lassenschen Artikel beim Namen nennen können, weil es sicher nicht angeklagt wird: Wir meinen die ungenügende Breite der Straße, auf 'der sich das Unglück ereignete. Jeder weiß, daß es längst zum Wunder geworden ist, daß auf Straßen, die für die Breite vieler Fahrzeuge und das Tempo, das sie fahren, viel zu schmal sind, nicht mehr geschieht. Gleichzeitig mit der Kampagne gegen die älteren Lenker forderten — zufällig — die Lobbies der Straßentransporteure wieder einmal höhere Tempolimits für Lastkraftwagen und Autobusse, weü die so sicher und ihre Lenker so erfahren seien, daß rein gar nichts passieren könne. Dies, obwohl Schwerfahrzeuge mit steigendem Tempo zwangsläufig auch auf schmalen Straßen einen größeren Abstand vom Straßenrand einhalten — was bedeute, daß sie fast oder sogar gänzlich to der Straßenimitte fahren. Wenn man aus dem Unglück von Aggsbach (und etlichen ähnlichen) Konsequenzen, ziehen wollte, dann müßten sie die Normen bezüglich der Straßenbreiten., der Fahrzeugbreiten auf bestimmten Straßen und der Höchstgeschwindigkeiten breiter Fahrzeuge (und die Überwachung!) betreffen.

Es sei deutlich gesagt: Nichts gegen ärztliche Kontrollen für Lenker, in deren gesundheitlichen Zustand Zweifel gesetzt werden können — in allen Altersgruppen. Aber generelle Eignungsprüfungen, vielleicht gar von 65 Jahren an, sind ungerechtfertigt. Ebenso ungerechtfertigt wären Eignungsprüfungen, die sich an der Kondition eines Präsenzdieners orientieren und die erhöhte Vorsicht älterer Lenker außer acht lassen. Sollte man uns, früher oder später, mit derartigen Ideen kommen, so soll schon jetzt gesagt sein, wofür sie zu halten sind: Für eine Maßnahme zur Herabsetzung der Verkehrsdichte durch Abschreckung einer Bevölkerungsgruppe, die' als Pressiure-igroup angeblich unbedeutend ist und obendrein gespalten wird, indem man „die gesündesten zwanzig Prozent“ (oder weniger) bestehen und noch ein paar Jahre fahren läßt.

Ein „Ausmisten“ unter dem Motto „Die Alten sollen Platz machen“ wäre unsozial und darf nicht stattfinden. Gezielte Maßnahmen, etwa Aufklärungsaktionen über das Verhalten des langsameren Fahrens im modernen, allzu rasanten Verkehr, gerichtet an ältere Autofahrer wären zu befürworten. Aber die Alten sind nicht dazu da, um auf ihre Kosten von anderen Problemen (Straßenbreiten, mangelhafte Verkehrsüberwachung) abzulenken oder auf ihrem Rücken eine restriktive Verkehrszulassungspolitik zu machen. Es wäre möglich, daß da oder dort an derartigen Konzepten gebastelt wird. Sie sollten dort bleiben, wo sie hingehören: In der tiefsten Schublade des zuständigen Ministers.

Es genügt, daß die Alten auf manchem anderen Gebiet als Staatsbürger zweiter Klasse behandelt werden. Zum Beispiel, wenn man ihre Pensionen kürzt, weil sie einen Nebenverdienst halben— Politiker werden hier bekanntlich mit anderen Maßstäben gemessen. Oder aber, wenn sie um einen Kuraufenthalt ansuchen.

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