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Gegen die spirituelle Langeweile

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Aus Anlaß der Vollendung des 70. Lebensjahres von Karl Rahner bringen wir einen kurzen Abschnitt aus einem seiner letzten Bücher: „Strukturwandel der Kirche als Aufgabe und Chance.“ Bahner schreibt darin unter der Überschrift „Kirche wirklicher Spiritualität“ unter anderem:

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Aus Anlaß der Vollendung des 70. Lebensjahres von Karl Rahner bringen wir einen kurzen Abschnitt aus einem seiner letzten Bücher: „Strukturwandel der Kirche als Aufgabe und Chance.“ Bahner schreibt darin unter der Überschrift „Kirche wirklicher Spiritualität“ unter anderem:

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Wir sind in der... Kirche diejenigen, unter denen es so etwas wie „Spiritualität“ wirklich geben sollte. Wenn dieser Satz gesagt wird, dann ist von vornherein keine „privatisti-sche Engführung“ des christlichen Denkens und Lebens in der Kirche gemeint. Schon darum nicht, weil diese „Spiritualität“ nicht nur die selbstlose Liebe zum nahen und fernen Nächsten einschließt, sondern diese Liebe heute selbstverständlich nicht nur im Bereich des Priesters, sondern auch als wirklicher Kampf um mehr Gerechtigkeit und mehr Freiheit in der Gesellschaft geübt werden muß und nur dann wirklich christliche Liebe und nicht introvertierte Pflege der eigenen schönen Seele ist. Dies aber vorausgesetzt im Verweis auf das, was später noch ausdrücklich zu sagen ist, muß gesagt werden, daß die Kirche eine „spirituelle“ Kirche sein muß, wenn sie ihrem eigenen Wesen treu bleiben soll. Das bedeutet aber nicht bloß die Ablehnung eines — letztlich atheistischen — „Horizontalismus“, sondern vor allem zunächst einmal, daß die Kirche heute ihre eigenen spirituellen Kräfte neu entdecken und aktualisieren muß. Wir sind doch, wenn wir ehrlich sind, in einem schrecklichen Maße eine spirituell unlebendige Kirche. Die lebendige Spiritualität, die es natürlich auch heute noch gibt, hat sich doch in einer seltsamen Weise aus der Öffentlichkeit der Kirche in (soziologisch gesehen) kleine Konventikel der „noch Frommen“ zurückgezogen und versteckt. In der Öffentlichkeit der Kirche herrschen in einem erschreckenden Maße auch heute noch (bei allem guten Willen, der nicht bestritten werden soll) Ritualismus, Legalismus, Administration und ein sich allmählich selber langweilig werdendes und resignierendes Weiterfahren auf den üblichen Geleisen einer spirituellen Mittelmäßigkeit. Ich möchte schon hier noch etwas deutlicher werden. Ich rechne auch mich zu den „Kirchenbeamten“. Ich meine mit diesem Wort nichts Abträgliches. Ich nenne nur in diesem Zusammenhang mich und viele andere so, um klarzumachen, daß wir Priester und Bischöle eben durch unseren Berul dauernd schon vorprogrammiert und abgenützt sind durch gesellschaftliche Voraussetzungen, die mit der Gewohnheit unseres Berufes, mit dem Lebensverdienst, den er gewährt, mit der Umgebung, in der wir leben, uns das Christentum leicht, fast zu leicht machen. Diesen Kirchenbeamten sage ich (und werfe damit natürlich auch einen dicken Stein in mein eigenes Glashaus): Stellt euch einmal mit ein wenig existentieller Phantasie vor, ihr wäret keine Kirchenbeamten, ihr würdet auf der Straße Spazierengehen mit einem Brotverdienst wie ein Straßenkehrer oder wie (wenn das besser gefällt) ein Wissenschaftler in einem Labor für Plasmaphysik, wo den ganzen Tag lang nie ein Wort von Gott fällt und doch stolze Erfolge erzielt werden. Stellt euch vor, euer Kopf sei müde vom Straßenkehren oder von der Molekularphysik und ihrer Mathematik. Stellt euch vor, diese eure Situation dauere schon so ungefähr ein Leben lang und geschähe nicht aus eurer missionarischen Herablassung heraus. Und jetzt versucht, diesen Menschen dieser Umgebung die Botschaft des Christentums zu sagen, die Botschaft Jesu vom ewigen Leben zu predigen. Horcht zu, wie ihr sie sagt, schmeckt selbst, wie sie klingt, denkt nach, wie ihr sie sagen müßt, damit sie nicht von vornherein nur^auf eine solche Ablehnung stößt, wie sie dem in solcher Umgebung begegnen muß, der da von tibetanischer Medizin erzählen wollte. Was würdet ihr in dieser Umgebung sagen? Wie das Wort „Gottes“ zunächst einmal schreiben? Wie von Jesus so sprechen, daß ein anderer einigermaßen ahnen kann, was er für eine Bedeutung tat eurem Leben hat, eine reale Bedeutung, eine Bedeutung, die in dem Leben auch etwas ausmacht, das diese anderen führen? Würden uns nicht viele Worte im Hais steckenbleiben, die wir, ohne uns selbst über uns zu wundern, ohne weiteres von der Kanzel predigen? Würdet ihr dann euch auch so leicht auf den Denzin-ger berufen? So viel und erbittert über Dinge reden, die ihr selber nicht zum innersten Kern eurer Botschaft rechnet? Und so wenig von den Dingen, die, wenn einer heute neu glauben soll, er zuerst einmal begriffen haben muß? Sagt nicht,sprecht eben zunächst einmal zu den schon Glaubenden! Diese sind, wenn sie nicht ebenso behaglich wie ihr in der untergehenden geistigen Situation einer Volkskirche leben, ebenso bedroht von jenem Nichtglaubenkönnen, dem ihr euch nicht radikal und mutig neu stellt. Sagt nicht, ihr seid eben nicht in jener Situation, in die ihr euch mit dieser existentiellen Phantasie, die heute jedem Prediger anstünde, versetzen sollt. Gewiß: Diese Situation, in der wir faktisch sind, noch sind, ist auch eine Gnade Gottes, die Konkretheit der Form der Glaubensgnade, die uns, aber nicht den vielen anderen, zuteil geworden ist. Aber es ist eine gefährliche Gnade, eine Gnade, die man mißbrauchen kann in Trägheit und Spießbürgertum binnenchristlicher Art. Und ein Prediger sollte um die Gnade der genannten existentiellen Phantasie beten, damit er wirklich predigen kann, wie es heute notwendig wäre: langsam, vorsichtig, behutsam, Schritt für Schritt selbst sich vortastend zu jener Wirklichkeit, für die er schon immer zu viele Worte parat bat, bescheiden, eher bekümmert, wie schwer es ist, den wirklichen Glauben und nicht nur seine historischen und gesellschaftlichen Objektivationen und Relikte zu bezeugen. Versucht nicht zu trösten, wo nichts zu trösten ist. „Löst“ nicht die Lebensprobleme, wenn doch unsere einzige letzte Lösung in der Unbegreiflichkeit Gottes, seines Wesens und seiner Freiheit besteht! Vergiß nicht beim Predigen, daß wir Menschen alle durch eine Enge hindurch müssen (Tod genannt), die tausendmal enger ist als das Loch, das ein Laserstrahl bohren kann, und wir nicht wissen, das heißt, uns vorstellen können, was da von uns wirklich durchgehen kann, daß wir hoffen gegen alle Hoffnung, getrost sind (Wie macht man das? Sagt es!) in aller Verzweiflung. Baut nicht darauf, daß es natürlich auch unter den „Heiden“ Blumenkinder gibt, die noch so naiv sind wie wir Christen, solange es uns gut geht und Vietnam und die Napalmbomben weit weg sind. Denkt daran, daß unsere Zuhörer zwar wie wir selbst gern so bürgerlich und konsumfreudig leben, so abgesichert (bis der Tod kommt, den man heute nur noch in aseptischen Krankenhäusern bei uns erleiden darf, wo jeder jeden im Stich läßt), aber dennoch mißtrauisch und ungläubig sind und bleiben, wenn wir von dieser Position aus predigen! Habt ihr aus der wahren, unverfälschten Situation heraus schon einmal in der Freude des Heiligen Geistes gesprochen (ich sage nicht, was ich mir selbst auf diese Frage antworte)? Gesteht: Seid ihr nicht froh, daß man meist aus dieser Situation heraus von uns gar keine Antwort erwartet? Uns erst am Grabe wieder reden läßt, wo es feierlich hergehen soll, nachdem der erste Schock von den anderen schon wieder überwunden ist und der Skandal der Tatsache auch bei den Heiden schon wieder verdrängt wird? Habt ihr schon einmal den Schrecken erfahren, daß euer Herz stillsteht, wenn ihr euch selbst zuhört und eure Worte, die frommen und theologisch gelehrten, euch selbst wie ein unerträgliches Blabla zu klingen scheinen? Seid ihr schon einmal ehrlich durch dieses Inferno hindurchgekommen?

Wo wird mit feurigen Zungen von Gott und seiner Liebe gesprochen? Wo wird von den „Geboten“ Gottes nicht als von einer mühselig zu respektierenden Pflicht, sondern von ihnen als der herrlichen Befreiung des Menschen von versklavender Lebensangst und von frustrierendem Egoismus geredet? Wo wird in der Kirche nicht nur gebetet, sondern das Gebet auch als pfingstliche Gabe des Geistes, als herrliche Gnade erfahren? Wo gibt es über alles rationale Andozieren der Existenz Gottes hinaus eine Mystagogie in die lebendige Erfahrung Gottes, die aus der Mitte der eigenen Existenz aufsteigt?

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