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Gegen „Feinde der Nation"
Die Ungarn tun sich schwer mit ihren Neonazis. Seit der Verhaftung einer Reihe militanter Neonazis im benachbarten Österreich macht ein landeseigener Ableger, der sich „Nationalsozialistische Ungarische Aktionsgruppe" nennt, von sich reden. Diese verfolgte, ähnlich wie die neue Nazileitfigur Österreichs, der „Führer" Gottfried Küsse), den Sturz der ungarischen Regierung.
Die Ungarn tun sich schwer mit ihren Neonazis. Seit der Verhaftung einer Reihe militanter Neonazis im benachbarten Österreich macht ein landeseigener Ableger, der sich „Nationalsozialistische Ungarische Aktionsgruppe" nennt, von sich reden. Diese verfolgte, ähnlich wie die neue Nazileitfigur Österreichs, der „Führer" Gottfried Küsse), den Sturz der ungarischen Regierung.
Doch anders als Kussel befinden sich alle Mitglieder der siebenköpfigen Extremistengruppe aus dem ungarischen Györ weiterhin auf freiem Fuß und das, obwohl die Behörden am 20. Jänner 1992 bei Hausdurchsuchungen Munition.Gaspistolen und rechtsradikales Propagandamaterial sicherstellten und ähnlich wie bei Küsseis Truppe, ein detaillierter Aktionsplan zum Sturz der ungarischen Regierung vorlag, der sich allerdings derzeit schwer in die Tat hätte umsetzen lassen können.
Anders als in Österreich und anderen westeuropäischen Ländern fehlen im neuen ungarischen Strafgesetzbuch adäquate Paragraphen, um nationalsozialistische Aktivitäten von Neonazis zu unterbinden. Noch immer wird an dem neuen Gesetzbuch, das seit dem Regimewechsel vor zwei Jahren laufend umgeschrieben wird, gebastelt. Fiel unter den Kommunisten schnell jede kritische Meinungsäußerung unter den Begriff „faschistoid", mußten Künstler beispielsweise wie im Falle derCoitus Punk Band wegen einem Song, in dem Stalin mit Hitler verglichen wurde, hinter Gitter, so geht man heute mehr als lasch mit Nazipropaganda um. So fand das Györer Bezirksgericht (Dienstag, 21. Jänner 1992) nicht genügend Beweise für die „Gefährlichkeit" dieser Neonazigruppe. Flugblätter und Schriften, in denen der Umsturz der Regierung gefordert wurde, auch kleine Mengen von Munition, reichten nicht aus zu einer Anklage. So der zuständige Richter.
Ihn schien nicht erstaunt zu haben, daß die Truppe unter ihrem Anführer Istvan Györkös in den „Pfeilkreuz-lern" (Nyiläs kereszt) ihre Urväter sieht und deren Erbe fortsetzen will. Diese Partei riß 1944 nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Ungarn die Macht an sich. Und innerhalb weniger Monate lieferte sie Hunderttausende Juden an die SS aus.
Gegen Regimekritiker aller Schattierungen wütete sie derart brutal, daß nicht wenige Menschen die Eroberung von Budapest durch die Truppen der Roten Armee als wahre Befreiung empfanden. Doch Istvan Györkös sieht es anders. In einer Presseaussendung ließ er am 23. Jänner 1992 verlauten: „Die Pfeilkreuzler verfochten die Idee des reinen Ungarntums." Er werde diese Ideen nun auf legalem Wege durchboxen und versuchen, seine Truppe legalisieren zu lassen. So einfach präsentiert sich der Nazichef, der landesweit etwa 300 „Aktivisten" seine Gesinnungsfreunde nennt.
Ob dieses Treiben höhere Gerichtsinstanzen doch endlich stoppen werden, werden die nächsten Tage zeigen.
Eine generelle Fremdenfeindlichkeit und Anfälligkeit für faschistische Parolen konstatieren Budapester Soziologen schon seit langem. Vor allem eine Abneigung gegen die Minderheit der halben Million Roma-Zigeuner im Lande ist in allen Schichten der ungarischen Gesellschaft verbreitet. Nach einer kürzlich erfolgten Untersuchung der oppositionellen Zeitschrift „Beszelö"' hassen 70 Prozent der Ungarn Roma und noch immer 20 Prozent halten die kleine jüdische Gemeinde im Lande für „Feinde derun-garischen Nation". Glaubt man dem Vorsitzenden der Roma-Partei „Phralipe", Bela Osz-tojkan, so sind Angriffe auf seine Volksgruppe überall im Lande auf der Tagesordnung. Maueraufschriften wie „Wir wollen eine zigeunerfreie Zone" finden sich überall in Budapest. In einer Metrostation der Hauptstadt kam es Anfang Jänner zu einem Zwischenfall, der für sich spricht: Bei einer Schlägerei zwischen farbigen Studenten und radikalen Skinheads wurde der unbeteiligte Schüler Peter Schönauer erstochen, der auf dem Perron auf den Zug wartete. Der Täter war ein Nigerianer.
Nun bauten ungarische Patrioten den Tatort zu einem „Märtyrer-Altar" aus. Brennende Kerzen, Blumen und ein Foto des Verstorbenen wären in einem solchen Fall verständlich. Doch in der Metrostation Kispest hißte man eine ungarische Fahne, und Aufschriften suggerieren, der Deutsch-Ungar sei im Kampf gegen ausländische Feinde den Heldentod gestorben.
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