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Gegen Raketen und Kernkraft

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Rund 150,000 Menschen - 30.000 mehr als erwartet - hatten sich in Hamburg versammelt. Wie zuvor schon die beiden letzten Deutschen Katholikentage, stand auch der Hamburger Evangelische Kirchentag im Zeichen der Jugend. Nach Schätzungen der Kirchentagsleitung waren an die 70 Prozent der Teilnehmer unter 24 Jahren. Thematisch wurde der Kirchentag, der unter dem Motto,, Fürchtet euch nicht!" stand, von Fragen des Friedens und der kritischen A useinandersetzung mit dem Rüstungswettlauf beherrscht.

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Rund 150,000 Menschen - 30.000 mehr als erwartet - hatten sich in Hamburg versammelt. Wie zuvor schon die beiden letzten Deutschen Katholikentage, stand auch der Hamburger Evangelische Kirchentag im Zeichen der Jugend. Nach Schätzungen der Kirchentagsleitung waren an die 70 Prozent der Teilnehmer unter 24 Jahren. Thematisch wurde der Kirchentag, der unter dem Motto,, Fürchtet euch nicht!" stand, von Fragen des Friedens und der kritischen A useinandersetzung mit dem Rüstungswettlauf beherrscht.

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Führende Persönlichkeiten des politischen Lebens, unter ihnen Bundeskanzler Helmut Schmidt, waren zum Hamburger Kirchentag gekommen, um sich als Christen und Politiker der Diskussion mit ihren evangelischen Mitchristen zu stellen.

Im Verlauf des Kirchentages bestätigte sich, daß die auch in der Bundesrepublik Deutschland immer mehr an Boden gewinnende „Friedensbewegung“ gerade von den Kirchen und den Christen des Landes starke Impulse erhält. Allerdings waren die Meinungen zu dieser Problematik auch unter den Kirchentagsteilnehmern geteilt. Kirchentags-Präsident Richard von Weizsäk- ker rief die Teilnehmer auf, bei allen Auseinandersetzungen den „Geist der Vernunft und der Versöhnung zu bewahren“.

Der vom 17. bis 21. Juni dauernde Kirchentag umfaßte 1500 Einzelveranstaltungen. Rund um den Kirchentag gab es eine Palette bunter Feste, kleiner Theaterspiele und Diskussionsgruppen auf den Straßen Hamburgs.

Kern des Geschehens waren jedoch die Gottesdienste, Bibelgespräche,. Vorträge, Diskussionen und Darstellungen zu den Grundfragen christlichen Glaubens und Handelns. Dabei wurde die doppelte Beziehung der Kirchentagslosung „Fürchtet euch nicht!“ deutlich: die Befreiung von der Angst, die für den einzelnen der christliche Glaube bringen kann und die Suche nach der Überwindung des Grauens, das durch Krieg Ijzw. durch politische, wirtschaftliche und soziale Gefahren entsteht.

Zentrale Themen des Kirchentags waren „Glauben finden“, „Gemeinschaft erfahren“, „Frieden schaffen“ und „Glaubwürdig leben“. Mit verschiedenen Aspekten dieser Thematik setzten sich Vorträge der Professoren Thielicke und Müller (Braunschweig) über Grund und Vernunft des Glaubens, des katholischen Theologen Lehmann (Freiburg) über „Gemeinschaft durch Versöhnung“, Bischof Jungs (Kassel) über „Den Frieden verkündigen“ und des Amerikaners Tobias Bro- cher über „Schritte zum Leben“ auseinander. Die Vorträge waren um die Beziehung zwischen dem allgemeinen christlichen Glaubensgut und der speziellen Situation der Gegenwart bemüht.

In einer Predigt zur Eröffnung des Kirchentages überbrachte der Greifs- walder Bischof Gienke in der Hauptkirche von St. Jakobi die Grüße der evangelischen Christen in der DDR. Er wies daraufhin, „daß mitten durch unser gemeinsames Europa eine harte und politische Grenzlinie verläuft, mit der wir täglich zu leben haben.“ „Die ständig wachsende Rüstungsspirale in West und Ost, die anscheinend keiner mehr aufzuhalten vermag, quält uns, weil soviel Kraft und soviel Geld und soviel Intelligenz vertan werden, die für die Armen und Hungernden in der Welt besser angewandt würden“, sagte der Bischof wörtlich.

In mehreren Resolutionen haben Tausende von Kirchentagsteilnehmern in Hamburg den Rat der evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) aufgefordert, bei der Bundesregierung auf die Rücknahme der Zusage zur Statio- • nierung von US-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik Deutschland zu drängen. Mit der vom NATO-Rat beschlossenen Stationierung von 572

neuen atomaren Mittelstreckenraketen in Westeuropa ab 1983 würde ein Atomkrieg wahrscheinlicher, weil er dann begrenzt werden könne. Ferner sollte sich die Bundesregierung für sofortige Abrüstungsverhandlungen ein- setzen.

Mehr als 80.000 Menschen hatten nach Angaben der Polizei am 20. Juni nachmittags in Hamburg an einer Friedensdemonstration teiljjenommen, zu der rund 180 kirchliche und nichtkirchliche Gruppen anläßlich des 19. Deut

schen Evangelischen Kirchentages in der Hansestadt aufgerufen hatten. Die Veranstalter sprachen von rund 100.000 Teilnehmern. Die Demonstration verlief friedlich und war die größte derartige Veranstaltung in der Bundesrepublik seit 1955. Die Leitung des Kirchentages hatte sich von der Demonstration, die unter dem Motto „Fürchtet Euch, der Atomtod bedroht uns alle“ stand, distanziert. Der mehrstündige Marsch durch die Hamburger Innenstadt endete mit einer Großkundgebung auf dem Karl-Legien-Platz, wo unter anderen die Theologen Dorothee Solle und Helmut Gollwitzer sprachen.

In zahlreichen Foren und Arbeitsgemeinschaften wurden am Hamburger Evangelischen Kirchentag Fragen der Schule und Erziehung, der Rolle der Frau in der Kirche, des Verhältnisses zwischen Juden und Christen, die Situation der Kirche in der Großstadt und der Lage der Ausländer behandelt. In mehreren Veranstaltungen wurde auf die Rolle der Familie und die Verant

wortung der Christen für ihre Umwelt hingewiesen.

Die Schlußveranstaltung des Evangelischen Kirchentages am 22. Juni im Hamburger Stadtpark, bei der der EKD-Vorsitzende Bischof Lohse vor 85.000 Menschen die Predigt hielt, war ein Höhepunkt des viertägigen Treffens.

Beobachtern zufolge war der Kirchentag trotz spektakulärer politischer Vorgänge, wieden Auftritten von Bundeskanzler Schmidt und Verteidigungsminister Apel sowie einer großen Demonstration für den Frieden, die neben dem Kirchentag stattfand, ein geistlich geprägtes Ereignis. Ein herausragendes Kennzeichen war die rege Beteiligung junger Menschen.

Ebenso bemerkenswert war das rege Interesse an den insgesamt 1565 Veranstaltungen. Auf rund 300 Ausstellungsund Begegnungsplätzen wurde ein Einblick in die Vielfalt christlicher Aktivität geboten.

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