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Gegensatzliche Welten

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Theater hat nicht nur die Aufgabe, das unmittelbar Sich-Dar-bietende wie in einem Brennspiegel zu erfassen, sondern auch das Nicht-Wahrgenommene, Verdrängte. Der rationale Mensch von heute will in seinem Dasein nur rationale Bezüge erkennen. Wie sehr aber der Mensch von Einwirkungen abhängig ist, die sich nicht voll erklären lassen, zeigt Heinrich von Kleist an einem Fall, in dem sich diese Einwirkung besonders verdichtet, im großen historischen Ritterschauspiel „Das Käthchen von Heilbronn“ oder „Die Feuerprobe“, das derzeit im Burgtheater aufgeführt wird.

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Theater hat nicht nur die Aufgabe, das unmittelbar Sich-Dar-bietende wie in einem Brennspiegel zu erfassen, sondern auch das Nicht-Wahrgenommene, Verdrängte. Der rationale Mensch von heute will in seinem Dasein nur rationale Bezüge erkennen. Wie sehr aber der Mensch von Einwirkungen abhängig ist, die sich nicht voll erklären lassen, zeigt Heinrich von Kleist an einem Fall, in dem sich diese Einwirkung besonders verdichtet, im großen historischen Ritterschauspiel „Das Käthchen von Heilbronn“ oder „Die Feuerprobe“, das derzeit im Burgtheater aufgeführt wird.

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Dieses Käthchen, das seinem „hohen Herrn“, dem Grafen Wetter vom Strahl, nachläuft, obwohl er es mit der Peitsche zu vertreiben sucht, mochte auch schon zur Zeit der Entstehung des Stücks unglaubhaft gewirkt haben. Und doch erreichte diese Gestalt eine besondere Beliebtheit beim deutschen Publikum, wohl dadurch, daß die unbeirrbare Liebe des noch fast kindhaften Mädchens alle Widerstände überwindet, vielleicht mehr noch durch die Poesie, die da, kulminierend in der Holunderstrauch-Szene, spürbar wird. Letztlich ist es aber wohl vor allem der Reiz des Unerklärbaren.

Kleist war mit Gotthilf. Heinrich Schubert bekannt, von dem einige Jahre nach Kleists Tod eine „Symbolik des Traums“ erschien. Durch ihn wohl ergaben sich wichtige Anregungen für dieses Stück. Graf vom Strahl fragt sich, ob es ein Wahn sei, der in Käthchens Busen sein Spiel treibe. Es ist eine Getriebenheit in ihr, die aus geheimnisvollen Tiefen kommt, in die wir bestenfalls hineinleuchten, die wir aber nie ausleuchten können. Eine zweite Welt steckt in Käthchen, wird wirksam in ihr, aber auch im Grafen, für die es eine der Grundvoraussetzungen unseres Lebens, die Zeit, nicht gibt: Es ist der Traum. Beide erträumen ihre Zukunft, und in Käthchen wird dies zu einer Gewalt, die sie unwiderstehlich beherrscht. Etwas von Käthchen, von somnambuler Abhängigkeit steckt in jedem von uns, nur wollen es die wenigsten wahrhaben.

Dieses Stück grenzt in den Ritterszenen, in der überzeichnet hexenhaften Kunigunde ans kaum noch Spielbare. Eine der schwierigsten Aufgaben für den Regisseur. Walter Felsenstein erreichte in dreimonatigen Proben eine selten vorzügliche Sprechdiktion. Das verführte dazu, jeden Satzteil gesondert, ja nachdrücklich hervorzuheben, der ohnedies sehr gefühlsbetonte Text wird dadurch wie auf Postamente gehoben, womit freilich das Inkommensurable sich nur noch verstärkt. Der Bühnenbildner Rudolf Heinrich ließ sich von Caspar David Friedrich, aber auch von Peter Steins Kleist-Inszenierung anregen, in den fragmentarischen Innenräumen erreichte er beachtliohe Wirkungen.

Die Verzauberung durch das Mannsbild glaubt man Maresa Hör-biger als Käthchen durchaus. Joachim Bissmeier ist ein besonders gut sprechender Graf vom Strahl. Annemarie Düringer gibt der Kunigunde das Grelle dieser Gestalt. Erdschwerbieder wirkt Erich Auer als Waffenschmied Theobald. Daß sich Attila Hö'rbiger in der Rolle des Kaisers — billiger Schluß — als Käthchens wirklicher Vater bekennt, was auch privat stimmt, macht dem Publikum Spaß.

Zwei junge Wiener Autoren, Helmut Korherr und Wilhelm Pellert, setzen die Dialektwelle, die derzeit die deutschsprachigen Bühnen beherrscht, mit dem Wiener Volksstück „Jesus von Ottakring“ fort, das im Sonderabonnement „Konfrontationen“ des Volkstheaters uraufgeführt wurde. In loser Folge von zwanzig Bildern wird, wie bei Martin Sperr, ein Außenseiter gejagt, nur daß sich dies nicht in Niederbayern, sondern in Ottakring begibt, wobei es sich j vor allem um eine gänzlich anders geartete Gestalt handelt: Einer, der sich wie Jesus verhält, erlebt auch heute Ablehnung und ein gleich furchtbares Schicksal. Solch ein szenisches Postulat ist nun freilich längst ein Gemeinplatz.

Vorzug: Dieser „Jesus“ tritt nicht auf, wir sehen nur die Reaktion in der Erbärmlichkeit der Menschen. Doch auch da erfahren wir viel zu wenig über jene Eigenschaften, durch die er seine Anhängerschaft gewann, so daß die Parallele zu Christi Person, durch Projektionen hergestellt, übersteigert wirkt. Aber im Gefüge des Vorgeführten erhalten wir in trefflichen Dialogen einen andeutenden Einblick in all das, was sich heute in der Wiener Vorstadtbevölkerung begibt, was sie bewegt, von den Rockers über den Fabriksdirektor, der als einfacher Arbeiter begann, über seinen Sohn bis zu den „Tschuschen“. Dabei fällt auf, daß der Gegensatz der Generationen von den jungen Autoren ohne jede Aufsässigkeit, mit beachtlicher Objektivität dargestellt wird.

Dieses etwas illustrativ wirkende, nicht tiefer greifende Stück gewinnt in der Aufführung zwischen den^ Szenen durch „harbe“ Songs, zu denen Pellert die geeignete Musik geschrieben hat. Das locker Gefügte wird dadurch noch mehr gelockert, und Regisseur Rudolf Kautek setzt dies adäquat ins Szenische um, wobei die Teilung der Drehbühne in Sektoren rasche Verwandlungen ermöglicht. Mit Möbeln und Versatzstücken deutet Bühnenbildner Georg Schmid die Schauplätze an. Epi Schlüsselberger entwarf die milieugerechten Kostüme.

Dem Sänger der Songs gibt Franz Morak die passende vagantenhafte Note. Davon abgesehen, daß man dem vorzüglichen Mittelständler-Darsteller Peter Hey als Fabrikant den ehemaligen Arbeiter nicht recht glaubt, sind alle Rollen deckend besetzt. Vor allem hebt sich Hilde So-chor durch genießerische Zungenschärfe aus den gegen den Mißliebigen Hetzenden heraus, in Abstand folgt ihr hierin Marianne Gerzner. Hermann Laforet zeichnet glaubhaft einen aufgebrachten Spießer, Rudolf Strobl die Bedrängnisse eines Bezirksvorstehers, Arnfried Hanke jugendliche Widersetzlichkeit.

Als Gegenstück zu dem dreiviertelplastisch wirkenden Relief von Max Reinhardt an der Fassade des Theaters in der Josef Stadt wurde aus Anlaß der 100. Wiederkehr des Geburtstages von Hugo von Hof mannsthal ein vorzügliches Relief dieses Dichters angebracht, das Rudolf Schmidt geschaffen hat. Bei der Enthüllung, die Helene Reinhardt-Thimig am vergangenen Sonntag vornahm, hielt Friedrich Torberg eine kurze würdigende Ansprache. In der darauffolgenden Matinee gab es im Theater unter der Regie von Rudolf Steinboeck eine Leseaufführung von Hofmannsthals Komödie „Der Rosenkavalier“. Vortrefflicher Einfall! Es bestätigte sich, wie schwebend leicht, wie witzig die Dialoge sind, ja, daß sie der Musik keineswegs bedürfen. Aglaja Schmid als Marschallin, Fritz Muliar als Lerchenau, Heinz Ehrenfreund als Octavian, Gertrud Jesserer als Sophie waren neben den anderen Mitwirkenden vorzügliche Interpreten. Große Heiterkeit im Publikum über die vielen ironisch-witzigen Passagen des Textes und langanhaltender Beifall wie nach einer richtigen Premiere. Eine Sprechtheateraufführung dieser Komödie wäre sehr zu wünschen.

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