7215718-1992_48_12.jpg
Digital In Arbeit

GEGLÜCKTE SCHONUNG VOR RABIATEN EINGRIFFEN

19451960198020002020

Wien besitzt Vorzüge, die andere Städte nicht zu bieten haben. Mit seiner landschaftlichen Umwelt, seinem innerstädtischen Stadtbild, seinem kulturellen Angebot und seiner Freizeitqualität, seiner noch immer hohen öffentlichen und sozialen Sicherheit hat die Stadt einiges anzubieten - wenn es gelingt, diese Qualitäten zu erhalten und auszubauen, aber auch neue zu entwickeln.

19451960198020002020

Wien besitzt Vorzüge, die andere Städte nicht zu bieten haben. Mit seiner landschaftlichen Umwelt, seinem innerstädtischen Stadtbild, seinem kulturellen Angebot und seiner Freizeitqualität, seiner noch immer hohen öffentlichen und sozialen Sicherheit hat die Stadt einiges anzubieten - wenn es gelingt, diese Qualitäten zu erhalten und auszubauen, aber auch neue zu entwickeln.

Werbung
Werbung
Werbung

Durch die vergleichsweise gemäßigte Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten blieb Wien von rabiaten Eingriffen in die Stadtstruktur weitgehend verschont. Abbruch und Neubau im großen Stil, wie andernorts praktiziert, haben in Wien nie einen besonderen Stellenwert gehabt. Die kleinteilige Struktur mit der engen Verflechtung von Wohnungen, kleinen Gewerbe- und Dienstleistungsbetrieben, mit kleinen Geschäften und Lokalen zur Unterhaltung blieb weitgehend erhalten.

Die Gründerzeit ist inzwischen weit genug in die Vergangenheit entrückt, um zur „guten alten Zeit" verklärt zu werden, und um als Vorbild für die neuen Stadtteile am Stadtrand dienen zu können. Denn hier, am jeweiligen Rand der Stadt, ist die Entwicklung ganz anders verlaufen. Hier hat es - und damit unterscheidet sich Wien in keiner Weise von anderen Großstädten - eine rasante und radikale Umgestaltung der Strukturen gegeben, ohne daß es zu einer neuen Charakteristik der Stadt gekommen wäre. Man kann guten Gewissens behaupten, daß die Hälfte der Stadt in den vier Jahrzehnten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstanden ist, die Siedlungsfläche sich demnach in diesem Zeitraum verdoppelt hat.

Die Stadtentwicklungspolitik müßte daher zwei unterschiedliche Strategien beinhalten. Einerseits der behutsame Umgang mit der bestehenden gründerzeitlichen Struktur, wo historische Identität noch ablesbar und charakteristisches Erscheinungsbild noch erkennbar ist, andererseits die auseinandergefallenen Strukturen am Stadtrand in ein System bringen, welches geeignet ist, den Anforderungen der Zukunft standzuhalten. Der Umbau bestehender Strukturen ist aber weit schwieriger als die Schaffung von neuen, hat man es doch mit einer Vielzahl von Betroffenen zu tun, die an Veränderung wenig Gefallen finden.

Nach wie vor versuchen die westeuropäischen Großstädte, durch Wachstum an Attraktivität gegenüber vermeintlichen Konkurrenten zu gewinnen, und glauben, damit Inter-nationalität, Innovation und Dynamik zu signalisieren. Wachstumspolitik verführt zur Forcierung von Großprojekten. Nur sie sind in der Lage, den Motor in Schwung zu bringen, alle Reserven zu mobilisieren, das nötige Geld aufzubringen, die personellen, administrativen und instrumenteilen

Mittel zu aktivieren. Aber in Wachstumsperioden verlieren Großprojekte ihren Sinn.

Als Impulsgeber für eine beschleunigte Stadtentwicklung und als Vehikel der Wirtschaftsförderung können sie ihre Wirkung in Phasen der Stagnation oder geringerer Dynamik ausspielen. In Wachstumsperioden jedoch, wo die private Dynamik im Sinne öffentlicher Entwicklungsziele in geordnete Bahnen gelenkt, oft sogar gedämpft werden muß, können Großprojekte kontraproduktiv sein, weil sie personelle, instrumentelle und finanzielle Mittel binden, die andernorts fehlen und damit private Dynamik - wenn auch in weit kleinerem Maßstab - an der Entfaltung hindern. Damit erhält aber auch Planung einen neuen Stellenwert.

Klaus Novy hat gemeint, daß die Eigendynamik des neuen Wachstums Politiker und Planer in neue Rollen zwingt. „Sie brauchen jetzt nicht mehr jedem Investor nachzulaufen, sondern sind wieder gefordert, ihre Planungshoheit wahrzunehmen, die Anwälte der Allgemeinheit, der Öffentlichkeit, der Gesamtstadt, ihrer Identität und Schönheit zu sein. Denn der ungezügelte Boom bedroht noch mehr als die Stagnation den Lebensquell europäischer Charakterstädte." Der Autor ist Leiter der Gruppe Stadt- und Bezirksentwicklung in der MA 18 - Stadtstrukturplanung und Lehrbeauftragter für Stadtentwicklungsplanung an der Universität Wien. Auszug aus „Perspektiven" 2/1992.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung