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Gehaltlosigkeit aus dem Evangelium

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Es ist ein Gemeinplatz, wenn heute oftmals festgestellt wird: Das Neue Testament enthalte keine konkreten Handlungsanweisungen für bestimmte Situationen unserer Zeit. Weniger selbstverständlich ist bereits das Bewußtsein: Jesus verkündet einen umfassenden Frieden, sodaß Friede, hebräisch „schalom“, zu einem Schlüsselbegriff der biblischen Botschaft wird.

In Jesus ist dieser Friede — das Ziel — angebrochen und da. Er nennt sich aber auch „Weg“, d.h. er redet nicht von neuen „Gesetzen“, sondern handelt in einer neuen Einstellung gegenüber Gewalt und Friedlosigkeit. Die Haltung, die Jesus ursprünglich vorlebt, ist die der Nächstenliebe und der Gewaltlosigkeit; Gewalt wird in den verschiedensten Formen von Jesus als Lüge gebrandmarkt — Johannes Paul II. rief dies in seiner Botschaft zum Friedenstag 1980 in Erinnerung.

Gegenwärtig wird gerne gewarnt, die Bergpredigt nicht im Sinne der Bewegung(en) für den Frieden zu mißbrauchen. Wie steht es mit der Lehre vom „gerechten Krieg“, die aufgrund ihrer inneren Logik bis in die Gegenwart zur Rechtfertigung von Kriegshandlungen und Unterdrückungen geführt hat? Sicher, kaum jemand wagt noch, sich darauf zu berufen. Aber ist damit auch die Theorie endgültig überwunden?

A propos Mißbrauch des Evangeliums Jesu: Johannes Paul II. beschreibt in seiner Antrittsenzyklika „Redemptor Hominis“ in Nr. 16 „die Situation des Menschen in unserer Epoche“, indem er die Kluft zwischen arm und reich mit dem Evangelium in folgende Beziehung setzt: „Dieser Vergleich… und der Gegensatz … erscheinen wie die gigantische Vergrößerung des biblischen Gleichnisses vom reichen Prasser und dem armen Lazarus.“ Wenige Absätze danach erinnert er, daß das „eschatologi- sche Bild“ vom Jüngsten Gericht „immer auf die Geschichte des Menschen .angewandt* werden, … stets der .Maßstab* für die menschlichen Handlungen sein (muß).“

Wenig bekannt ist, daß die Rechtfertigung der Gewalt im Laufe der Geschichte von christlichen Bewegungen, von Minderheiten zwar, aber keinesfalls von „Sektierern“, verworfen wurde: Sie fühlen sich unter Berufung auf Jesus und die Evangelien zum Gewaltverzicht als Weg zum

Frieden und Versöhnung verpflichtet — sie lebten den Kontrast zum Selbstverständlichen. Werden solche Kontrasterfahrungen heute im Sinne der Annahme, als (oft unangenehme) Bereicherung, „zugelassen“?

Wenn „Friede niemals endgültiger Besitz, sondern immer wieder neu zu erfüllende Aufgabe“ ist (Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“, Nr. 78), dann muß Friede ein Prozeß ständig abnehmender Gewalt und zunehmender Gerechtigkeit auf allen Ebenen menschlichen Handelns sein.

Traditionen eröffnen und verstellen Blickrichtungen. Ist nicht im Christentum, indem es oft genug selbst Gewalt angewandt hat, der unbefangene Blick auf Jesus verstellt? Verfestigt nicht eine bestimmte Tradition die Vorurteile gegenüber der gewaltlosen Ethik des Neuen Testaments? Wie soll jene Handlung genannt werden, die Gewaltlosigkeit als Kontrast zum oftmals Vorherrschenden recht schnell als illusionär, weltfremd und gefährlichutopisch hinzustellen versucht?

Entlarvt sich hier nicht die ungeheuerlichste Verstrickung in die Gewalt? Ist nicht die ärgste Utopie die des status quo, die eben keine wirkliche Veränderung, sondern nur mehr die Extrapolation dessen, was ist, erwartet?

Der Friede ist gefährdet, weil auch viele Christen die Mechanismen der Gewalt verkennen, aus Angst oder Resignation Not- Wendiges unterlassen und damit auf ihren Beitrag zur Überwindung der Gewalt von vorneherein verzichten.

Gewaltlosigkeit aus dem Evangelium meint zuallererst eine ermutigende Zusage: Das Leben Jesu ist eines in Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe. Es ist nicht mehr möglich, jene, die in der Bergpredigt die radikale Forderung Jesu nach Gewaltverzicht als Beitrag zu einem umfassenden Frieden erkennen und sich ihr stellen, als Utopisten, weltfremde Weltverbesserer usw. zu disqualifizieren. Weil es diese Zusage gibt, deswegen dürfen wir uns ihr auch als Herausforderung stellen, die Beweggründe unseres Handelns zu überprüfen: Warum wollen wir nicht gewaltfrei (er) leben?

Das ist meine Motivation, in der gewaltfreien Bewegung mitzuarbeiten.

Der Verfasser ist Univ.-Ass. und Lektor am Institut für Christliche Philosophie der Kath.-Theol. Fak. der Universität Wien und Vorsitzender des Int. Versöhnungsbundes österr. Zweig.

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