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Gehört Serbien: nicht zu Europa?

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Serben und Kroaten sind wieder verfeindet, die Slowenen haben Angst vor dem „Balkan". Jugoslawien ist einmal mehr das Pulverfaß Europas. Und Westeuropas Politiker schauen zu ...

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Serben und Kroaten sind wieder verfeindet, die Slowenen haben Angst vor dem „Balkan". Jugoslawien ist einmal mehr das Pulverfaß Europas. Und Westeuropas Politiker schauen zu ...

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Daß Jugoslawien in der Form, die Tito ihm nach 1945 gab, bereits nicht mehr existiert, darüber sind Serben, Kroaten, Slowenen, sogar Albaner einer Meinung. Worüber sie streiten, und vermutlich noch lange streiten werden, ist die Frage, wie das künftige Jugoslawien aussehen sollte, beziehungsweise ob es überhaupt in Zukunft ein „Jugoslawien" (=Land der Südslawen) geben kann.

Westeuropäische Politiker - vor

des Landes, womit in erster Linie eine Veränderung des status quo gemeint ist. Denn ihre Interessen sind auf die Vereinigung Deutschlands, auf die wirtschaftlichen Expansionsmöglichkeiten Richtung Osten und auf das Schicksal Gorbatschows fixiert. Für ein Jugoslawien- Problem bleibt offenkundig keine Zeit.

Wenn aber das heutige krisengeschüttelteJugoslawien weiterhin im Abseits Westeuropas bleibt, droht eine tatsächliche Gefährdung des Friedens und der Balance am Balkan und damit auch in Europa.

Erstens vollzog sich in den letzten Jahren in Jugoslawien eine immer dramatischer werdende Trennungslinie zwischen West und Ost. Sie hat, wie wir wissen, ihre r h????storischen Hintergrürrde:n.Oer i Osten wurde in'gleicher Weise\ron Byzanz und vom Islam geprägt wie_ der westliche Teil von Rom; vom abendländischen Denken. Als akuter Faktor kommt hinzu, nachdem · die Zwangsbeglückung durch die· KP-Parole ,,Brüderlichkeit 'und Eiiligkeit", gestützt auf den massiven Macht- und Polizeiapparat der alleinherrschenden Partei, wegfiel, daß die auf diese Weise unterdrückten Nationalismen von Jahr zu Jahr heftiger aufbrechen.

Die Folge ist nicht nur, daß sich Serben und Kroaten heute wieder in unverhüllter Feindschaft gegenüber stehen, daß sich die Slowenen aus Berührungsangst mit balkanischen Elementen in sich zurückziehen, sondern vor allem, daß sich die eine Seite dieser Trennungslinie von der anderen immer hermetischer abschließt. Daran sind eben nicht,

wie.idie Serben; behaupten und, westliche Diplomaten der Einfachheit halber gerne berichten, die „Secessionisten" im Westen schuld, sondern ganz unzweideutig die Serben selber. Da die westlichen Beobachter aber im wesentlichen im serbischen Belgrad leben, verfallen sie leicht in die Terminologie der Machthaber.

Die Verantwortm1g der Serben liegt nicht nur darin, daß ihre Füh-

rung mit fanatisierten nationalistischen Emotionen der Bevölkerung manipuliert (darin könnten ihnen

die *ra(en durchäustetil?. pti; sein), sondern darin, daß sie in konsequenter Verfolgung ihrer ei- Interessen seit Jahren jede Modernisierung auch auf Bundes- ebene bremsen. In Serbien selbst wird nach wie vo.r. .., als wäre in den umliegenden kommunistisc}l????n. Ländern nichts geschehen - der Personenkult, die Medienzensur, der Polizeiterror beibehalten, und gleichzeitig sperrt sich die serbi- sehe Führung gegen die marktwirt- schaftlichen Weichenstellungender Bundesregierung,die fürdas ganze Land von lebenswichtiger Bedeu- tung sind. Unter den g????gebenen Möglichkeiten kann die· sowieso systemimmanent schwache Bim- desregierung nur Kompromisse beschließen, was wiederum den begreiflichen Unwillen dereffizien- teren und deshalb ungeduldiger werdendenwestlichen Regionen auf

wieder verblüffen Äußerungen in der österreichischen Öffentlichkeit durch Unwissenheit, Mangel an Verständnis und Interesse für den südöstlichen Nachbarn. r (Graphik Globus Kartendiens,t Bei all dem gerät in Vergessen- • . . f "' • "'heitrKlaß cht nur jenes brutale, ' die a(en durchäustetil pti; erbien gibt, ndem sein), sondern darin, daß sie in auch eine durchaus europäisch konsequenter Verfolgung ihrer ei- gesinnte Schicht von Intellektuelgenen Interessen seit Jahren jede len, aus deren Kreis sich eine gut Modernisierung auch auf Bundes- ·geschulte und entschlossene Oppoebene bremsen. In Serbien selbst sition entwickelt hat. Serbiens In- · wird nach wie vo.r. .., als wäre in den tellektuelleund Künstlerwaren seit umliegenden kommunistisc}l????n. Generationen Wien und Paris verLändern nichts geschehen - der bunden - und sind es heute noch, Personenkult, die Medienzensur, oder wieder. Wenn diese Seite der der Polizeiterror beibehalten, und Sl;?rbischen Kultur vom Westen gleichzeitig sperrt sich die serbi- ignoriert und isoliert wird, dann ist sehe Führung gegen die marktwirt- ihre politische Erfolgschance empschaftlichen Weichenstellungender . findlich geschwächt. Bundesregierung,die fürdas ganze Durch seine Ignoranz der innerLand von lebenswichtiger Bedeu- jugoslawischenProblematik gegentung sind. Unter den g????gebenen über, trägt der Westen - wohl ohne Möglichkeiten kann die· s.owieso es eigentlich zu wollen oder übersystemimmanent schwache Bim- haupt zu bemerken - zur Verhärdesregierung nur Kompromisse tung der Fronten, zur Zement:ebeschließen, was wiederum den rung der Trennungslinie, vdn der begreiflichen Unwillen dereffizien- schon die Rede war, bei.

Die europäische Dimension der werdendenwestlichen Regionen auf Problematik wird spätestens dann unübersehbar sein, wenn ein ungebremstes Serbien seine Macht- und Gebietsansprüche realisieren sollte. Dann wird Bosnien-Herzegowina der Anlaß und Schauplatz für einen neuerlichen Bürgerkrieg, dann werden die Grenzen zwischen Kossovo und Albanien, zwischen Mazedonien und Griechenland/ Bulgarien zu jenem schon überwunden geglaubten Pulverfaß, und dann wird auch die große Zahl der Muselmanen in die Radikalität getrieben werden.

Die politische Mauer zwischen · Ost. und West wurde abgebaut - warum läßt man eine neue Trennung zu? Hat die, nicht zuletzt christlich motivierte Abwehr gegen den bolschewistischen Kommunismus im Osten das Wissen darüber verdrängt, daß Europa eine gemeinsame christliche Wurzel hat? Hat die Euphorie über den Untergang der kommunistischen Ideologie im Ostblock die Erfahrung vergessen lassen, daß zum Beispiel Verbrechen wie Rassismus und rationalisierter Massen- und Völkermord nicht im Osten, sondern im christlichen Abendland erdacht und vollbracht wurden?

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