7017091-1988_30_06.jpg

Gehorche dem Computer!

19451960198020002020

Sind Computer wie bei militärischen Frühwarnsystemen bereits selbständige Subjekte der Macht, oder kann der Mensch verhängnisvolle Entwicklungen noch ausgrenzen?

19451960198020002020

Sind Computer wie bei militärischen Frühwarnsystemen bereits selbständige Subjekte der Macht, oder kann der Mensch verhängnisvolle Entwicklungen noch ausgrenzen?

Werbung
Werbung
Werbung

Welche Rolle und welcher Stellenwert werden dem Computer (oder allgemeiner: der Datenverarbeitung) in unserer Gesellschaft zugewiesen? Hilft er uns, Probleme zu lösen, oder verschärft er nicht vielmehr bereits bestehende Probleme?

Bevor ich nun versuche, die Struktur des Computers und die Auswirkungen, die sein Einsatz in allen menschlichen Lebensbereichen hat, zu analysieren, muß ich selbstkritisch die Frage aufwerfen, ob ich mich im folgenden nicht weltfremd mit unrealistischen Spekulationen abgebe. Eine Kritik, die sich etwa folgendermaßen äußert:

„Ende des 20. Jahrhunderts hat sich nun einmal die Diskussion pro und contra Computer erledigt. Die digitale Maschine ist ein Faktum. Wir müssen damit leben, und das einzige, worüber wir uns Gedanken machen sollten, ist, wie wir am besten damit leben.“ (Oö Nachrichten vom 27. November 1987.) Eines ist gewiß: Gäbe es plötzlich keine Computer mehr, so würde wohl unsere Zivilisation zusammenbrechen, so sehr ist die Datenverarbeitung bereits (fast möchte ich sagen: wie ein Virus) in alle Lebensbereiche eingedrungen.

1976 hat Joseph Weizenbaum diese Situation noch sehr milde beschrieben: „Der Computer wird zum unentbehrlichen Bestandteil jeder Struktur, sobald er so total in die Struktur integriert ist, so eingesponnen in die verschiedensten Substrukturen, daß er nicht mehr herausgenommen werden kann, ohne unweigerlich die Gesamtstruktur zu schädigen.“

Daraus könnte nun irrtümlich die Schlußfolgerung abgeleitet werden, daß wir ohne Erfindung des Computers schon längst zugrunde gegangen wären oder doch große Einbußen an Lebensstandard hinnehmen müßten. Ich würde eher das Gegenteil vermuten, denn es spricht vieles dafür, daß unser Leben ohne Datenverarbeitungstechnik menschlicher (menschengerechter) gestaltet sein könnte.

Der Computer wurde — und wird - nämlich dort eingesetzt, wo eine Struktur so komplex geworden ist, daß sie uns (als einzelnen oder als Gruppe) überfordert. Durch Einsatz von Datenverarbeitung kann diese Struktur aber „gerettet“ oder sogar ausgebaut werden. Ohne Computer wäre es notwendig, diese Struktur zu verändern, umzugestalten.

„Dann hätte vielleicht der Anreiz, der durch die Unfähigkeit der Militärs geschaffen wurde, mit der wachsenden Komplexität der Luftkriegsführung in den fünfziger Jahren fertig zu werden, nicht mehr darin bestanden, nach Techniken zu suchen, mit denen das Militär seinen traditionellen Aufgaben gerecht werden könnte, sondern neue menschliche Organisationen mit neuen Aufgaben zu erfinden, und zwar in bezug auf die grundsätzliche Frage, wie nämlich Völker mit unterschiedlichen Interessen miteinander auskommen können.“ „Joseph Weizenbaum)

In allen anderen menschlichen Lebensbereichen könnten ähnliche Beispiele angeführt werden ... In der Datenverarbeitung gibt es den Begriff „Schnittstelle“. Er bezieht sich dort auf jene Bereiche von zwei Systemen, wo diese miteinander verbunden sind. An dieser Stelle müssen beide Systeme aneinander angepaßt werden.

Andererseits gilt für zwei Menschen, die miteinander kommunizieren wollen, daß sie eine gemeinsame Basis brauchen — das kann eine gemeinsame Sprache sein, ein gemeinsamer kultureller Hintergrund...

Bei der Verwendung eines Gerätes handelt es sich nun eigentlich um eine Mischform: auf der einen Seite ein Mensch, auf der anderen Seite ein System. Bezüglich der strukturellen Anpassung sind aber Computer völlig starr, ihre Struktur ist unveränderlich.

Daher muß sich der Mensch, der einen Computer verwendet, strukturell an ihn anpassen: Er muß ebenso in Regeln denken und befehlen beziehungsweise Befehlen gehorchen. Dann wird ihn der Computer in dieser Hinsicht unterstützen und diese seine Fähigkeiten verstärken.

Also: Je besser ich meinen Computer beherrschen will, desto mehr muß ich mich an ihn anpassen, desto mehr muß ich mich ihm unterwerfen. Weshalb hat dieser Anpassungsprozeß gerade beim Computer so starke Auswirkungen auf den Menschen? Anpassung an den Computer beinhaltet auch die geistigen Fähigkeiten - die allerdings auf kognitive reduziert werden. Unterdrückt wird dabei die emotionale Ebene.

So bewirkt der Computer eine starke Einbindung und Anpas^ sung der Menschen an ihn, durch die sie der Freiheit ihres Menschseins beraubt werden. Sie verhalten sich wie Maschinen — werden zur Maschine.

Der Mensch ist in quantitativer Hinsicht beschränkt, sowohl in seiner Wahrnehmung als in seinen aktiven Fähigkeiten. Mit Hilfe der Technik versucht er nun, diese Beschränktheit zu überwinden: schneller, weiter, stärker

Technische Mittel, die den Menschen in quantitativer Hinsicht (bedeutend) übertreffen, sind Subjekte in dem Sinn, daß der sie „verwendende“ Mensch ihnen Aufgaben überträgt, die seine Fähigkeit übersteigen, die Ausführung dieser Aufgaben geistig nachzuvollziehen, und seine Fähigkeiten, Konsequenzen abzuschätzen.

Für solche von technischen Systemen durchgeführte Handlungen gilt, daß der Mensch mit ihrer Auslösung (etwa der Inbetriebnahme von Datenverarbeitungssystemen) auch die Verantwortung dem technischen System übertragen hat: beispielsweise militärische Frühwarnsysteme, bei denen die Interpretation der empfangenen Daten und die damit verbundenen Entscheidungen

— eventuelle Vergeltungsschläge

— im Minuten- und Sekundenbereich liegen. Wer ein Frühwarnsystem in Betrieb nimmt, hat sich praktisch immer schon im vorhinein für den Rückschlag entschieden.

Computer sind also (von ihrer Struktur her) in jeglicher Form der Verwendung Subjekte der Macht, die die Menschen zu beherrschten und angepaßten Objekten reduziert.

Sicher ist diese Veränderung im Verhältnis von Mensch und Technik nicht erst durch den Computer entstanden. Aber die Datenverarbeitung hat die Entwicklung in dramatischer Weise verschärft.

Auszug aus „Umwelt-Erziehung“, Lehrer-Service la/1988

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung