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Geht Watergate weiter?

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Man sollte meinen, die Amerikaner hätten andere Sorgen, als sich auch noęh um die politische Leiche Richard Nixons zu balgen. Das stille Begräbnis, das ihr Präsident Ford durch seinen weitreichenden Bcgh’atligupgsakt gewähren wollte, hat jedoch die Leidenschaften nur neuerlich entfacht.

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Man sollte meinen, die Amerikaner hätten andere Sorgen, als sich auch noęh um die politische Leiche Richard Nixons zu balgen. Das stille Begräbnis, das ihr Präsident Ford durch seinen weitreichenden Bcgh’atligupgsakt gewähren wollte, hat jedoch die Leidenschaften nur neuerlich entfacht.

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Eine spätere Geschichtsschreibung wird zwischen der Watergateaffäre und der Französischen Revolution sicherlich gewisse Parallelen finden. In beiden Fällen ging es um die Entmachtung eines Absolutsten, französische wie amerikanische Jakobiner begnügen sich nicht mit dem symbolischen Sieg. Sie wollen das Pfund Fleisch vom Herzen des Besiegten, das ihnen gebührt. Niemand bestreitet, daß ihnen dieses Pfund Fleisch gebührt. Die Gleichheit vor dem Gesetz gilt selbstverständlich auch für einen Expräsidenten. Aber die Demokratie ist zugleich auch eine Summe empirischer Entscheidungen, die auf dem gesunden Menschenverstand beruhen und nicht eine starre Staatsform, in die man daa praktische Leben zwängt. In diesem Sinn muß die Nixon-Amnestie trotz des Entrüstungssturmes, den sie ausgelöst hat, als vernünftig und weitblickend ängesehen werden. Sie hat den Gazetten und anderen Medien zwar das Spektakel genommen, dafür aber einen Herd ausgelöscht, aus dem immer wieder neue Flammen züngelten. Viele, vielleicht momentan sogar eine Mehrheit, glaubt zwar, daß erst durch diesen Gnadenakt das Feuer wieder angefacht worden sei. Das trifft wohl auf den jetzigen Augenblick zu, dürfte aber keine Dauererscheinung werden, weil den Flammen der Sauerstoff, den ein Monate, wenn nicht Jahre dauerndes Gerichtsverfahren eingeblasen hätten, entzogen wurdie. Es war ja gerade dieses ständige Schwelen, genährt von unzähligen sich widersprechenden Äußerungen Nixons, das seine Unglaubwürdigkeit und schließlich seinen Fall herbeiführte.

Wie steht es nun mit den anderen Angeklagten, den sogenannten Komplizen, die sich der Justiz stellen müssen? Gebührt auch ihnen ein Pardon des Präsidenten? Wahrscheinlich. Aber auf jeden Fall muß klargestellt werden, daß nicht Nixon der Redelsführer oder Anstifter war, sondern daß er sträflicherweise versucht hat, die Handlungen seiner

Mitarbeiter zu vertuschen und vor der Justiz zu verbergen. Das ist zwar ein krimineller Akt, aber einer, der im politischen Affekt begangen wurde. An die 70 Prozent des amerikanischen Volkes haben den Politiker Nixon zum Präsidenten gewählt, die sogenannten Komplizen dagegen sind beamtete Bestandteile des Regierungsapparates.

Begnadigung ist übrigens in jedem Fall ein diskriminierender Akt gegenüber Nichtbegnadigten. Und trotzdem ist sie ein überaus wichtiges, konstitutionelles Korrektiv, das in jenen Fällen angewendet wird, in denen die Gesetze nicht genügend Flexibilität zeigen. Sie ist daher auch ein eminent demokratisches Instrument.

Schließlich ist der Akt der Begnadigung keineswegs an Popularität oder Konsensus gebunden. Sie ist eine oft einsame Entscheidung des Präsidenten, für die er am Wahltag, zusammen mit vielen anderen Regierungsentscheidungen, Rechnung legen muß.

Ob es ein „deal”, eine Abmachung zwischen Nixon und Ford, bei dessen Ernennung zum Vizepräsidenten gab? Zu diesem Zeitpunkt durfte Nixon noch hoffen, das Impeachment zu überleben und überdies wäre der Mann nach Nixons freier Wahl ConoTly und nicht Ford gewesen. Conolly wäre jedoch vom Kongreß kaum bestätigt worden, so daß die zweite Wahl auf den Parlamentarier Ford fiel, der im Kongreß keine Feinde besaß.

Was die Begnadigung Nixons so kompliziert macht, ist jedoch ihre gewollte oder ungewollte Verquickung mit der Amnestie für die Vietnamdeserteure. Die Vietnamintervention, das zweite heiße Eisen der amerikanischen Innenpolitik, wird vor allem von der Linken als ein unkonstitutioneller Akt angesehen und jene, die sich dieser militärischen Intervention entzogen, gelten daher in jenen Kreisen nicht als Deserteure, sondern als aufrechte Patrioten. Der weit überwiegende Teil der amerikanischen Jugend hat jedoch gekämpft und erhebliche Verluste erlitten und keine Seite fühlt sich daher im Unrecht. Der neue Amnestieerlaß für Deserteure sieht daher wohl einen Loyalitätseid und eine zweijährige Dienstleistung zugunsten der Allgemeinheit vor, die Regierung ließ aber durchblicken, daß sie diese Dienstpflicht weder erzwingen kann, noch will. Trotzdem geht es wieder ums Prinzip, und der beabsichtigte Akt der großen Versöhnung hat bloß Verbitterung und Mißverständnis ausgelöst.

Aber noch auf einer dritten Front stoßen Prinzip und Praxis aufeinander. Es hat seit jeher das Bestreben gegeben, die Operationen des amerikanischen Geheimdienstes politisch, also durch Kongreßausschüsse, zu überwachen. Diese Bestrebungen haben durch gezielte Indiskretionen einer Untersuchung der Rolle des CIA beim chilenischen Umsturz neuen Auftrieb erhalten. Es sollte hier vermerkt werden, daß diese Untersuchungen immer dann — selten genug — angestellt werden, wenn ein marxistisches oder links- orientiertes . System von einem nicht- marxistischen Regime gestürzt wird. Nie hat noch jemand nach Untersuchung gerufen, wenn ein demokratisch etabliertes bürgerlisches Regime dem marxistischen Ansturm zum Opfer fiel. Das ist dann eben ein vom „natürlichen Ablauf vorgezeichnetes Ereignis”.

Aber die Arbeiten der Geheimdienste der politischen Kontrolle des Kongresses zu unterstellen, käme einer einseitigen Entwaffnung gegenüber den potentiellen Gegnern der USA gleich. So ist leider heute der Stand der Dinge nach Watergate, daß jegliche Institution und Aktivität in Frage gestellt wird, die einen gewissen Spielraum und einen Vertrauensvorschuß erfordern, ohne den sie nicht existieren können.

Wer will es Ford daher übelnehmen, wenn er versucht hat, durch einen Gnadenakt, die Voraussetzungen für einen, Heilungsprozeß zu schaffen?

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