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Geist und Ungeist der Massenmedien

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2,2 Millionen Österreicher hatten zum 1. Oktober einen oder mehrere Radioapparate, knapp unter 2“ Millionen besitzen ein Fernsehgerät. Die Zahl der Fernsehzuschauer beträgt rund 5,6 Millionen, die Zahl der Radiohörer kann mit 6,3 Millionen angenommen werden. Etwa 3,3 Millionen Menschen zwischen 14 und 69 Jahren lesen Tageszeitungen.

In der Theorie werden „die publizistischen Medien als zwischenmenschliche Verständigungsmittel und Träger der gesellschaftlichen Kommunikation“ definiert. Sie sind damit „Faktoren im gesellschaftlichen Bewußtseinsbildungsprozeß und bei der Willensbildung. Insoweit erfüllen sie eine gesellschaftliche Funktion, eine öffentliche Aufgabe.“ In einer freien demokratischen Gesellschaft muß „das Kommunikationssystem so beschaffen sein, daß es die freie Meinungsbildung und die freie Meinungsäußerung sichert.“

Die öffentliche Aufgabe der Presse und des Rundfunks ist das Motiv für die verfassungsrechtliche Sicherung der Pressefreiheit, die im Rahmen des kommenden Mediengesetzes zur Medienfreiheit erweitert werden soll. Diese Medienfreiheit ist Ausfluß des individuellen Freiheitsrechtes auf freie Meinungsäußerung und der individuellen Freiheit des Sich-infor-mieren-könnens. Wenn von der öffentlichen Aufgabe der Medien gesprochen wird, so bedeutet dies, „gesellschaftlich wichtig“ und ist nicht im Sinne von „öffentlich-rechtlich“ zu verstehen. Damit ist aber auch klargestellt, daß die öffentliche Aufgabe der Presse keinen Vorwand für irgendeine Staatsaufsicht über die Medien abgeben darf.

Betrachtet man die Entwicklung dieser theoretischen Medienrechtsdiskussion, so besteht durchaus Grund zu gewissem Optimismus. Ein Blick auf die tatsächliche Situation läßt allerdings auch in diesem Lebensbereich die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis offenkundig werden. So hat etwa die Pressekonzentration in Ostösterreich ein Ausmaß erreicht, das selbst international ohne Beispiel ist. Wobei die Konzentration von einem Blatt der „Regenbogenpresse“ erreicht wird.

Im Vergleich dazu hat es die standortgebundene Presse — ob dieser Standort ein unabhängig liberaler oder ein weltanschaulich orientierter ist — bereits wesentlich schwerer. Standortbestimmte Aussage und die Vermittlung von Grundhaltungen sind weder eine Trägerrakete zum kommerziellen Erfolg, noch von vornherein eine Garantie für hohe Auflagenzahlen.

Vergleicht man damit den Standort und die Reichweite von Radio und Fernsehen in Österreich, so zeigt sich, daß eben der Preis für das vom Gesetzgeber de facto gewährte Monopol in einem umfassenden Infor-mations- und Programmauftrag besteht. Dieser bindet den österreichischen Rundfunk und die bei ihm beschäftigten Journalisten hinsichtlich der Nachrichtensendungen und der Eigenkommentare an den Grundsatz der Objektivität und hinsichtlich der Wiedergabe von Stellungnahmen an den Grundsatz der ausgewogenen Meinungsvielfalt.

Die Vorwürfe gegen den „Ungeist“ der Massenmedien sind in ihrer generalisierenden und zum Teil widersprüchlichen Art mindestens ebenso alt wie die Massenmedien selbst. Sie richten sich je nach Standort gegen die Medien insgesamt, gegen einzelne Publikationen oder auch gegen einzelne Mitarbeiter.

Dahinter verbirgt sich zum Teil jenes Unbehagen — von handfesteren politischen Überlegungen einmal abgesehen — das dadurch entsteht, daß Massenkommunikation immer noch eine Einbahnstraße ist. Der Rückfluß, die Rückkoppelung ist gering. Daran können auch Versuche, das Publikum etwa über Telefon mit Radio und Fernsehen, oder über die Leserbriefecke mit den Zeitungen zu verbinden, nichts ändern. Die zwei Phasen dieses Vorganges, wie es Peter Pawlowsky einmal beschrieben hat, sind von so „auffälliger Verschiedenheit und so verschiedener Auffälligkeit, daß nur der Vergleich mit dem Wetter bleibt: Man kennt zwar den Kreislauf des Wassers, aber was man davon spürt, ist nur der Regen, der herunterfällt. Die Regenmacher der Massenkommunikation aber sind die Publizisten.“

Der Informationsprozeß zeichnet sich auf der Seite der Medienmacher selbst bei der nun einmal theoretisch angenommenen Möglichkeit der völligen Freiheit, Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit durch eine Reihe von technisch vorgegebenen Zwängen aus. So ist es gar kein Zweifel, daß die dem Journalisten zur Verfügung stehenden Informationsquellen, etwa Agenturmeldungen, nur im allergeringstem Maße, und zwar dann, wenn sie sich auf Ereignisse im Inland beziehen, einer nachprüfenden Kontrolle und Gegen-recherche zugänglich sind. Dieser Schwierigkeit war sich schon seinerzeit das für den österreichischen Rundfunk erlassene Informationsstatut und sind sich auch nunmehr die seit 1. Jänner in Kraft getretenen Programmrichtlinien durchaus bewußt. Hier heißt es ausdrücklich, daß nur erfahrungsgemäß zuverlässige Agenturen ohne ausdrückliche Zitierung als Hauptinformationsquellen zulässig sind.

Was soll nun ein Journalist tun, der etwa eine Information relativ spät bekommt und zwischen dem Gebot der Aktualität und dem Gebot der sachgerechten, ausführlichen und objektiven Behandlung eines Themas zu wählen hat? Er wird in den meisten Fällen dem Aktualitätszwang unterliegen und — so er seine Aufgabe ernst nimmt — durch einen verbalen Vorbehalt in seiner Meldung diese besonders kennzeichnen, um dem Empfänger der Nachricht hier gewissermaßen ein „Achtung, Vorsicht“ mitzuliefern.

Auf der Seite der Empfänger wissen wir aus der Kommunikationsforschung, daß die vermittelten Aussagen nur selektiv aufgenommen und verarbeitet werden. Dem Selektionsverhältnis kommt daher die entscheidende Rolle im Kommunikationsprozeß zu. Man braucht nun nicht so pessimistisch zu sein, anzunehmen, wie dies von einem Teil der Lehre getan wird, daß ein Großteil der Medieninhalte und Programme, die pausenlos über die diverseu Kanäle geschleust werden, Informationsmüll werden; Abfall einer Uberdrußge-sellschaft auch des Wortes, der Nachrichten und der Mitteilungen.

Wohl aber beginnt die Selektion schon vor einer Informationsaufnahme. Schon bei der Auswahl des Mediums, des Programms, aber auch der Wahl der Tageszeit und ähnlichen Faktoren zeigt sich, daß auf Grund bestehender Erfahrungen oder Vermutungen bereits eine Vorauswahl stattfindet.

Man könnte nun der Auffassung sein, verschiedene signifikante Alarmzeichen in der Medienlandschaft seien nur vereinzelt und schon der skizzenhaft angedeutete Selbststeuerungs-Mechanismus sorge dafür, daß durch die Vielfalt an Infor-mations- und Kommunikationsquellen manipulative Elemente einander im Ergebnis immer wieder aufheben. Ich glaube Edlerdings, daß man sich die Beurteilung nicht so einfach machen darf.

Anders liegt die Situation bei der Vermittlung geschmacklicher und sittlicher Grundhaltungen, bei der ethischen Beeinflussung des Rezi-pienten. Gerade die nicht in ihren Grenzbereichen definierbaren vielfältigen Unterhaltungsformen sind ein beliebtes Transportmittel für Gesellschaftsreformer, Bewußtseinsver-änderer und falsche Propheten. Hier versagen die herkömmlichen, für den Bereich der politischen Information hochentwickelten Kontrollmechanismen. Seit dem Eindringen vor allem der elektronischen Medien in die, Kinder- und Familienstube steht einem scheinbar perfekten Informanten und Meinungsbildner auf der einen Seite ein reifes, auf der anderen Seite unreifes bis verunsichertes Publikum gegenüber, das keine Möglichkeit der Kommunikation und damit der Herstellung einer allgemeinen Ubereinstimmung mit anderen Partnern mehr hat.

Diesem Publikum wird aber auch nach der derzeitigen Rechtslage jede Legitimation abgesprochen, seine Auffassungen und Wertvorstellungen im Wege der Gegendarstellung im gleichen Medium und in einer gleichartigen Form zu deponieren. Es gibt eben kein Entgegnungsrecht in Fragen der Sitte, der Moral familiärer Grundbegriffe oder etwa auf dem Gebiet von Bildungs- und Wissenschaftssendungen. Der Hinweis auf die pluralistische Gesellschaft kann hier nur so lange Rechtfertigung bringen, als nicht Grundnormen, die zur allgemeinen Basis gesellschaftlichen und damit zwischenmenschlichen Lebens gehören, in Frage gestellt werden.

Ist es also wirklich so, daß den mächtigen Medien ohnmächtige Bürger gegenüberstehen, deren einzige Mitwirkung sich im Weghören, Wegsehen und Nichtlesen erschöpft? Oder gibt es die Möglichkeit der Artikulation von Bürgermeinung und damit der Einflußnahme auf die Me_ dienlandschaft? Diese Frage ist grundsätzlich zu bejahen, wenngleich auch hier Erfahrungen der jüngsten Zeit mit einer „Volksbefragung Fernsehen“ lehren, wie selbst die Mitwirkungsinstrumente des Bürgers nicht vor kommerziellem Mißbrauch durch Medien geschützt sind.

Die Frage nach der Qualität der Information ist letzten Endes immer wieder eine Frage nach dem Verhältnis zwischen Freiheit und Verantwortung des Journalisten, der als der Träger und Vermittler dieser Information fungiert. Sie mündet damit weiters in die Frage nach den ethischen Voraussetzungen jeglicher Berufsausübung. Ohne Wissen keine Informationsvermittlung, ohne Gewissen keine korrekte Berufsausübung. Alle Definitionen, sei es etwa der Redakteurstatus des österreichischen Rundfunks oder auch der Ehrenkodex für die österreichische Presse, münden letzten Endes in die Forderung, auch bei der journalistischen Arbeit ethische Grundregeln einzuhalten.

Der Verlust an allgemeinem Interesse, an der Fähigkeit, sich für die Aufgaben des Staates und der Gesellschaft zu engagieren, ist nicht selten auch eine Folge einer Abart des Gefälligkeitsjournalismus, die glaubt, nur mehr die Neugierde, aber nicht mehr das Informationsbedürfnis ihrer Leser befriedigen zu müssen. Hierin liegt auch die Verantwortung des einzelnen Journalisten bei der Erfüllung seines Auftrages.

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