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Geistige Dorferneuerung

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Wer für die Erneuerung des ländlichen Raums eintritt, muß sich davor hüten, die Dorf- idylle zu beschwören, sondern ganz klar die Gefahren sehen, die heute dort das Zusammenle- ben bedrohen:

• Die Möglichkeiten der Selbst- gestaltung sind gefährdet. Das hat mit der allgemeinen wirt- schaftlichen Entwicklung zu tun. Es wird aber auch durch die selbst erzeugte Überforderung bedingt, etwa Überforderung der Böden durch Monokultur und massiven Einsatz von Chemika- lien. Immer noch sind in der Landwirtschaft Methoden „in", die das Kapital der natürlichen Ressourcen extrem ausbeuten.

Gleiches gilt für die Überkapi- talisierung. Sie ist weitverbrei- tet und hat teilweise zu enormer Überschuldung geführt. Diese zwingt zu enormem Arbeits- einsatz. Viele sind total überfor- dert - insbesondere die Frauen in Nebenerwerbsbetrieben und dort, wo mit Fremdenverkehr dazuverdient wird. Wieviele handeln sich gesundheitliche Schäden ein!

Wie oft stecken hinter über- großem Einsatz unbedachte Investitionen oder Prestigeden- ken. Mit Materiellem das Image aufzupolieren, spielt gerade in überschaubaren Einheiten oft eine große Rolle. Man denke nur an denAutokult der jungen Män- ner am Land.

Hier könnte Erneuerung an- setzen: Es ginge darum, die eige- nen besonderen Möglichkeiten zu erkennen und zu bejahen, ein

neues, weniger stark materiell orientiertes Leitbild zu entwickeln. • Bedroht sind auch die menschli- chen Beziehungen, insbesondere die Ehen. Auch im ländlichen Raum steigen die Scheidungsziffern. Sprachlosigkeit, stummes Neben- einander vor dem Fernseher gehö-

ren zum Alltag. Verläßt man sich nicht gerade in Fragen der Familie allzu sehr auf die Tradition: Eine Ehe habe zu funktionieren, Kinder hätten eben zu folgen.. ? Härte kenn- zeichnet vielfach den Umgang mit- einander.

Auch hier Ansätze für Erneue- rung: Nicht heile Familie zur Schau stellen, sondern in die Beziehungen zu investieren, ist eine zentrale Herausforderung. Das trifft beson- ders auf die Männer zu, die ja zu au- ßerhäuslichem Engagement neigen. • Extrem heikel ist seit jeher das Zusammenleben mehrerer Gene- rationen. Wie schwer tun sich alt und jung oft miteinander, wenn es um die Hofübergabe, um das Zu- sammenleben von Schwieger- tochter und Schwiegermutter, um die Pflege der Alten geht? Wieviel Leid und Verbitterung staut sich oft in jahrelangem lieblosen Zusam- mengespanntsein auf!

Da wird offenkundig: Menschli- che Nähe ist zwar ganz entschei- dend für menschliches Glück. Sie

ist aber nur erträglich, wenn sie von gegenseitigem Wohlwollen getragen ist. Wo diese Liebe fehlt, ist die Un- geborgenheit in städtischer Anony- mität noch leichter zu ertragen als täglicher Kleinkrieg.

Daher ist die Arbeit an der eige- nen Geduld, Toleranz und Fähig-

keit zu verzeihen, um selbst liebes- fähig zu werden, wesentlicher An- satz der Erneuerung. Ohne diese Fähigkeiten ist enges Zusammen- leben, Merkmal des Lebens im länd- lichen Raum, nicht erträglich. • Bedroht sind auch die nachbar- schaftlichen Beziehungen, allein dadurch, daß man einander immer weniger braucht. Jeder hat seine Maschine, seine Versicherung, vie- le gehen anderswo arbeiten. Die Kontakte werden seltener: Man trifft sich nicht mehr zum gemein- samen Kirchgang, veranstaltet zwar Feste - aber als Fremden- verkehrsdienstleistung, macht kaum mehr Besuche. Man hat ja den Fernseher. Für die Jugend gibt es keine attraktiven Treffpunkte im Ort und so pilgert sie in „In-Lo- kale" und Discos.

Wichtiger Teil der Erneuerung ist das Knüpfen an einem Netz gut- nachbarschaftlicher Beziehungen im Alltag. „Ohne Musi, ka Geld", ist folgerichtig ein Slogan der NÖ- Dorferneuerung: Gefördert wird

dort, wo örtliche Gemeinschaft lebt. Wichtig ist auch die Inte- gration jener Mitbürger, die Zweitwohnsitze im Ort bezogen haben.

• Nicht zuletzt geht es auch um eine Erneuerung von Tradition und Glauben. Ist beides nicht vielfach zur Hülse geworden, zu einer Fassade, die immer rascher abbröckelt und längst nicht das Leben prägt? Oft wird Kon- servativismus im schlechten Sinn an den Tag gelegt, am Äu- ßerlichen festgehalten. Man geht am Sonntag zwar noch bis zum Ki/rchplatz, verbringt aber die Messe vor der Kirche, lüftet bestenfalls bei der Wandlung den Hut. Der nächste Schritt ist vorgezeichnet: Man bleibt zu Hause oder arbeitet. Und wer in die Stadt übersiedelt, gibt dort alsbald die religiöse Praxis auf, so wenig war sie prägend.

Papst Johannes Paul II. hat konservativ sein einmal folgen- dermaßen gekennzeichnet: Es gehe nicht darum, an dem fest- zuhalten, was einmal war, son- dern aus dem zu leben, was immer gilt.

Und damit ist auch der Kern jeglicher Erneuerung, auch der Dorferneuerung gekennzeich- net: Es geht um eine Glaubens- erneuerung, um eine Wiederbe- lebung der Wurzel unserer Kul- tur, um zu erkennen, was immer gilt. Dann wird die Erneuerung von Äußerlichem eine solide Basis bekommen: den lebendi- gen persönlichen Glauben an Jesus Christus.

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