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GeKebte Vielfalt, geliebter Geist!

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Muß man sich für das Aussprechen seiner ehrlichen Meinung entschuldigen? Nein, meint der Autor angesichts der jüngsten Konflikte in der Kirche Österreichs.

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Muß man sich für das Aussprechen seiner ehrlichen Meinung entschuldigen? Nein, meint der Autor angesichts der jüngsten Konflikte in der Kirche Österreichs.

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Wer so gute Freunde hat, die seine geistige Entwicklung förderten und denen er so sehr viel verdankt, weiß, wie vieles ihr Anderssein ihm gegeben hat. Es war ein entscheidendes Erlebnis für mich, als ich nach drei, in etwa verlorenen Jahren bei der deutschen Wehrmacht Vorlesungen an der Universität hören kormte. Vor allem war es Alois Dempf, dem ich inhaltlich einiges Unerhebliche, menschlich jedoch Ent-

scheidendes verdankte. Ich war im zweiten, ein Kollege im ersten Semester bei ihm Hörer. Nach einer Vorlesung unterhielt ich mich mit dem Kollegen, und wir trafen uns in einer kritischen Position zu einem Punkt der Vorlesung von Dempf.

Einige Tage später wollten wir bei ihm Kolloquiumzeugnisse über Vorlesungen über sechs Wochenstunden. Ich sagte damals als Wortführer zu Dempf: ,3err Professor, bevor Sie uns bitte prüfen, wollen wir Ihnen sagen, daß wir eine bestimmte Position von Ihnen nicht teilen können."

Dempf sagte bereits erregt: „Was?" Ich weiß heute nicht mehr, worum es ging. Wir erklärten, und er rannte auf und ab und debattierte temperamentvoll mit uns. Draußen warteten andere Prüflinge. Nach mehr als einer Stunde Debatte war er zwar noch nicht überzeugt, aber doch irritiert. Ich meinte dann, daß er uns ja eigentlich prüfen sollte, wir brauchen die Kolloquienzeugnisse. Er wischte den Einwand bagatellisierend mit einer Handbewe»-gung weg, Verlangte die Zeugnisformulare und gab jedem von uns drei „Sehr gut."

Aber dabei blieb es nicht. In der nächsten Vorlesung erklärte er: „Da waren letzthin zwei bei mir, und die haben eingewendet, daß… Ich hab’ mir das überlegt, die haben recht."

August M. Knoll begegnete ich als Consenior der Rudolfina. Ich leitete die Veranstaltung, imd Knoll hielt einen Vortrag. Danach gab es eine Diskussion, und ich griff eine Position von ihm frontal an, wobei ich etwa zehn Minuten sprach. Ich fürchtete eine negative Reaktion von ihm, Empörung etwa, oder Beleidigtsein. Statt dessen sah er mich niu" von unten her an (er saß, ich stand) und fragte: „Sag’, wie heißt denn du?"

Seit dieser Zeit waren wir beste Freunde.

Sowohl mit Emst Karl Winter, als auch mit Friedrich Heer vollzogen sich die Gespräche ähnlich. Und wir waren uns praktisch nie über alles einig. Manchmal überzeugten wir einander, manchmal modifizierten wir unsere Meinungen oder begegneten uns auf halbem, viertel oder dreiviertel Weg. Niemals haben wir auch nur daran gedacht, der andere könnte mit seiner divergierenden Meinung durch Freimaurer, Chinesen, Kommunisten, den NKWD (Vorgänger des KGB/sowjetischer Geheimdienst) oder den CIA (amerikanischer Geheimdienst) gelenkt sein, was immer das heißen mag.

Wir waren nie beleidigt wegen einer anderen Meinung, betrach-teteten sie als Denkstöße, und wie Dempf sich über eine kritische Position freute, so freuten wir uns. Auch wenn wir eine Position des anderen für falsch hielten, so unterstellten wir ihm keine bösartigen Motive, und wenn ein anderer eine andere Meinung vertrat, so fühlten wir tms weder „gesteinigt", gedemütigt, „beleidigt" oder mit Füßen getreten.

Dempf und meinen Freunden war die Biologie, die hinter einem Argument stand, völlig gleichgültig. Ob ein Argument von einem Mann oder einer Frau, von einem Neger oder Eskimo, von einem(r) 13jährigen oder 70jährigen stammte, war eben zutiefst belanglos, wovon ich zutiefst überzeugt bin.

Wenn man fast wehleidiges Ge-klage anläßlich der Debatten in der österreichischen Kirche an-• hörtriaekomfflt-Tmm--deir^Ein"-druck, daß hier offenkundig der

Geist nicht geliebt wird. Da nämlich der Heilige Geist „weht, wo er will", kann er ims an höchst vmge-wöhnlichen Orten begegnen. Zur Zeit hat man den Eindruck, er weht recht intensiv in Moskau, obwohl man überzeugt sein karm, daß auch dort alles geschehen wird, um ihn auszulöschen. Wir sollten dafür beten, daß dies nicht gelingt.

Wer den kritischen Einfall, die überraschende Idee, das neue Argument nicht liebt, liebt nicht den Geist.

Nach sehr kirchenkritischen Publikationen von Friedrich Heer, Knoll und mir schrieb Kardinal König zur Kritik an der Kirche in der FURCHE einen Artikel, in dem Jesu Wort zitiert wurde, bevor man zum Altar gehe, „versöhne Dich mit Deinem Bruder".

Ich weiß bis heute nicht, was das soll. Wenn ein Abt einen Griff in die Klosterkasse tut und er um Verzeihung bittet, muß man ihm verzeihen, er hat ja auch ein Unrecht getan. Wenn jemand jedoch eine andere Meinung hat als ich vmd sie kundtut, habe ich ihm ja nichts zu verzeihen, es sei denn, er unterstellte mir irgendwelche niedrige Motive. Tat er das nicht, tut er mir doch kein Unrecht.

Der springende Punkt, wann in einer Debatte, in einer Auseinandersetzung die „Lieblosigkeit" beginnt, ist die Denunziation des anderen als Teufelsknecht oder böswilliger Kirchenzerstörer et cetera. Ist es geschehen und sieht einer ein, daß er Unrecht tat, muß man ihm natürlich verzeihen. Dann warf er, symbolisch ausgedrückt, tatsächlich „einen Stein", äußert er jedoch nur eine andere Meinung, ist nichts, aber schon gar nichts zu verzeihen.

Oer Autor ist Psychologe tind Autor zahlreicher Bücher.

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