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Geld und Raum fiir eine Traumstadt
Das Österreichische Institut für Raumordnung listet Vorteile einer blau-gelben Metropole auf, die die Nachteile bei weitem überwiegen. Es gibt aber auch letztere.
Das Österreichische Institut für Raumordnung listet Vorteile einer blau-gelben Metropole auf, die die Nachteile bei weitem überwiegen. Es gibt aber auch letztere.
Seit 1922 träumt Niederösterreich von einer eigenen Landeshauptstadt. Eine Studie des österreichischen Raumordnungs-Institut (ÖIR) hat nun ergeben: der Traum ist nicht nur realisierbar - er brächte dem Land unter der Erms auch viele Vorteile.
Das Niederösterreichische Landhaus liegt in der Wiener Herrengasse. Dort hat auch die NO Landesregierung ihren Sitz. Auf ganz Wien verteilt arbeiten an die 136 Dienststellen der Nö Landesverwaltung. Die Interessenvertretungen und Kammern der Nö
Landesbürger haben in Wien ihren Sitz.
Kein Wunder, daß ein Niederösterreicher in der Regel Wien als seine Landeshauptstadt bezeichnet. Aber seit 1922 ist Wien ein eigenes Bundesland (durch „Trennungsgesetz” vom Parlament beschlossen). Und der Wiener Bürgermeister fühlt sich durchaus nicht als Oberhaupt einer blaugelben Metropole. Aber das ist vermutlich der geringste der vielen wirtschaftlichen, kulturellen, politischen und finanziellen Nachteile, die Niederösterreich als Land ohne Hauptstadt erwachsen.
Die Nachteile seien nicht beweisbar, argumentierten bisher die Hauptstadt-Gegner.
Nun haben aber die Wissenschafter des österreichischen Raumordnungs-Instituts eine Reihe gravierender Nachteile, bzw. mögliche Vorteile belegt. # „Niederösterreich fehlt ein expansionsfähiges größeres Dienstleistungszentrum ..., das in der Lage ist, Arbeitsplatzverluste in anderen Sektoren auszugleichen.”
So heißt es in der Studie, die Landeshauptmann Siegfried
Ludwig als eine Art „Kosten-Nutzen-Rechnung” beim ÖIR in Auftrag gegeben hat.
Im Klartext: Während in anderen Bundesländern die Krise bei Industrie und Gewerbe von Dienstleistungsberufen aufgefangen werden kann, fehlt in Niederösterreich diese „Ausweichmöglichkeit”. Nicht zuletzt, weil die meisten Dienstleistungsbetriebe (Verwaltung, Verkehr, Nachrichtenübermittlung, Geld-, Kredit-, Versicherungswesen usw.) nicht in einer eigenen Hauptstadt, sondern in Wien angesiedelt sind.
• Die „Büdungsrevolution” - so die Studie - hat seit 1971 den Anteil der Maturanten und Akademiker im Land unter der Ehns auf 8,6 Prozent der Wohnbevölkerung ansteigen lassen. Aber es fehlen entsprechende Arbeitsplätze im Land. „Somit geht dem Bundesland ein Teil der kulturell, gesellschaftlich und wirtschaftlich tragenden Bevölkerungsschicht verloren.”
Obwohl die ÖIR-Studie mit Prognosen sehr vorsichtig ist, arbeitet sie deutliche Vorteile durch eine eigene Hauptstadt für das Land heraus.
• Schon in der „Anlaufphase” könnte mit einem Bevölkerungszuwachs durch die eigene Metropole von rund 20.000 Niederösterreichern gerechnet werden. Die „Zielgröße” — sie könnte um das Jahr 2030 erreicht werden - wäre ein Bevölkerungszuwachs von insgesamt 50.000 Einwohnern.
# Finanzpolitisch würde das für Niederösterreich bedeuten, daß das Land bereits in der „Anlaufphase” (vom Jahr 2000 bis 2020) jährlich aus dem Finanzausgleich im Jahr zusätzlich 170 Millionen Schilling gewinnen könnte. In der „Zielphase” sogar 420 Mülionen mehr.
# DaszusätzlicheEinkommenan gemeindeeigenen Steuern wäre von anfangs 32 Millionen auf letztlich 111 Millionen Schilling steigerbar. Überdies könnte in der Endphase mit rund 100 Millionen Schilling zusätzlich aus der Wohnbauförderung gerechnet werden.
Die Kosten, die vom Land in der „Startphase” auszulegen sind, halten sich nach der ÖIR-Studie in Grenzen.
# Der Bau eines neuen Landhauses würde einen Aufwand von rund vier Milliarden Schilling, der Bau der Wohnungen für die in den Zentralstellen Beschäftigten etwa sechs Milliarden betragen.
Allerdings - und das ist ein gewichtiges Argument der Landeshauptstadt-Gegner - nicht gerechnet und näher untersucht wurden da die Kosten für die notwendige verkehrstechnische Erschließung einer neuen Landeshauptstadt. Und als einer der gewichtigsten Nachteile einer blaugelben Metropole — wo immer sie liegen mag — wird auch von der ÖIR-Studie angeführt, daß alle Eisenbahnlinien in Wien in Kopfbahnhöfen enden.
Fünf Städte im Rennen
Von den ursprünglich neun Städten, die sich um die Würde beworben haben, hat die ÖIR-' Studie vier - Klosterneuburg, La-xenburg, Mödling und Herzogenburg—ausgeschieden. Sie bringen zu wenig Entwicklungsmöglichkeit, liegen zu nah am Ballungsraum um Wien, sind zu klein.
Noch im Rennen sind: Baden, Krems, St. Pölten, Tulln und Wiener Neustadt. Aus ihnen sollen bis Jahresende die geeignetsten herausgesiebt werden.
Für die „Endrunde”. Aber diese letzte Entscheidung sollen dann -voraussichtlich im Frühjahr 1986 - die blau-gelben Landesbürger im Rahmen einer Volksabstimmung treffen.
So sieht es Landeshauptmann Siegfried Ludwig vor, für den mit dem ersten positiven Ergebnis der Raumordnungs-Studie eigentlich schon die Würfel für eine Landeshauptstadt gefallen sind. Im Herbst will er eine große Diskussion unter und mit den Landesbürgern starten und damit den Meinungsbildungsprozeß für die Volksbefragung in Gang setzen.
Ludwig hat allerdings noch eine große Hürde zu überspringen: die SPÖ, zweite Kraft im Land, nimmt gegenüber einer Landes-Metropole noch einen sehr „kri-tisch-distanzierten” Standpunkt ein. Sie muß aber nicht nur einer Verfassungsänderung — die erst eine Verlagerung der Landesverwaltung in eine eigene Hauptstadt ermöglicht — zustimmen.
Alles deutet darauf hin, daß die Landes-Roten im Herbst beim Meinungsbildungs-Prozeß den „advocatus diaboli” spielen wollen. Die „breite Diskussion pro und kontra blau-gelbe Landeshauptstadt” könnte sich somit auf die Parteisekretariate von ÖVP und SPÖ einengen.
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