6843349-1976_04_16.jpg
Digital In Arbeit

Geld von Wien fur die Insurgenten ?

Werbung
Werbung
Werbung

Nicht wenig verärgert waren Maria Theresia und ihr Mitregent Josef, als sie im „Wienerischen Diarium“ vom 20. Dezember 1777 die Übersetzung eines Flugblatts lasen, in welchem die „amerikanischen Insurgenten“ ihre Prinzipien in Dialogform zu definieren versucht hatten. Die Frage, wann und inwieweit der Widerstand gegen einen ungerechten Herrscher, unter Umständen auch seine Absetzung, gerechtfertig seien, war allerdings nichts Neues. Neu war die Behauptung, mehrheitlich gewählte und auf Zeit bestellte Macht träger seien keine Herrscher, Widerstand gegen sie also ungerecht, weil unvernünftig. (Von „checks and balances“ war damals noch lange keine Rede.)

Diese Prinzipien stellten alles in Frage, was in Europa nach tden fürchterlichen Religionskriegen und ihren Nachwehen geleistet worden war. Maria Theresias Lebenswerk, die Umwandlung eines lockeren Agglomerats feudaler Strukturen in einen neuzeitlichen Staat, binnen weniger Jahrzehnte mit Hilfe eines einzigartigen Mitarbeiterteams zuwegegebracht, wäre ohne Kontinuität der Staatsspitze und unter wechselnden Mehrheiten ebensowenig durchführbar gewesen wie die Reformen, die der hastigere Josef damals bereits im Schilde führte, Reformen, die zwar weit über das Ziel hinausschießen, aber alles in allem doch den Beweis erbringen sollten, daß neue Ideen besser und rascher ohne Guillotine, Massenhysterie und Terror zu verwirklichen waren.

Von diesem Gegensatz in den Prinzipien abgesehen, kam die Amerikanische Revolution schon im Hinblick auf den französischen Verbündeten der österreichischen Politik gar nicht so ungelegen. Man begrüßte in Wien den Aufstand in Übersee zwar nicht mit dem Enthusiasmus, der in Paris, wo es um die Schwächung des Erzfeindes England ging, die Führungsschichte, von Ludwig XVI. und Marie Antoinette abwärts, erfaßt hatte, doch wußte man sehr genau, daß die handels- und wirtschaftspolitischen Interessen der „Insurgenten“ mit jenen der österreichischen Monarchie parallel lagen. Überseebeziehungen mußten für eine Kontinentalmacht von höchstem Interesse sein, der ihrer Struktur nach jeglicher Kolonialismus fremd war.

Im Auftrag Maria Theresias und Josefs vollbrachte daher Staatskanzler Kaunitz in der Folge einen jener urösterreichischen Balanceakte, die den Ausführenden — die Fähigkeiten eines Kaunitz oder Metternich vorausgesetzt — um so mehr Genuß bereiteten, je komplizierter sie wurden. Ein Bruch mit England war zu vermeiden, der französische Enthusiasmus ein wenig zu dämpfen, inso-ferne die Interessen der österreichischen Niederlande, des heutigen Belgien, der britischen Gegenküste wegen auf dem Spiele standen. Die Insurgenten waren anderseits nach Kräften zu unterstützen, dachte man an Triest, diese Stadtrepublik innerhalb der Monarchie, die üble Erfahrungen mit der englischen seebeherrschenden Selbstherrlichkeit gemacht hatte. Was der Träger der Römischen Kaiserkrone mangels Befehlsgewalt nicht verhindern konnte, daß nämlich etliche Duodezfürsten des Heiligen Römischen Reiches ihre Soldaten an die Engländer verschacherten, das mußte innerhalb der österreichischen Erblande mit aller Schärfe hintangehalteh werden. Ein strenges Rekrutierungsverbot wurde erlassen. Ein Emissär der „Insurgenten“ konnte zwar nicht in Schönbrunn empfangen werden — das wäre einer diplomatischen Anerkennung gleichgekommen —, aber die ausschlaggebenden Wiener Salons standen ihm offen, und ein vorsichtiger kaiserlicher Wink wies Mr. Leeds an die Firma Fries, das Bankhaus jenes in Windeseile ge-graften Schweizers, der sich am Josefsplatz ein Palais gebaut hatte (das heutige „Pallavicini“) und der parallel mit den Eskeles und den Pereira-Arnstein die größeren Transaktionen durchzuführen hatte.

Zwischendurch packte Josef II. allerdings der wieperische „Grant“. Von einer wissenschaftlichen Expedition, die er nach Amerika und in die Karibische See geschickt hatte, kehrten ihm zwei Teilnehmer nicht mehr nach Wien zurück. Wo kam man hin, wenn „Köpfe“ auswanderten? Seit Karl VI. hatten Migrationen innerhalb des habsburgischen Territoriums stattzufinden. Da in den verschiedenen Erbländern sehr verschiedene Auffassungen von Toleranz und Intoleranz herrschten, konnten religiöse Gruppen sich nach Belieben den Ort aussuchen, an dem sie sich unter ihresgleichen wohl fühlten. Man schob so lange herum, bis alles wieder seine Ordnung hatte, und äußerstenfalls gab es noch das jeweils unterschiedliche Klima in den einzelnen Gliedstaaten des Heiligen Römischen Reiches. Religiöse Motive kannte man. Welche Motive aber konnten Intellektuelle zur Emigration veranlassen? Was sich da für die Zukunft anbahnte, dürfte Josef allerdings nur in sehr vagen Umrissen erkannt haben.

Dies alles spiegelt sich, wie viele andere Probleme, die sich aus der amerikanischen Unabhängigkeits-erklärung ergaben, in zahlreichen Akten des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs, die soeben in einer von Anna Benna hervorragend ausgewählten und dokumentierten Veröffentlichung des Bundespressedienstes zur Zweihundertjahrfeier der Vereinigten Staaten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. (Englischer Text: Cheryl Bernard.)

Hinzuzufügen wäre noch, daß die amerikanisch-österreichischen Beziehungen bis in die Tage des Ersten Weltkrieges hinein nahezu ungetrübt blieben. Noch einmal kam es zu einer Konfrontation der Prinzipien, als Theodore Roosevelit zu Beginn unseres Jahrhunderts Kaiser Franz Joseph besuchte. Der auf Zeit gewählte Präsident, der sein eigener Regierungschef war und dem alle Macht zustand, fragte den Kaiser, der nicht mehr selbst regierte und dem alles Prestige zustand, worin denn eigentlich unter solchen Umständen seine Funktion bestehe. „Ich bemühe mich“, sagte Franz Joseph, „nach Kräften, meine • Völker vor meinen Regierungen in Schutz zu nehmen.“ Und noch einmal, ein letztes Mal, trat die distanzierte Sympathie in Aktion, die für die Beziehungen zwischen den USA und der österreichischen Monarchie charakteristisch war, als Kaiser Karl kurz nach seiner Thronbesteigung die deutsche Oberste Heeresleitung von ihrer Absicht abbringen wollte, den uneingeschränkten U-Boot-Krieg zu erklären. Dem aus Berlin zwecks Überredung nach Wien entsandten Admiral von Holtzendorff sagte der Kaiser mit kaum noch beherrschtem Zorn ins Gesicht, dieser Wahnwitz müsse zwangsläufig zum Kriegs-eintriitt der Vereinigten Staaten führen. Dies werde dann das Ende sein. — Umsonst.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung