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Geldhahn zu?

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In München beschwor der deutsche Bundespräsident Heinemann in seiner Totenrede auf die von Terroristen der palästinensischen Untergrundorganisation „Schwarzer September“ massakrierten israelischen Sportler unter anderem auch die Mitverantwortlichkeit der arabischen Staaten. Vergeblich bis zu dem feigen Mord an drei unbeteiligten ausländischen Diplomaten in der saudischarabischen Botschaft in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. '

Die Motive der Dunkelmänner des „Schwarzen September“, sich gerade die diplomatische Vertretung er-Riads für ihren Überfall auszusuchen, liegen vorläufig noch im Dunkel. Auch der zu erwartende Prozeß gegen die acht Terroristen wird sie kaum endgültig aufhellen können. Saudi-Arabien ist für die arabischen Linksextremisten zwar seit langem das meistgehaßte Musterbeispiel eines reaktionären Regimes. Das Ursprungsland des Arabertum ist aber auch Wahlheimat für schätzungsweise fünfzigtausend Erdölarbeiter auf den Feldern der amerikanischen ARAMCO, für aus Palästina vertriebene Geschäftsleute, Lehrer und Intellektuelle. Und es ist (oder war?) der großzügigste Geldgeber für die Guerillagruppen in dem Dachverband „Palästinensische Befreiungsorganisation“.

Über die Motive Syriens und Jordaniens als arabische Randstaaten Israels, den Palästinensern jahrelang Asyl und geheime oder offene Unterstützung für ihren Guerillakampf gegen den Zionismus zu gewähren, bestand nie Unklarheit. Die Regierungen in Damaskus und Amman wollten dabei sein, wenn nach einer trotz aller militärischen Überlegenheit des Gegners und seiner bravourösen Siege niemals ganz auszuschließenden Niederlage und der Verteilung des palästinensischen Erbes „etwas zu holen war“. Die Finanzhilfe der Erdölscheichs am Rande der arabischen Halbinsel für die bodenlosen Kassen der PLO entsprang gleichfalls leicht erkennbaren Motiven. Tausende von Palästinensern waren seit der Gründung Israels in deren Machtbereiche geflutet und hatten wesentlich zur wirtschaftlichen Prosperität beigetragen. Doch wie, um nur ein prominentes Beispiel zu nennen, der heutige PLO-Chef Abu Ammar, alias Jassir Arafat, vergaßen sie niemals ihre Heimat und wurden durch ihre ständigen politischen Umtriebe zu einem nicht zu unterschätzenden Mächtfaktor in der Innenpolitik ihrer Gastländer.

Der Emir von Kuwait und die durch die Erdölfunde auf ihren Territorien zu plötzlichem Reichtum gekommenen Persergolfscheichs wollten mit ihren Subsidien an die Guer-rilleros also durchaus nicht den bis heute erfolglosen Unabhängigkeitskampf des palästinensischen Volkes unterstützen, der den meisten von ihnen egal war, sondern sie wollten sich loskaufen von den umstürzlerischen Einflüssen der ,Fedajjin“ in ihren eigenen Machtbereichen.

Dieser Tatbestand erklärt jedoch nicht im mindesten die Milliardenunterstützung des libyschen Militärdiktators Oberst Mo'ammer el-Gad-dafl und des Königs Feisal von Saudi-Arabien an die Freischärler. König Feisals fünfzigtausend palästinensische Gäste könnten zwar die Erdölproduktion und das Erziehungswesen sabotieren, aber die Herrschaft des Monarchen keineswegs ernstlich gefährden. In beiden Fällen maßgeblich für die Subsidien-zahlungen war denn auch bloße panislamische Solidarität.

Israel wirkt, das übersieht man in Europa oft, nicht nur wie ein politischer, sondern auch wie ein religiöser Pfahl im Fleisch der arabisch-islamischen Welt. Für Oberst el-Gaddafl wie für König Feisal ist es denn auch eine kaum zu bewältigende Herausforderung an den eigenen Glauben. Hierin liegt der Grund für die Unterstützung sowohl Libyens als auch Saudi-Arabiens an die Guerrilleros.

Anders als der häufig wie ein unreifer Jüngling reagierende Libyer ist der Hüter der heiligen Stätten von Mekka und Medina und als Quasi-Kalif und geistliches Oberhaupt von rund vierhundert Millionen Moslems anzusehende König aus dem Saudiergeschlecht aber auch Realpolitiker. Vielleicht nur noch der ägyptische Präsident Mohammed Anwar es-Sadat kann ihm als führende Persönlichkeit der arabischen Welt das Wasser reichen. Das zeigt seine — ihm sogar als Sproß aus fürstlichem Haus nicht vorgezeichnete — Karriere.

El-Malik („König“) Feisal Ibn Abdel Asis es-Saud wurde 1906 in Kuweit geboren. Dorthin hatte sich sein Vater, Ibn Saud der Große, nach einem zunächst verlorenen Streit mit einem lokalen Rivalen flüchten müssen. Der hochbegabte Prinz schien zunächst lebenslang die Rolle des „ewigen Zweitgeborenen“ spielen zu müssen. Kronprinz wurde sein älterer Bruder Saud.

Nach dem Tod des Gründers des nach seiner Familie benannten „Sau-disch-Arabien“ wurde Saud Monarch und Feisal Kronprinz — freilich ohne erkennbare Aussicht auf Nachfolge. König Saud hatte genügend Söhne, und dem in ganz unarabischer Einehe lebenden Feisal blieben männliche Erben versagt. Der hochgewachsene schlanke Mann mit dem von einer nie beseitigten Magenkrankheit gezeichneten mürrischen Gesichtsausdruck diente dem Reich seines Vaters schon als Jüngling. Großbritannien lernte den scheinbar leicht zu beeindruckenden Wüstenscheich bereits in den dreißiger Jahren als gefürchteten Vertreter zentralarabischer Interessen kennen. 1926 machte ihn sein Vater zum Vizekönig des Hidschas, einer der drei saudischen Provinzen. 1958 wurde er de facto, 1961 auch de jure Premier- und Außenminister seines königlichen Bruders. Zähneknirschend mußte er zusehen, wie der Ältere kindlich und korrupt das gewaltige väterliche Erbe zu verspielen begann.

Ibn Saud der Große hatte seinem Zweitgeborenen auf dem Totenbett das Versprechen abgenommen, er dürfe seinem Bruder niemals die Krone streitig machen. Der alte Monarch hatte einmal gesagt, die schönsten Perlen seiner Krone seien seine Söhne. Doch der Erstgeborene erfüllte nicht seine Erwartungen. 1963 schlug die schwerste Stunde für Feisal. Er wurde vom „Rat der Ule-mas“, der höchsten politischen und geistlichen Instanz des Mutterlandes des Islams, eindeutig zur Entmachtung seines Bruders gezwungen. Ein Jahr später machte ihn dasselbe Gremium zum König. Saud ging ins Exil, ausgerechnet zu seinem früheren Todfeind Gamal Abdel Nasser, für dessen Ermordung er wenig früher noch fünfzigtausend englische Pfund ausgeworfen hatte.

Unter König Feisal erlebte das menschenleere Wüstenland, in dem der Prophet Mohammed einst die Lehre Allahs verkündet hatte, einen beispiellosen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung. Begünstigt durch die Erdölmilliarden machte der weitsichtige Monarch aus dem rückständigen Beduinenparadies eines der am weitesten fortgeschrittenen arabischen Länder. Doch dieser Fortschritt steht noch immer auf zwei Augen. Der König höchstpersönlich entscheidet, zum Beispiel, über Einreisevisa für neugierige ausländische Journalisten.

Bei allem Widerwillen gegen das fremdartige Israel erkannte Feisal als eines der ersten arabischen Staatsoberhäupter frühzeitig, daß das zionistische Faktum nicht mehr zu beseitigen war. Seine Hauptstadt er-Riad gilt seit zwei Jahren als Hauptumschlagplatz diskreter arabisch-amerikanisch-israelischer Kontakte. Man spricht davon, daß dort noch in diesem Jahr die ersten indirekten Gespräche zwischen beiden Seiten und unter amerikanischer Oberleitung stattfinden sollen. Hier wäre ein Motiv für den direkten Angriff des „Schwarzen September“ auf die Interessen des alten Königs.

Seine Majestät verfügt allerdings über die stärkeren Waffen. Die Einstellung der saudisehen Finanzhilfe für die Palästinafreischärler scheint nach dem Khartumer Mord bereits beschlossene Sache zu sein. Schon spricht man sogar von Sanktionen gegen die in Saudi-Arabien lebenden und arbeitenden Palästinenser. Einen Mann vom Schrot und Korn des würdigsten Sohnes Ibn Sauds des Großen fordert man nicht ungestraft heraus. Dreht Feisal seinen Geldhahn zu, ist es aus mit den Palästinakämpfern...

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