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Geldverkehr ohne Zins

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Kritik am Geldsystem, das Reiche stets reicher macht, Arme aber ärmer

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Kritik am Geldsystem, das Reiche stets reicher macht, Arme aber ärmer

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Wir haben ein Geldsystem, das die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher macht", kritisiert der Katholische Familienverband. Wer die zunehmende Verschuldung vieler Familien in Österreich und der Entwicklungsländer mit Sorge beobachtet, kann an einer grundsätzlichen Analyse unseres gegenwärtigen Geldsystems nicht vorbei. Der Problematik des Zinses schon längere Zeit auf der

Spur, hat sich der Katholische Familienverband der Erzdiözese Wien mit dem Zusammenhang zwischen der Verschuldung und dem Zins beschäftigt und sein Modell für einen gerechteren Geldverkehr ohne Zins vorgestellt.

Ergebnis der Analysen: Unser Geldsystem bewirkt eine ständige Urnverteilung von arm zu reich. „Die, die Geld haben, werden dafür belohnt, daß sie das Geld nur herborgen, während die, die das Geld notwendig brauchen - im übrigen auch alle Jungunternehmer-, nicht nur das geborgte Geld zurückzahlen müssen, sondern auch die Zinsen erarbeiten müssen, die andere lukrieren. Mit einem Wort: Arme und Kreditnehmer erwirtschaften ein arbeitsloses Einkommen für Reiche und Geld Verleiher", formuliert der Wiener Rechtsanwalt und Geldspezialist des Familienverbandes Christian Burghardt.

Mit seinen Analysen begibt sich der Familienverband auf ein heißes Pflaster, denn die Kritik des Zinses hat eine lange Tradition, ebenso wie die Verteidigung des gegenwärtigen Wirtschafts- und Geldsystems. Ein Blick in die Bibel zeigt schon den seit Jahrtausenden schwelenden Streit.

Während es den Israeliten lediglich verboten war, von Volksgenossen Zinsen zu nehmen (Dtn 23,20f), generalisierten die Propheten das Zinsverbot. Ein gutes Beispiel bietet der Prophet Ezechiel, der Zinsen nehmen als „Erpressung" und „todeswürdiges Vergehen" brandmarkt (Ez 18,13 und 22,12). Durchgehendes Motto: Der Gerechte leiht nicht gegen Zins und treibt keinen Wucher.

Jesus geht noch ein Stück weiter und verlangt in der Feldrede, auf die Rückforderung überhaupt zu verzichten: „Und wenn ihr nur denen etwas leiht, von denen ihr es zurückzubekommen hofft, welchen Dank erwartet ihr dafür?" (Lk6,34) Die Radikalität dieser Forderung

dürfte auch der Grund sein, warum die Kirche das alttestamentliche, urkirchliche, patristische und scholastische Zinsverbot fallen ließ.

War es bei den Kirchenvätern Klemens von Alexandrien und Hieronymus noch verboten, Zinsen zu nehmen, so wurde das Zinsverbot gerade durch die aufwendige Geldpraxis der päpstlichen Kurie zu Beginn der Neuzeit unglaubwürdig. Später erklärte man das Zinsverbot angesichts der modernen Wirtschaftsordnung für nicht praktikabel.

Nun ist es heute mit einem bloßen Zinsverbot tatsächlich nicht getan, weil dann das Geld erst recht zurückgehalten würde. Vielmehr muß das Geld so gestaltet sein, daß es zum Weitergeben anreizt. Der Grundgedanke alternativer Geldsysteme lautet daher: Das Geld muß umlaufen, um als Tauschmittel zu dienen, und dieser Umlauf muß dadurch gesichert werden, daß das Geld dem, der es festhält, in der Hand zerrinnt.

Leider haben neuzeitliche Theologen diese Zusammenhänge noch nicht durchschaut und das Zinsverbot einfach als falsch gebrandmarkt. Als Alternative blieb nur das Bekenntnis zur kapitalistischen Geldordnung. Eine Abkehr vom Kapitalismus wurde erst unter Papst Johannes Paul II. vollzogen. Wer ernst macht mit dem „Vorrang der Arbeit vor dem Kapital", wie dies der Papst verlangt, kann kein System unterstützen, in dem Geldnehmer ein arbeitsloses Einkommen für Verleiher erwirtschaften.

Der Zins macht die Armen ärmer, weil er nicht nur direkt als Kreditzins gezahlt wird, sondern als Kostenfaktor in allen Preisen steckt. Zusammen mit den anderen Zinsbestandteilen macht er etwa bei Mieten im sozialen Wohnbau bis zu drei Viertel aus. Jeder Durchschnittsverdiener zahlt rund ein Drittel seines Einkommens Zinsen (über die Preise!), obwohl er meint, mit seinem kleinen Sparbuch oder Wertpapier Gewinner des Systems zu sein. Wie deutsche Berechnungen allerdings zeigen, nimmt nur der, der rund zwei Millionen Schilling gut angelegt hat, so viel an Zinsen ein, wie er über alle Preise zahlt.

Um aus diesem System auszubrechen, hat der Familienverband sein Modell für einen gerechteren Geldverkehr ohne Zins vorgestellt. Burghardt erklärt es so: „In dem

neuen System soll nur derjenige zahlen, der gerade flüssige Geldmittel in Anspruch nimmt. Wir haben das .Liquiditätsabgabe' genannt. Diese hängt nur von der Dauer und der Höhe der Inanspruchnahme dieser flüssigen Geldmittel ab."

Wer also in Zukunft einen Wohnungskredit aufnimmt und dieses Geld in den Wirtschaftskreislauf einfließen läßt, muß nicht für 15 oder 20 Jahre hohe Zinsen zahlen, obwohl das Geld (= die Liquidität) längst Baufirmen und Grundbesitzer haben. Der „Jokervorteil" des Geldes, über den die verfügen, die es haben, muß durch Liquiditätskosten ausgeglichen werden. Auch Zahlungsmittel müssen daher altern, also weniger wert werden, wenn sie in der Hand behalten werden.

Trotzdem wird Sparen nicht sinnlos, wie manche Kritiker des neuen Systems zu wissen meinen. Nur wer spart, sein Geld also auf ein sogenanntes „Neutralgeldsparbuch" legt, erhält sich die Kaufkraft seines Geldes und wird auch nicht mit der „Liquiditätsabgabe" belastet. Dem, der Geld herleiht, werden Inflation, Spesen und Risiko abgegolten. Ungerechtfertigten Mehrwert - das ist neu! - gibt es nicht.

Auf eine politische Lösung des Geldpapiers zu hoffen, ist illusorisch. Nicht nur Macht und Geld der Mächtigen, sondern auch die kapitalistischen Denkgewohnheiten der Ausgebeuteten selbst sind Feinde des neuen Systems. Schon den Kindern wird mit Sparbüchern die Droge leistungsloser Reichtumsvermehrung eingepflanzt.

Einsicht wird zunächst wohl nur aus inselhaften Lösungsmodellen erwachsen können, für deren Zustandekommen gerade den Gemein-den eine Schlüsselstellung zukommt. Beispiel für solch ein inselhaftes Lösungsmodell wäre der Bau eines Wohnhauses durch eine Gemeinde mit Neutralgeld. Ent-' sprechend dem Baufortschritt zahlt die Gemeinde Neutralgeld an die ausführenden Baufirmen, die ihrerseits fällige Kredite in Neutralgeld zurückzahlen können, wofür die Gemeinde als Teilnehmer ein Geldinstitut wie zum Beispiel die Post sowie den Bund (Finanzämter!) gewinnt.

Damit schließt sich der Geldkreislauf, das neue Geldsystem kann in Konkurrenz zum alten treten. „Wenn alle Teilnehmer an diesem neuen Geldsystem merken, daß sie Gewinner des Systems sind, werden auch immer mehr Kunden versuchen, ihre Geldgeschäfte in Neutralgeld abzuwickeln", zeigt sich Burghardt optimistisch.

Der Autor ist Pressereferent des Katholischen Familienverbandes der Erzdiözese Wien.

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